19. Der Ruf des Lebn
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Dinge ihn ihrem wahren Licht und
ihrer abstoßenden Häßlichkeit, trotz aller falsche
Gefühle und Reflexionen, die der Dichter ihnen
angeschminkt hatte. Man fühlte, daß es gar nicht
eines so umständlichen und trotz aller Weitschweifigkeit
doch höchst lückenhaften Apparats bedurft hötte,
um zu beweisen, was Arthur Schnitzler sagen
wollte: daß es angenehmer sei, zu leben, als tot
zu sein, da mit dem Tod für uns doch elles zu
Ende sei; und daß man sich daher auch über die
schlimmsten Dinge nicht allzusehr aufregen dürfe,
solange man noch hübsch am Leben sei. Außerdem
empfand man, wie technisch unbeholfen und zum
Teil ganz skizzenhaft der Dichter diesmal seine
Handlung gestaltet hatte. So hat denn auch nur
der erste Akt einen wirklichen Erfolg. Schon
nach dem zweiten regte sich, trotz des
geräuschvollen Beifalls, starker Widerspruch
und zum Schluß ließ man das Stück
ganz und gar fallen. Einem Dichter wie
Arthur Schnitzler konnte das nur geschehen, weit
per einmal mit den Furben anderer malen wollte,
Theater,
die so viel kleiner sind als er. Schöpft er erst wieder
nur aus seinen eigenen, reichen Mitteln, kann ihm
das käum ein zweites Mal passieren. Die Dar¬
Künst und Literatur.
stellung war sehr ungleich.. Ireae Triesch
„Der Ruf des Lebens.“
war als Marie von aufwühlender, fiebernder!
(Erste Aufführung im Lessing=Theater.)
Leidenschaftlichkeit und Albert Bassermann
Man hat Arthur Schnitler bei seinen
als Oherst prachtvoll in der kalten, über=
letzten Dramen vielsach den Vitsdürf gemacht¬
legenen Ironie seines Wesens. Hans
daß er dem Leben, dessen tiefe Rätsel er so sinn¬
Marx als sterbender Alter aber wollte gari
voll zu deuten weiß, nicht immer die klaren und
zu viel geben und Rudolf Rittner hehandelte
krästigen Töne abzugewinnen vermag, die die Bühne
den Forstadjunkten mit einer absichtlichen Lässigkeit,
verlangt. Bei seinem neuen dreiaktigen Schau¬
die selbst diese farblose Rolle nicht verdient hätte.
spiel. „Der Ruf des Lebens“, das am Ganz vorzüglich in seiner kraftvollch, jugendfrischen
Sonnabend im Lessing=Theater zum ersten Mal Männlichkeit war Karl Stieler als Leutnont
gespielt wurde, hat man nun das Gefühl, daß er Max, während Alwir Nerß und E¬ e
über die zarten, verschwimmenden Linien hinaus,[Schiff bewiesen, wie weit man es selbst im
die ihm sonst eigen sind, einmal beweisen wollte, Lessing=Theater trotz vorgeschrittener Talentlosigkeit
puß er auch sehr kräftig und brutal sein könne, bringen kann. Grete Hoffmann als
wenn es durchaus verlangt würde. Aber dazu liebesdurstige Katharina; mit“ den Ophelias
hat er seinem innersten Wesen im gewissen Sinne könen vermochte die unglaubwürdige Gestalt
Gewalt antun müssen, und er hat nur ein gequältes, nicht lebendig zu machen, Else Lehmann
mühsam konstruiertes Stück zustande gebracht. Zuquälte sich nutzlos mit einer überflüssigen alten
den klugen und tiefen Gedanken, die Schnitzler auch Tante ab und Emanuel Reicher vergriff##
diesmal in reicher Fülle spendet, will die äußerliche sich als Arzt bis in die verblüffendste Nüchternheit
Handlung, die wie aus einem bösartigen Hinter= hinein. Alles in allem war es also auch dar¬
##treppeuroman herausgeschnitten erscheint, absolut stellerisch kein Abend, auf den das Lessing=Theater
nicht passen. Auf der Bühne, deren tönende Re= besonders stolz zu sein braucht.
Sch.
sonanz jeden unreinen Klang zehnfach ver¬
aulh Lhrt
stärkt wiedergibt, wirkt dies schreiende
Mißverhältnis peinlich und abstoßend.
Auf der Bühne reden die Dingend die Gescheh¬
nisse weit lauter, als das gesprochene Wort, und
dein Widerspruch zwischen dem Charakter eines
Menschen und seinem Tun läßt sich auf ihr durch
keine noch so beschönigende Umschreibung aus der:
Welt schaffen. Der Ruf des Lebens dringt
lockend auch an das Ohr der unglücklichen
Marie. Ihr alter, kranker Vater, der früher ein¬
mal Rittmeister bei den blauen Kürassieren war
und damals eine Schlacht durch seine Feigheit!
verloren machte, ist zugleich ihr Kerker¬
meister, der sie von allen Freuden des Lebens
absperrt. C imal nur hat Marie einen
Ball besuchen dürfen, und dort hat sie die ganze
Nacht mit einem Leutnant von den blauen
Kürassieren getanzt. Ihn liebt sie, aber
sie wagt nicht, zu ihm zu gehen und sich
ihm hinzugeben. Da wird es wieder Krieg —
das Stück spielt in den fünfziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts — und die blauen Kürassiere
wollen die Schande, die sie dreißig Jahren
früher auf sich geladen haben, wieder gut
machen. Die Offiziere des Regiments haben
sich geschworen, daß niemand von ihnen lebend!
zurückkommen dürfe. Einer der Todgeweihten
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Dinge ihn ihrem wahren Licht und
ihrer abstoßenden Häßlichkeit, trotz aller falsche
Gefühle und Reflexionen, die der Dichter ihnen
angeschminkt hatte. Man fühlte, daß es gar nicht
eines so umständlichen und trotz aller Weitschweifigkeit
doch höchst lückenhaften Apparats bedurft hötte,
um zu beweisen, was Arthur Schnitzler sagen
wollte: daß es angenehmer sei, zu leben, als tot
zu sein, da mit dem Tod für uns doch elles zu
Ende sei; und daß man sich daher auch über die
schlimmsten Dinge nicht allzusehr aufregen dürfe,
solange man noch hübsch am Leben sei. Außerdem
empfand man, wie technisch unbeholfen und zum
Teil ganz skizzenhaft der Dichter diesmal seine
Handlung gestaltet hatte. So hat denn auch nur
der erste Akt einen wirklichen Erfolg. Schon
nach dem zweiten regte sich, trotz des
geräuschvollen Beifalls, starker Widerspruch
und zum Schluß ließ man das Stück
ganz und gar fallen. Einem Dichter wie
Arthur Schnitzler konnte das nur geschehen, weit
per einmal mit den Furben anderer malen wollte,
Theater,
die so viel kleiner sind als er. Schöpft er erst wieder
nur aus seinen eigenen, reichen Mitteln, kann ihm
das käum ein zweites Mal passieren. Die Dar¬
Künst und Literatur.
stellung war sehr ungleich.. Ireae Triesch
„Der Ruf des Lebens.“
war als Marie von aufwühlender, fiebernder!
(Erste Aufführung im Lessing=Theater.)
Leidenschaftlichkeit und Albert Bassermann
Man hat Arthur Schnitler bei seinen
als Oherst prachtvoll in der kalten, über=
letzten Dramen vielsach den Vitsdürf gemacht¬
legenen Ironie seines Wesens. Hans
daß er dem Leben, dessen tiefe Rätsel er so sinn¬
Marx als sterbender Alter aber wollte gari
voll zu deuten weiß, nicht immer die klaren und
zu viel geben und Rudolf Rittner hehandelte
krästigen Töne abzugewinnen vermag, die die Bühne
den Forstadjunkten mit einer absichtlichen Lässigkeit,
verlangt. Bei seinem neuen dreiaktigen Schau¬
die selbst diese farblose Rolle nicht verdient hätte.
spiel. „Der Ruf des Lebens“, das am Ganz vorzüglich in seiner kraftvollch, jugendfrischen
Sonnabend im Lessing=Theater zum ersten Mal Männlichkeit war Karl Stieler als Leutnont
gespielt wurde, hat man nun das Gefühl, daß er Max, während Alwir Nerß und E¬ e
über die zarten, verschwimmenden Linien hinaus,[Schiff bewiesen, wie weit man es selbst im
die ihm sonst eigen sind, einmal beweisen wollte, Lessing=Theater trotz vorgeschrittener Talentlosigkeit
puß er auch sehr kräftig und brutal sein könne, bringen kann. Grete Hoffmann als
wenn es durchaus verlangt würde. Aber dazu liebesdurstige Katharina; mit“ den Ophelias
hat er seinem innersten Wesen im gewissen Sinne könen vermochte die unglaubwürdige Gestalt
Gewalt antun müssen, und er hat nur ein gequältes, nicht lebendig zu machen, Else Lehmann
mühsam konstruiertes Stück zustande gebracht. Zuquälte sich nutzlos mit einer überflüssigen alten
den klugen und tiefen Gedanken, die Schnitzler auch Tante ab und Emanuel Reicher vergriff##
diesmal in reicher Fülle spendet, will die äußerliche sich als Arzt bis in die verblüffendste Nüchternheit
Handlung, die wie aus einem bösartigen Hinter= hinein. Alles in allem war es also auch dar¬
##treppeuroman herausgeschnitten erscheint, absolut stellerisch kein Abend, auf den das Lessing=Theater
nicht passen. Auf der Bühne, deren tönende Re= besonders stolz zu sein braucht.
Sch.
sonanz jeden unreinen Klang zehnfach ver¬
aulh Lhrt
stärkt wiedergibt, wirkt dies schreiende
Mißverhältnis peinlich und abstoßend.
Auf der Bühne reden die Dingend die Gescheh¬
nisse weit lauter, als das gesprochene Wort, und
dein Widerspruch zwischen dem Charakter eines
Menschen und seinem Tun läßt sich auf ihr durch
keine noch so beschönigende Umschreibung aus der:
Welt schaffen. Der Ruf des Lebens dringt
lockend auch an das Ohr der unglücklichen
Marie. Ihr alter, kranker Vater, der früher ein¬
mal Rittmeister bei den blauen Kürassieren war
und damals eine Schlacht durch seine Feigheit!
verloren machte, ist zugleich ihr Kerker¬
meister, der sie von allen Freuden des Lebens
absperrt. C imal nur hat Marie einen
Ball besuchen dürfen, und dort hat sie die ganze
Nacht mit einem Leutnant von den blauen
Kürassieren getanzt. Ihn liebt sie, aber
sie wagt nicht, zu ihm zu gehen und sich
ihm hinzugeben. Da wird es wieder Krieg —
das Stück spielt in den fünfziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts — und die blauen Kürassiere
wollen die Schande, die sie dreißig Jahren
früher auf sich geladen haben, wieder gut
machen. Die Offiziere des Regiments haben
sich geschworen, daß niemand von ihnen lebend!
zurückkommen dürfe. Einer der Todgeweihten