II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 113

19. Der Ruf des Lebens
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uns Genüge schafft, ist vollwertig zu nehmen . . .: ist wirklich ein Ziel tungen. Er will¬
##userer Tage. In allem: die gänzliche Umordnung der Schillerschen die Raisonnements
Theorie! Denn das Leben ist nur der Güter höchstes, . . . und die Schuld Schnitzler wohl nich
bleibt der Uebel größtes nur, so lange man sie als solche gelten läßt. führen..
Bei Schnitzler wird Marie Moser, ein Wiener Mädel aus ben Vor= und mögen sich
märztagen durch eigene Erfahrungen zu dieser Tendenz des uner¬ desimtibe Erkennin
schrockensten Egoismus erzogen. Daß sie ihn von Hause aus nicht hat; die Mariens Ent
daß er nicht ein „Stück von ihr“ ist, kostet sie gleich ihr ganzes Glück,
nun, verendend
von dem sie später (nach der Erkenntnis) nur einen zarten Reflex
Opbeliapose zurück
[sehen.. .., ein leises, seelisches Wiederspiel fühlen wird. Sie welkt dessen Tonkraft oh
an der Seite eines verbitterten, bissigen Greises, der dem blühenden und entstellt worden ##
sich sehnenden Kinde die Tage seiner Agonie durch giftige Reden und die Parallelismus von
Behandlung eines Sklavenhalters zum Martyrium macht. Ihre Ver= tendenziöse nd sa
wandte, ein junges Ding, das den Keim der Schwindsucht in der Brust revidiere. Es
hat. findet den Mut (um sich eine letzte, heiße Lebensfrist zu erobern), von feiern wie der Sch
den Ewigkeitsströme
der alternden Mutter fort, zu dem geliebten Manne zu laufen. Um auch
Marie von der Fessel loszubinden, müssen freilich noch schärfere Motive
Ja: gerade
hinzukommen, die den Poeten Schnitzler, im Bestreben, deutlich zu sprechen,
andern Forum seit
mit dem Geschmack der Modernen scharf aneinander geraten lassen. Sie Okto BrahmsS
muß erst wissen, daß der von ihr Erwählte — auch ein junger Offizier — ausnahmslos mitn
am nächsten Morgen den sicheren Schlachtentod aufsuchen wird. ... Sie Dieser wurde von e
muß erfahren, daß derjenige, dessen alte Schuld zu fühnen, sich nun ein Herrn= Rittner
Mne# Arthur Schnitzlers „Der Ruf des Lebens“.*)
gonzes Regiment opfern soll, ihr eigener Vater war. Sie hat also noch, Rellen nicht genügt
(Zur Lessingtheater=Premiere: 25. Februar 1906.)
eine Nacht .. .: und sie kann zugleich erleben und rächen. So reicht sie achtung ihrer Aufg#
Mit besonderer Liebe, die er wohl seinem ursprünglichen Beruf ent¬
dem Alten den Giftbecher. ... Die Zärtlinge, die so etwas bei Herrn Herr Reicher (der
nahm, taucht der Arzt Arthur Schnitzler seit Je in die dunklen,
Sudermann wunderschön finden würden, fühlen hier ihr Haar sich gefeilten, romantisich
verschlungenen Labyrinthe, in denent sich fenter Stenzpunkt findet, da Tod
sträuben. Sie merken nicht, daß eine Renaissancephilosophie nur mit die Herren Marr
und Leben einander für eine eilig vorüberhuschende Sekunde die Hand
lapidaren Mitteln zu vergegenwärtigen ist: daß gerade der Umwälzer be= durchaus äußerlich
reichen, und das eine unter der harten Berührung des andern blitzesschnell
sunders deutlich sprechen muß. Sie wissen auch nicht mehr, daß sie selbst und Hoffmann
perdunstet. Ja, noch mehr. ... Auch die weiteren Verbindungslinien
nach einer Verkräftigung der Schaubühne mit allen Mitteln lechzen, und
[Triesch (Maxie),
will er finden, die von den Abgestorbenen (oder den erst Absterbenden)
daß wir für diese dringliche Notwendigkeit niemals einen besseren Mit¬
Veräußerlicherin un
bis ins heiße, laute Leben hinabreichen und zu Geschicken führen, die auf
arbeiter finden werden, als Arthur Schnitzler, der ne wilden, zwingenden
erobert ...: und
diese Art sozusagen aus dem Grabe heraus ihre Direktiven erhalten.
Motionen nicht (im Stile der Macher) „arrangiert“, sondern sie als letzte Sardon und Duma
Aber der Haß gegen den stumpfen, alle Energien, jede Hoffnung und Notwendigkeiten dem feinen Geäste stiller, beengter, aber von innerem
mit gutem Ergebni#
jede Sehnsucht lähmenden Tod wird bei Schnitzler nun zu einem leiden¬
Leben konvulsivisch bebender Stimmungen entflammen läßt. Der den
walter umgestaltete.
schaftlichen Hindrängen auf den reinen Lebensgenuß, auf die kraftvolle
Mut hat, diese Bauart in diesem Falle sogar noch durch einen zweiten
Betonung aller gesunden, ehrlichen und innigen Freuden. Mit einer Ich¬
Akt, durch ähnliche Stimmungen zu ähnlichen Effekten weiterzuführen.
philosophie, die ihre Formen absichtlich deutlich wählt, sie nicht in
Ich sage: Bravissimo!
doktrinärer Rede, sondern in plastischer Bildhaftigkeit gestalte, will er jetzt
Marie stürzt in das Haus des geliebten Mannes. Die Tragödie ihres
jenen Grenzstrich zwischen Tod und Leben, den er seit Jahren umspürt,
Lebens soll durch ein kurzes Freudenbachanal ihren leuchtenden Einschnitt
verbreitern. Er will die Erziehung zur Kühnheit, die Nietzsche
erhalten. Aber: „wen die Andern kümmern, der darf nicht glücklich sein.“
anbahnte, auf diesem Spezialgebiet wieder aufnehmen, und seine Hand
Hat sie nicht den Mut zur Entschlossenheit gehabt, um sich ihr bischen
weist vom Kult des Grabes auf den grünen Teppich des Lebens. Wo er
Glück auch gegen die Pflichten der Pietät zu holen, so hat der Mann, dem
durch reichlich ein und einhalb Jahrzehnte Verneinendes gab: die Einflüsse
sie im Zeitraum einer flüchtigen Begegnung seelisch zu eigen ward, nicht
des Todes, dessen Modergeruch auch noch blühende Existenzen geistig,
die Geduld gehabt, auf sie zu warten. Marie, die auch ihrem Freunde
physisch, moralisch faulen läßt, will er jetzt bejahen .. ., oder
die Führerhand in das Land eines neuen Geschickes reichen will, sieht den
wenigstens eine Möglichkeit zu einem positiven Resultat geben. Freilich
endgültigen Abschluß des seinen. Er hat die Frau seines Obersten, der
muß dieses erst erobert werden: erobert durch ein heroisches Abstreifen aller
ihm zugleich ein väterlicher Freund ist, zu seiner Geliebten gemacht. Am
weichlichen und zagenden Regungen. „Wen die andern kümmern, der
Abend, bevor er an der Seite des Vorgesetzten in den Tod reitet, trifft
darf nicht glücklich sein!“ Man lasse also vollends verwelken, was schon
der alte Mann die Beiden zusammen. Er schießt das Weib nieder, nennt
im Verdorren ist. Man belade sich nicht mit Gedächtniszeremonien, mit
den Jüngling einen Lügner. Der steckt noch tief genug in den alten Moral¬
Reue und Nachdenklichkeit, wo das eigene Schicksal kraftvoll gedeihen will.
fesseln, um in dieser Beschimpfung den Zwang zum Tode zu finden. Nur
„Wir leben ... und es war!“ Man opfere sich nicht für die
für eine kurze Liebesepisode kann Marie ihn erobern: dann folgt er der
Pbantome, die der moralische Schematismus der Tradition als die letzten
Andern.
Ziele des Lebens aufnennt. Nur das Glück, das dem Persönlichen in
Ich sehe den Riß in diesem Drama wahrhaftig nicht im Zuviel. Ich
*) Die Buchausgabe ist soeben bei S. Fischer, Berlin, erschienen. sagte es schon. Nur der letzte Akt, der zu wenig bringt, zerfetzt die Wir¬