II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 126

19. Der Ruf des Lebens
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tritt dazwischen, seine Pistole streckt die Frau nieder, Max wird
sich selbst richten. Aber vorher noch eine letzte Seligkeit mit
einem Mädchen, das ihn liebt. Marie Moser verläßt den bösen
alten Mann, der ihr Vater ist, vergiftet ihn und eilt zu dem Ge¬
liebten, dem sie nur noch eine letzte Stunde gehören kann, bis er
auch sie fortwirft, dem Tode seine Schuld zu zahlen. Rein taucht
ihre große Natur aus dem nächtigen Traum wieder hervor, der
sie zur Untreuen, zur Mörderin, zur Dirne gemacht. Sonne um¬
fließt sie, Blumen hält sie in den Händen und fröhliches Kinder¬
lachen zeigt an, daß die Welt nicht stehen bleibt um eines
1 Menschen Weh, daß ein jeder untertauchen muß in das All des
Lebens und die Ewigkeit der Natur. Den ganzen Reichtum an
Zeinheiten, die weiche Linie in dem Charakterisieren der Neben¬
personen kann solche Inhaltsangabe nicht wiedergeben. Der
rätselvolle Oberst, dieser Witzbold und Held, der lebensvolle todes¬
traurige junge Offizier, der weise, mild abgeklärte Arzt, sie sind
alle nur als zarte Silhonetten aus einem dunklen Grund an¬
deutungsweise herausgelöst und wirken doch wunderbar lebendig.
Ganz in sinnliche Anmut und schwer süße Lyrit getaucht ist die
Theater#nach diesem Tezie vorgesühen.
Gestalt der dem Tode geweihten Katharina, die noch des Lebens
Berliner Theaterbrief. Berlin, 25. Februar,
(Gerhart Hauptmann hat als Motto vor sein Friedens¬
ffest die Stelle aus Lessings Abhandlung über die Fabel ge## letzte Lust mit vollen Zügen trinkt. Schnitzler hat uns hier ein
Werk gegeben, das die heldenhafte Tragik vom Schleier der Bea¬
trice und die melodisch gedämpfte Lebensgrazie vom Einsamen
Isschrieben, nach der Handlung nicht nur da ist, wo der Liebhaber zu
Weg zu einer stimmungsstarken, reichen Dichtung verbindet. Die
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Füßen fällt, die Prinzessin ohnmächtig wird oder der Held stirbt!
IIn diesem Sinne hat das moderne Drama lange nur „Zustände
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der Seele“ die osychologischen Komplikationen des alltäglichen Aufführung war vorzüglich; die unvergleichliche Künstlerschar des
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§ Lebens geschildert; heute sehnt man sich wieder nach dem ge=Lessing=Theaters, die Triesch, die Lehmann, Reicher, Bassermann,
Rittner, Marr boten ein herrliches Ensemble. Der Eindruck war
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waltigen Schicksal, das den Menschen erhebt, wenn es ihn
stark, der Erfolg. aber nicht unbestritten.

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zermalmt. Maeterliucks Predigt von der Tragit des Alltags, der
" Empfindungsfülle der einzelnen Minuten, die in den unaufhörlich
dahinrinnenden Stunden unseres Seins den Inhalt des Lebens
sieht, muß jenem Rufe nach dem großen Leben weichen, das in
eine einzige Stunde das Seligste und Furchtbarste, Liebe und
Mord zusammendrängt. Aus den sekundenlangen Ekstasen von
Wollust und Tod aber kehrt der Mensch in die ewige Einfalt des
Tages zurück und trinkt die Süße der kleinen Freuden, der stillen
Augenblicke, da ihn die heroische Größe der tragischen Leiden¬
schaften nur mit Verbrechen und Qual überhäufte. .... So
dichtet Arthur Schnitzler sein Lied von der Liebe und vom
Tode in seinem Schauspiel Der Ruf des Lebens, das am
Sonnabend im Lessing=Theater seine Erstaufführung er¬
lehte. Verlangt sein Landsmann und Freund Hoffmannsthal
mach dem Unmöglichen, Riesenhaften und gibt bei aller
Grandiosität wirre, grellschreiende übersteigerungen, so ist
Schnitzler der echte, reine Künstler, der in seinem Kreise allen
Stoff mit Wärme und Gefühl erfüllt, zur vollendeten Form
läutert. Wieder hat er uns mit einem Kunstwerk beschenkt, in
dessen dunklen, tragischen Grund das sanfte Licht einer klaren
Weisheit, einer leuchtenden Schönheit dringt und in dem sich von
dem blutigen Schatten der Nacht und des Sterbens die stille
Resignation eines lächelnden Sommerabends abhebt. Aber zu¬
gleich ist ihm diesmal ein Drama gelungen, das des Anhauches
der großen Tragödie nicht ganz entbehrt und in seiner düsteren
Kraft der Darstellung an die Kunst Kleists oder Stendals leise
gemahnt. Eine vergangene Zeit taucht auf, in der sich die Kleider
der Biodermeierzeit seltsam mit einem trotzigen Glanz Napoleoni¬
scher Nachklänge mischen. Krieg ist in Österreich. Eine alte Schuld
des Regiments zu sühnen, ziehen die blauen Kürassiere in den
Tod. Zu dem jungen Max dringt der Ruf des Lebens; die Frau
des Obersten, seine Geliebte, drängt ihn zur Flucht. Der Oberst