II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 132

19. Der Ruf des Lebens
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neuesten Drama gesprochenen Worten: „Das sind meine
Auf des Lebens“.
von Leidenden
Wege von Irrenden zu Lei erden ..
re, 25. Februar 1906.)
zu Sterbenden“ völlig idenlifizieren können.
Aber der Haß gegen den stumpfen, alle Energieen,
eer wohl seinem ursprüng¬
jede Hoffnung und jede Sehnsucht lähmenden Tod wird
icht der Arzt Arthur
bei Schnitzler nun zu einem leidenschaftlichen Hindrängen
dunklen, verschlugenen La¬
auf den reinen Lebensgenuß, auf die kraftvolle Betonung
Grenzpunkt findet, da Tod
aller gesunden, ehrlichen und innigen Freuden. Mit einer
eilig vorüberhuschende Se¬
Ichphilosophie, die ihre Formen absichtlich deutlich
das eine unter der harten
wählt, sie nicht in dokirinärer Rede, sondern in plastischer
schnell verdunstet. Ja, noch
Bildhafligkeit gestaltet, will er jetzt jenen Grenzstrich
weiteren Verbindungslinien
zwischen Tod und Leben, den er seit Jahren umspürt,
Abgestorbenen (oder den
verbreitern. Er will die Erziehung zur Kühnheit,
heiße, laute Leben hinab¬
die Nietzsche anbahnte, auf diesem Spezialgebiete wieder
en, die auf diese Art sozu¬
aufnehmen, und seine Hand weist vom Kult des Grabes
ihre Direktiven erhalten.
auf den grünen Teppich des Lebens. Wo er reichlich
aus dem Novellencyklus:
ein und ein halbes Jahrzehnt lang Verneinendes gab:
man eine besonders deut¬
die Einflüsse des Todes, dessen Modergeruch auch noch
dfindertums. Noch von der
blühende Existenzen geistig, physisch, moralisch faulen
üsse bebend steht ein Mann
oder wenig¬
läßt, will er jetzt bejahen
kiner Geliebten. In dem
stens eine Möglichkeit zu einem positiven Resultat geben.
zeigt sich, wie in den
Freilich muß dieses erst erobert werden: erobert durch ein
Pietäten vom plumpen Edilt
heroisches Abstreifen aller weichlichen und zagenden Re¬
sam vernichtet werden. In
gungen. „Wen die andern kümmern, der darf nicht glück¬
as Andenken der Dahinge¬
lich sein!" Man lasse also vollends verwelken, was schon
er Schleier....: denn,
im Verdorren ist. Man belaste sich nicht mit Gedächtnis¬
rkt der Gatte erst jetzt,
zeremonien, mit Reue und Nachdenklichkeit, wo das eigene
Wnd so zieht sich die Linie
und
Schicksal kraftvoll gedeihen will. „Wir leben ...
der Frau Berta Garlan,
es war!“ Man opfere sich nicht für die Phantome, die
sichte des Leutnants Gustl.
der moralische Schematismus der Tradition als die letzten
tönt das Gebot, daß die
Ziele des Lebens aufnennt. Nur das Glück, das dem
Julian Fichtner zum
ers
Persönlichen in uns Genüge schafft, ist vollwertig zu
len. Auch die „lebendigen
In
nehmen ....: ist wirklich ein Ziel unserer Tage.
ain den verschiedensten Ab¬
allem: die gänzliche Umordnung der Schillerschen Theorie!
lvier neuartigen, inhaltlichen
und
Denn das Leben ist nun der Götter höchstes,
otiv, das schon in Christi¬
die Schuld bleibt der Uebel größtes nur, so lange man
#ter des jungen Fritz Toten¬
sie als solche #e#ten lößt.
angeschlagen ward, klingt
Bei Schniler wird Marie Moser, ein Wiener Mädel
da die Heldenscharen des
aus den Vormerztagen, durch eigene Erfahrungen zu
hleier der Beatrice“ den Tod¬
nehmen. So wird Arthur dieser Tendenz des unerschrockensten Egoismus erzogen.
Schaffens mit den in seinem] Daß sie ihn von Hause aus nicht hat; daß er nicht
n
ein „Stück von ihr“ ist, kostet sie gleich ihr ganzes
Glück, von dem sie später (nach der Erkenntnis) nur einen
ein leises seelisches
zarten Reflex sehen.
Wiederspiel fühlen wird. Sie welkt an der Seite eines
veriterten, bissigen Greises, der dem blühenden und sich
sehnenden Kinde die Tage seiner Agonie durch giftige
Reden und die Behandlung eines Sklavenhalters zum
Martyrium macht. Ihre Verwandte, ein junges Ding,
das den Keim der Schwindsucht in der Brust hat, findet
den Mut, (um sich eine letzte, heiße Lebensfrist zu er¬
obern) von der alternden Mutter fort, zu dem geliebten
Manne zu laufen. Um auch Marie von der Fessel los¬
zubinden, müssen freilich noch schärfere Motive hinzu¬
kommen, die den Poeten Schnitzler, im Bestreben deutlich
zu sprechen, mit dem Geschmack der Modernen scharf an¬
einander geraten lassen. Sie muß erst wissen, daß der
von ihr Erwählte — auch ein junger Offizier. —
nächsten Morgen den sicheren Schlachtentod aussuchen
wird
Sie muß erfahren, daß derjenige, dessen
alte Schuld zu fühnen, sich nun ein ganzes Regiment
opfern soll,
ihr eigener Vater war. Sie hat also noch
eine Nacht
und sie kann zugleich erleben und
rächen. So reicht sie dem Alten den Giftbecher. Die
Zärtlinge, die so etwas bei Herrn Sudermann wunder¬
schön finden würden, fühlen hier ihr Haar sich sträuben.
Sie merken nicht, daß eine Renaissancephilosophie nur
mit lapidaren Mitteln zu vergegenwärtigen ist: daß ge¬
rode der Umwälzer besonders deutlich sprechen muß.
Sie wissen auch nicht mehr, daß sie selbst nach einer
Verkräftigung der Schaubühne mit allen Mitteln lechzen.
und daß wir für diese dringliche Notwendigkeit niemals
einen besseren Mitarbeiter finden werden, als Arthur
Schnitzler, der seine wilden, zwingenden Motionen nicht
(im Stile der Macher) „arrangiert“ sondern sie als
letzte Notwendigkeiten dem feinen Geäste stiller, beengter,
aber von innerem Leben konvulsivisch bebender Stim¬
mungen entflammen läßt. Der den Mut hat, diese Bau¬
art in diesem Fa#le sogar noch durch einen zweiten Alt,
durch ähnliche Stimmungen zu ähnlichen Effeklen weiter¬
zuführen. Ich sage: Bravissimo!
Marie stürzt in das Haus des geliebten Mannes.