II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 139

19. Der Ruf des Lebens
box 24/2
Thegter, Runst=und Titeräur.

In bn Zühnihzlers „Der Auf des Tebens“.
Dir Premiere in Berlin.)
Aus Berlin wird uns telegraphiert:
[Schnitzlers dreiaktiges Schauspiel „Der Ruf
des Lebens“ wurde gestern im Lessing=Theater in
ausgezeichneter Besetzung zum ersten Mal gegeben.
Das Stück spielt in Wien beim Ausbruche des öster¬
reichisch=französischen Krieges, doch werden die näheren
Umstände absichtlich im Dunkeln gelassen. Der Dichter
arbeitet mit einem frei erfundenen, etwas romanhaften
Motiv, und so kann er die Kontrolle der historischen
Wirklichkeit nicht gebrauchen. Das Regiment „Blaue
Kürassiere“ rückt auf den Kriegsschauplatz ab, es ist das
todgeweihte Regiment. Seine Offiziere haben sich das
Wort gegeben, zu sterben, und die Mannschaften werden
ihnen folgen. Niemand darf zurückkehren. Denn nur so
kann die Schmach gesühnt werden, die das Regiment ver
dreißig Jahren auf sich geladen, als es in einer Schlacht
panikartig floh und so die Schlacht verleren wurde.
Während die Truppen vorbeimarschieren, blickt aus dem
Fenster einer ärmlichen Wohnung Marie Moser
angstvoll und sehnsüchtig herab, nach dem Geliebten aus¬
spähend, mit dem sie nur einmal im Ballsaale zusammen¬
gewvesen und dem ihre Sinne und ihre Seele zufliegen.
Sie ist an das Krankenbett ihres verbitterten, bösen.
Vaters gefesselt, den es freut, das lebensdurstige sechs¬
undzwanzigjährige Mädchen zu quälen und der ihren
wachsenden Haß mit ingrimmigem Tyrannenbehagen
spürt. Er ist erst neunundsiebzig, er will wohl gar
neunzig alt werden, und dann kann sie machen, was sie will,
eher nicht. Er weiß nicht recht, wird sie den Forst¬

adjunkten heiraten, den sie bei seiner Schwägerin kennen
gelernt, oder seinen Arzt. Aber keiner soll sie haben, so
lange er lebt. Der schlimme Mensch ahnt nicht, daß
Mariens Schicksal und seine Vergangenheit wunderlich
gestaltet sind. Denn er war es, der vor dreißig Jahren
als Rittmeister bei den „Blauen Kürassieren“ das Signal
zur Flucht gegeben hatte, und nun liebt Marie einen
Offizier dieses Regiments, das sich dem Tode geweiht hat.
Der Forstadjunkt kommt, aber Marie ist über ihn
hinaus. Sie fühlt die herzliche Bravheit und Güte dieses
keinfesten Mannes, doch sie will, sie kann nicht sein
werden; und da er in sie dringt, bricht es wild aus ihr
heraus und sie bekennt, daß sie alle Sünden schon be¬
gangen, in Gedanten fortwährend begehe: Buhlerei,
Untreue, Mord, ja auch Mord, denn keine Stunde vergehe,
wo sie dem Vater nicht den Tod wünsche, ihn selber
ermorden möchte. Ihre Cousine Katharina bestärkt
unwissend den ungeheuren Entschluß in ihr. Das
Mädchen ist schwindsüchtig, auch todgeweiht, und will
genießen, so lange die ensflamme brennt. Sie kommt
soeben aus dem Arm eines der Offiziere von den „Blauen
Kürassieren“. Sie erzählt, daß die Schwadron, in der
ihr Geliebter und Mariens Ersehnier stehen, erst morgen
Früh auszieht. Marie sieht eine lockende Stunde vor ihren
erregten Sinnen. Sie tut dem polternden Kranken Gift
ins Glas und stürzt davon zu ihm.
Im zweiten Aki, der in der Kaserne spielt, voll¬
zieht sich Schreckliches. Der Offizier Max ist der Liebling
des Obersten, der offenbar merkt, daß es zwischen seiner
jungen Frau Irene und dem Lieutenant Beziehungen
gibt, der sich den Verdacht aber auch wieder ausreden möchte.
In einer Pause, während Max das Zimmer verlassen,
cilt Marie herein, tritt hinter einen Vorhang und erlebt
nun, ungesehen, eine Katastrophe. Irene kommt und will
Max zur Flucht bereden. Der Oberst kehrt zurück und
erschießt seine Frau, dem Lieutenant aber legt er zur
Strafe die Pflicht auf, die Tat auf sich zu nehmen. Da
tritt Marie hervor, und von der Leiche weg eilen Max
und sie, wortlos, verzweifelt, halb wahnsinnig irgend
wohin, wo sie sich gehören werden.
Im Schlußakt erst erfährt man, was nachher ge¬
schehen. Max kehrt in sein Kasernenzimmer zurück und
erschießt sich an Irenens Leiche. Daß Marie für den
Vatermord nicht vor den Strafrichter gekommen, hat sie
tchen