Uhrerenönge
kann die Schmach gefühnt werden, die das #
dreißig Jahren auf sich gelahen, als es in einer Schlacht
panikartig floh und so die Schlacht verleren wurde.
Während die Truppen vorbeimarschieren, blickt aus dem
Fenster einer ärmlichen Wohnung Marie Moser
angstvoll und sehnsüchtig herab, nach dem Geliebten aus¬
spähend, mit dem sie nur einmal im Ballsaale zusammen¬
gewesen und dem ihre Sinne und ihre Seele zufliegen.
Sie ist an das Krankenbett ihres verbitterten, bösen
Vaters gefesselt, den es freut, das lebensdurstige sechs¬
undzwanzigjährige Mädchen zu quälen und der ihren
wachsenden Haß mit ingrimmigem Tyrannenbehagen
spürt. Er ist erst neunundsiebzig, er will wohl gar
neunzig alt werden, und dann kann sie machen, was sie will,
eher nicht. Er weiß nicht recht, wird sie den Forst¬
adjunkten heiraten, den sie bei seiner Schwägerin kennen
gelernt, oder seinen Arzt. Aber keiner soll sie haben, so
lange er lebt. Der schlimme Mensch ahnt nicht, daß
Mariens Schicksal und seine Vergangenheit wunderlich
gestaltet sind. Denn er war es, der vor dreißig Jahren
als Rittmeister bei den „Blauen Kürassieren“ das Signal
zur Flucht gegeben hatte, und nun liebt Marie einen
Offizier dieses Regiments, das sich dem Tode geweiht hat.
Der Forstadjunkt kommt, aber Marie ist über ihn
hinaus. Sie fühlt die herzliche Bravheit und Güte dieses
kernfesten Mannes, doch sie will, sie kann nicht sein
werden; und da er in sie dringt, bricht es wild aus ihr
heraus und sie bekennt, daß sie alle Sünden schon be¬
gangen, in Gedank fortwährend begehe: Buhlerei,
Untreue, Mord, ja auch Mord, denn keine Stunde vergehe,
wo sie dem Vater nicht den Tod wünsche, ihn selber
ermorden möchte. Ihre Cousine Katharina bestärkt
unwissend den ungeheuren Entschluß in ihr. Das
Mädchen ist schwindsüchtig, auch todgeweiht, und will
genießen, so lange die Lebensflamme brennt. Sie kommt
soeben aus dem Arm eines der Offiziere von den „Blauen
Kürassieren". Sie erzählt, daß die Schwadron, in der
ihr Geliebter und Mariens Ersehnter stehen, erst morgen
Früh auszieht. Marie sieht eine lockende Stunde vor ihren
erregten Sinnen. Sie tut dem poliernden Kranken Gift
ins Glas und stürzt davon zu ihm.
Im zweiten Akt, der in der Kaserne spielt, voll¬
zieht sich Schreckliches. Der Offizier Max ist der Liebling
des Obersten, der offenbar merkt, daß es zwischen seiner
jungen Frau Irene und dem Lieutenant Beziehungen
gibt, der sich den Verdacht aber auch wieder ausreden möchte.
In einer Pause, während Max das Zimmer verlassen,
cilt Marie herein, tritt hinter einen Vorhang und erlebt
nun, ungesehen, eine Katastrophe. Irene kommt und will
Max zur Flucht bereden. Der Oberst kehrt zurück und
erschießt seine Frau, dem Lieutenant aber legt er zur
Strafe die Pflicht auf, die Tat auf sich zu nehmen. Da
tritt Marie hervor, und von der Leiche weg eilen Max
und sie, wortlos, verzweifelt, halb wahnsinnig irgend
wohin, wo sie sich gehören werden.
Im Schlußakt erst erfährt man, was nachher ge¬
schehen. Max kehrt in sein Kasernenzimmer zurück und
erschießt sich an Irenens Leiche. Daß Marie für den
Vatermord nicht vor den Strafrichter gekommen, hat sie
dem milden, klugen, verstehenden und verzeihenden Arzt
zu danken. Dem Forstadjunkten aber bekennt sie alles
und der verwirft sie nicht. Vielleicht, daß die beiden doch
noch einmal den Weg zueinander finden, aber es liegt
nichts daran. Das Stück ist ausgefüllt mit dem fürchter¬
lichen Erlebnis Mariens. In dem neuen Drama
Schnitzlers klingen Töne aus seinem „Schleier der
Beatrice“ wieder. Die Blumen des Lebens am Todes¬
abgrunde pflücken, eine Stunde Glück mit dem Leben
selber bezahlen, in die Wonne des freien Selbstbesitzes
mit elementarer Fessellosigkeit hineinstürmen, das ist dort
und das ist hier das Grundmotiv. Was aber im Re¬
naissancedrama durch gebotene Stilisierung in mildernder
Form verschwindet, rückt hier mit seiner derben Deutlich¬
keit allzu dicht an das Publikum heran und der Eindruck
bleibt äußerlich theatralisch. Manche klug herbeigeführte
Situation packt wohl, manches feine Wort der Lebens¬
weisheit wirbt um gern gewährte Zustimmung, aber eine
tiefere Anteilnahme will sich weder für Schicksale noch
für Menschen einstellen. Indessen fand das Stück leb¬
haften Beifall; Schnitzler wurde nach jedem Akt vielmals
gerufen. Irene Triesch als Marie, Bassermann
als Oberst, Marr als kranker Rittmeister waren aus¬
gezeichnet; auch Kurt Stiolow stellte als Lieutenant
Max eine runde, glaubhafte Persönlichkeit hin. Die
übrigen, Else Lehmann, Rittner und Reicher,
bemühten sich nicht erfolglos um ihre nicht gerade blut¬
vollen Aufgaben.
kann die Schmach gefühnt werden, die das #
dreißig Jahren auf sich gelahen, als es in einer Schlacht
panikartig floh und so die Schlacht verleren wurde.
Während die Truppen vorbeimarschieren, blickt aus dem
Fenster einer ärmlichen Wohnung Marie Moser
angstvoll und sehnsüchtig herab, nach dem Geliebten aus¬
spähend, mit dem sie nur einmal im Ballsaale zusammen¬
gewesen und dem ihre Sinne und ihre Seele zufliegen.
Sie ist an das Krankenbett ihres verbitterten, bösen
Vaters gefesselt, den es freut, das lebensdurstige sechs¬
undzwanzigjährige Mädchen zu quälen und der ihren
wachsenden Haß mit ingrimmigem Tyrannenbehagen
spürt. Er ist erst neunundsiebzig, er will wohl gar
neunzig alt werden, und dann kann sie machen, was sie will,
eher nicht. Er weiß nicht recht, wird sie den Forst¬
adjunkten heiraten, den sie bei seiner Schwägerin kennen
gelernt, oder seinen Arzt. Aber keiner soll sie haben, so
lange er lebt. Der schlimme Mensch ahnt nicht, daß
Mariens Schicksal und seine Vergangenheit wunderlich
gestaltet sind. Denn er war es, der vor dreißig Jahren
als Rittmeister bei den „Blauen Kürassieren“ das Signal
zur Flucht gegeben hatte, und nun liebt Marie einen
Offizier dieses Regiments, das sich dem Tode geweiht hat.
Der Forstadjunkt kommt, aber Marie ist über ihn
hinaus. Sie fühlt die herzliche Bravheit und Güte dieses
kernfesten Mannes, doch sie will, sie kann nicht sein
werden; und da er in sie dringt, bricht es wild aus ihr
heraus und sie bekennt, daß sie alle Sünden schon be¬
gangen, in Gedank fortwährend begehe: Buhlerei,
Untreue, Mord, ja auch Mord, denn keine Stunde vergehe,
wo sie dem Vater nicht den Tod wünsche, ihn selber
ermorden möchte. Ihre Cousine Katharina bestärkt
unwissend den ungeheuren Entschluß in ihr. Das
Mädchen ist schwindsüchtig, auch todgeweiht, und will
genießen, so lange die Lebensflamme brennt. Sie kommt
soeben aus dem Arm eines der Offiziere von den „Blauen
Kürassieren". Sie erzählt, daß die Schwadron, in der
ihr Geliebter und Mariens Ersehnter stehen, erst morgen
Früh auszieht. Marie sieht eine lockende Stunde vor ihren
erregten Sinnen. Sie tut dem poliernden Kranken Gift
ins Glas und stürzt davon zu ihm.
Im zweiten Akt, der in der Kaserne spielt, voll¬
zieht sich Schreckliches. Der Offizier Max ist der Liebling
des Obersten, der offenbar merkt, daß es zwischen seiner
jungen Frau Irene und dem Lieutenant Beziehungen
gibt, der sich den Verdacht aber auch wieder ausreden möchte.
In einer Pause, während Max das Zimmer verlassen,
cilt Marie herein, tritt hinter einen Vorhang und erlebt
nun, ungesehen, eine Katastrophe. Irene kommt und will
Max zur Flucht bereden. Der Oberst kehrt zurück und
erschießt seine Frau, dem Lieutenant aber legt er zur
Strafe die Pflicht auf, die Tat auf sich zu nehmen. Da
tritt Marie hervor, und von der Leiche weg eilen Max
und sie, wortlos, verzweifelt, halb wahnsinnig irgend
wohin, wo sie sich gehören werden.
Im Schlußakt erst erfährt man, was nachher ge¬
schehen. Max kehrt in sein Kasernenzimmer zurück und
erschießt sich an Irenens Leiche. Daß Marie für den
Vatermord nicht vor den Strafrichter gekommen, hat sie
dem milden, klugen, verstehenden und verzeihenden Arzt
zu danken. Dem Forstadjunkten aber bekennt sie alles
und der verwirft sie nicht. Vielleicht, daß die beiden doch
noch einmal den Weg zueinander finden, aber es liegt
nichts daran. Das Stück ist ausgefüllt mit dem fürchter¬
lichen Erlebnis Mariens. In dem neuen Drama
Schnitzlers klingen Töne aus seinem „Schleier der
Beatrice“ wieder. Die Blumen des Lebens am Todes¬
abgrunde pflücken, eine Stunde Glück mit dem Leben
selber bezahlen, in die Wonne des freien Selbstbesitzes
mit elementarer Fessellosigkeit hineinstürmen, das ist dort
und das ist hier das Grundmotiv. Was aber im Re¬
naissancedrama durch gebotene Stilisierung in mildernder
Form verschwindet, rückt hier mit seiner derben Deutlich¬
keit allzu dicht an das Publikum heran und der Eindruck
bleibt äußerlich theatralisch. Manche klug herbeigeführte
Situation packt wohl, manches feine Wort der Lebens¬
weisheit wirbt um gern gewährte Zustimmung, aber eine
tiefere Anteilnahme will sich weder für Schicksale noch
für Menschen einstellen. Indessen fand das Stück leb¬
haften Beifall; Schnitzler wurde nach jedem Akt vielmals
gerufen. Irene Triesch als Marie, Bassermann
als Oberst, Marr als kranker Rittmeister waren aus¬
gezeichnet; auch Kurt Stiolow stellte als Lieutenant
Max eine runde, glaubhafte Persönlichkeit hin. Die
übrigen, Else Lehmann, Rittner und Reicher,
bemühten sich nicht erfolglos um ihre nicht gerade blut¬
vollen Aufgaben.