II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 147

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19. Der Ruf des Lebens
W
Wdhe
sprechen oder auch unterdrücken; es wird schon ein Fäusteballen zu
Künstler und betrachten ein
rohlockender die „Zusammen¬
sehen, ein Aufschrei zu hören sein ... Aber — und darauf kommt es
an — das Malerische der Situation wird ihm keineswegs entgehen.
367. Aphorismus der gaya#
des Gestalters, nicht des
Bald halbbewußt, bald unter der Schwelle des Bewußtseins wird ihn
die Farbenwirkung, die Linienführung, das ganze blutig=groteske Bild
ach eine gewisse Einheit spüren
beschäftigen, quälen und berauschen zugleich. Das ist ... nicht das
gemalt, komponirt, selbst ge¬
Leben. Aber auch nicht des Lebens Gegentheil. Nur ein einziger Zug
zur monologischen Kunst oder
von Millionen Zügen..
ekeinen tieferen Unterschied der
fiesen: ob er mit dem Auge
In dem „Schleier der Beatrice“ war Traum und Wachsein
hin¬
nstwerke (nach „sich“ —)
und die Grenze dieser beiden Symbole im Sonnenglühen der Re¬
k“: was das Wesentliche jeder
naissanee beleuchtet; mit dem wundervollen letzten Reim: „Das
dem Vergessen, sie ist die
Leben ist die Fülle, nicht die Zeit, und noch der nächste Augenblick
schon decken: der Künstler, der
ist weit!“ Der „Einsame Weg“ gab eine Friedhofstimmung; die
Zeugen, die den Künstler als
Stimmung des Friedhofes, in dem farbige Blumen blühen; einen
or der monologischen Kunst;
Rückblick in der Abenddämmerung auf den ereigaißvollen Tag; ein
kt. Vielleicht, vielleicht — in
leises, hier überlegenes, dort sentimentales Kokettiren mit dem Sterben.
muß man doppelt vorsichtig
Herr v. Sala sprach: „Gibt es einen anständigen Menschen, der in
uung Heinrich Heine's. Und be¬
irgend einer guten Stunde in tiefster Seele an etwas Anderes denkt?“
eden kühn — ist der größte, der
Nun war der richtige, der einzige Gegensatz gefunden. Der Tod.
dt: Arthur Schnitzler.
Arthur Schnitzler, der Denker, hat über dieses Thema das Seinige
keitmotiv seiner Dichtung. Das
gesagt (und der Eine nannte ihn höflich einen Philosophen, der An¬
er Einsiedler von Sils=Maria
dere spöttisch einen Raisonneur). Jetzt mußte der Dichter Arthur
Schnitzler den „Ruf des Lebens“ in einem Drama gestalten. Jeder
rWerthe hat heutzutage vor¬
ige, unmenschliche Begrüßung
sah diese Aufgabe voraus und Jeder hoffte freudig auf die Erfüllung.
Wir dürfen weiter hoffen. Er gab einstweilen nur den Titel
hento mori muß endlich ver¬
hustra haben einen fröhlichen,
und ein dreiaktiges Theaterstück dazu. Er erzählt von dem neunund¬
Eket des Lebens! Immer und
siebzigjährigen Moser, der vor einem Menschenalter Rittmeister bei
den „blauen Kürassieren“ war und der den Verlust einer wichtigen
Arthur Schnitzler's wieder und
ußter in einem leidenschaftlichen
Schlacht auf dem Gewissen hat. Denn in dem entscheidenden Augen¬
blicke hat er plötzlich, unerklärlicherweise Angst bekommen; gefühlt,
Gegensatz des Lebens; er fand
daß alle Begriffe, wie Ehre, Vaterland gleichgiltig sind und das
en Gegensaß. Der pensionirte
Wichtigste, das Einzig=Wichtige das Leben sei. Er hat später ein
erst den jungen Dichter, den
Weib genommen, ein Kind gekriegt und trotz Einsamkeit und
ieines ewigen Rechtes, einer
ierbaren Wahrheit: „Was ist
Krankheit will er noch zwei, fünf, zehn Jahre weiterleben, wenn
möglich all die Jungen überleben. Seine Tochter Marie wartet ver¬
gund wenn Du das größte
gebens auf den Ruf des Lebens; der alte, verbitterte, böse Mann
gegen so eineStunde,
läßt die zuverlässigste Pflegerin nicht frei; er meint, sie ist jetzt sechs¬
ine Mutter hier auf dem Lehn¬
undzwanzig; auch wenn er neunzig Jahre alt werde, habe sie noch
hat, oder auch geschwiegen —
Zeit und Lust und Schönheit genug. Ein einziges Mal war sie mit
hat gelebt, gelebt!“ Deine ganze
der Tante Toni und der Base Katharina auf einem Ball und tanzte
sitz. Die Literatur, die wie eine
eKunst, die in einem geschmückten
die Nacht durch mit einem schönen Lieutenant; das war aber genug,
iume das Leben wegeskamotirt.
um den braven Forstadjunkten, dem sie sich ohne Worte, nur mit
einem Blick und einem Händedruck versprach, zu vergessen, — um alles
mit eigem Nebenbuhler ertappt,
Uebrige in der Welt zu vergessen. Der Arzt hätte sie früher auf die
n den sicheren Tod verspricht, der
Pflichten gegen sich selbst aufmerksam machen sollen.
rdo zueilt und ihm den Dolch in
„Da lag das Leben vor mir ... Und wär' es nur für einen
o, der dann zuletzt nur die schöne
Tag und eine Nacht gewesen, es war das Leben, das mich rief, das
n Weibes betrachtet und entzückt
mich erwartete. Nun ist es davongeflohen, und ich hab' es verschlasen,
emigio ist kein Lebendiger nehr.
und Sie wecken mich auf! ...“ Es ist davongeflohen, denn die
fhrung noch widersprechen? ...
blauen Kürassiere, bei denen auch der Held der Ballnacht dient, rücken
und Leben keine Gegensätze. Die
in den sicheren Tod, um die alte Schmach des Regiments gutzu¬
oquis=Style erzählt. Ein betrogener
machen. Die Offiziere haben sich zugeschworen, daß keiner aus dem
kstreich=würdevoll, nie so papiern;
len, einen peinlichen Gedanken
Kriege lebend zurücksehrt. In der letzten Stunde bringt die Base
Katharina, die im Bewußtsein ihrer tödtlichen Krankheit die vielen
Pattin oder gegen sich selbst aus¬
Köstlichkeiten des Lebens rasend rasch genießen will — „jede Stunde
ist lang; so viele Leben leben wir!“ —, einen guten Rath, einen
guten Gruß, eine gute Nachricht. Sie sagt: „Nur die sich an viel
zu erinnern haben, schlafen ruhig in der Erde, die Anderen ...
weißt Du 's nicht? . .. flattern und klagen über der Erde umher.“
Und der Lieutenant Max läßt die blasse Marie fragen, warum sie
ihn umsonst hat warten lassen. Und seine Schwadron ist noch nicht
fort wie die übrigen blauen Kürassiere; er reitet erst morgen in den
Tod. Mariens Entschluß ist sofort gefaßt; nur diese letzte Nacht gehört
mehr ihr; nun muß sie zu ihm. Der argwöhnische Alte zieht den Schlüssel
der Ausgangsthüre ab und Marie muß ihren Vater ermorden, wenn sie
fortgehen will. Und Marie ermordet ihren Vater. — Der zweite Akt.
in der Kaserne. Der Lieutenant Max sagt zu seinem Vorgesetzten:
„Ich denke, Herr Oberst, es läßt sich zur Noth auch in einer Stunde,
soviel erleben, daß Einem zu erleben nichts mehr übrig bleibt.“ —
„Das sagt sich so,“ antwortete der witzige Oberst; doch der Dichter
läßt sich nicht zurückschrecken und demonstrirt seinen Satz in zehn
Minuten. Marie schleicht ein. Versteckt sich hinter einem Vorhang.
Dann kommt Irene, die Frau des Obersten, und will ihren Geliebten,
den nämlichen Max, zu einer Flucht überreden. Gläsergeklirre. Der
Oberst tritt durch das Fenster ein. Er sagt zwei Apereus und
erschießt seine Frau. Max läßt er am Leben. Dieser sucht seinen
Revolver hervor und ... Da stürzt Marie zu ihm. „Du bist
gekommen?“ — „Ja.“ — „Du hast Alles gehört?“ — „Ja.“
„Gehe. .. — „Ich bleibe hier.“ Und Max erschießt sich erst am
nächsten Morgen. — Im ersten Aufzuge eine Vergiftung, im zweiten
ein Mord und ein Selbstmord, für den Schlußakt bleibt nur eine
Wahnsinns= oder Fieberszene mit natürlichem Tode übrig. Der
Forstadjunkt nimmt Abschied, der Arzt nimmt Abschied,
Katharina stirbt und Marie lebt in dem Aberglauben
weiter, daß ihre Spiele ausgespielt sind. Der Doktor kennt
sie besser. „Wer weiß, ob Ihnen nicht später — viel später einmal
aus einem Tag wie der heutige der Ruf des Lebens viel reiner und
tiefer in die Seele klingen wird . . .“ Der Ruf des Lebens; denn in
diesem Stücke der lebensgierigen Todgeweihten wird die letzte Wahr¬
heit folgendermaßen formulirt: „Es kommt nichts nach uns. Wenn die
Sonne herunterstürzt in Millionen Jahren, klingt's uns geradeso laut,
wie die Nachrede des Feldvikars an unserer Gruft. Nichts kommt nach
uns. Alles stirbt mit uns. Unser eigener Mörder, während er uns den
Dolch ins Herz gräbt, stirbt mit uns.“ Und der Doktor wiederholt
diese letzte Wahrheit: „Ihnen scheint die Sonne noch und mir und
denen... (Er weist auf die Kinder, die eben über die Wiese laufen.)
Der da nicht mehr. (Er weist auf, die todte Katharina.) Ich weiß nichts
Anderes auf Erden, das gewiß wäre.“
Ich habe die feinen, werthvollen Gedanken Schnitzler's wörtlich
angeführt; sein grobes Theaterstück nur angedeuket. Auch die Ent¬
hüllung der billigen Mache wäre zu leicht. „Man muß die Zusammen¬
hänge begreifen,“ meint einer seiner Helden; hier schreien die
Zusammenhänge Jeden an. Das Werk wird vermuthlich ein „Rosen¬
montag“ werden; der große Kassenerfolg mit dem Beifall der Viel=zu¬
Vielen. Schadet nichts. Arthur Schnitzler wird seinen eisamen Weg
darum weitergehen.
Berlin, 25. Feber.
Eugen Robert.)
ANR. 1