19. Der Ruf des Lebens box 24/2
liegen Vatermord und sündige Leidenschaft. Aber das Leben
geht auch daran vorüber. Mit jedem Morgen erneut sich die
9 Teutileton.
Sonne, die Knospe öffnet sich zur Blume, die müden Glieder
des schlafrufenden Abends hat der junge Tag erfrischt. So gibt
es einen andern Ruf des Lebens, der nichts von aufbegehrender
Leidenschaft weiß, und der vielleicht stärker ist, da er unmerk¬
Berliner Theater.
lich lockt. Auch Marie erfährt dies neue Werben des Lebens.
So klingt nach wildem Leidenschaftshymnus Schnitzlers Drama
(Lessingtheater: „Der Ruf des Lebens“. Schauspiel in 3 Akten von Arthur
in sänftigenden Akkorden aus.
Schnitzler.)
Oder es war wenigstens so gedacht. Denn es ist wohl offen¬
Berlin, 25. Februar.
bar, daß sich Schnitzler mit solchem Ausgang von neuem in
Blickt ein Lebendes in den Spiegel des Todes, so krampfen
seinen alten Fehler verloren hat, das Dramatische ins Epische
sich die Nerven zusammen, das Blut kreist wilder, und — wie ein
hinüberzukeiten. Was die Zeit als Zeit an guten Gaben in
Tier, das sich vom übermächtigen Gegner nicht beschleichen lassen
ihrem Schoße birgt, kann für das Drama nicht verwertet wer¬
will — setzt es zum verwegenen Sprunge an, hinein in den Ab¬
den. Wenn Schnitzler es trotzdem versucht, so greift er damit
grund von Verbrechen, Leidenschaft und Lust. Es ist das alte
in den Roman hinüber, er erscheint doktrinär, weil das drama¬
Thema des „Schleiers der Beatrice“, das Arthur Scmen
Etische Ausdrucksmittel fehlt. Doch ist das leioer nicht der
in seinem neuen Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ wieder
schwerste Vorwurf, den man gegen den „Ruf des Lebens“ er¬
angegriffen hat. Er hat ihm neue Seiten abgewonnen, er hat
heben muß. Auch in dem eigentlich Dramatischen, in diesen
gedanklich wundersame Fernblicke erschlossen, er ist als Dra¬
handlungsstarken Eingangsakten, hat er die Wirkung, die er¬
'matiker daran gescheitert.
reicht werden mußte, nicht erzielt. Er hat nicht von innen
Vor dreißig Jahren haben die blauen Kürassiere ihren
heraus gestaltet, er hat die Handlung nicht in folgerichtiger
Posten in der Schlacht nicht gehalten, in wilder Flucht haben sie
Gradlinigkeit aufgebaut, er hat seiner komplizierenden Art
das Feld geräumt. Jetzt, da die Kriegstrompete wieder ruft,
nach nebeneinander geschichtet. Er motiviert, ich möchte sagen,
wir stehen um die Mitte des 19. Jahrhunderts — hat der
rein aceidentell. Wie kommt Marie zur Ausführung des furcht¬
Oberst des Regiments die Losung ausgegeben, es gelte die be¬
baren Gedankens, dem Vater das Gift zu reichen? Durch
schmutzte Fahne reinzuwaschen mit Blut, der Tod müsse das
Anlässe, nicht aus innerem Kampf heraus. Der Arzt, der
Feldgeschrei des ganzen Regiments, eines jeden einzelnen Rei¬
täglich bei ihnen ein= und ausgeht, hat ihr dies letzte Rettungs¬
ters werden. Zum Todesritt reiten die blauen Kitrassiere aus.
mittel nahegelegt. Eine schwindsüchtige Freundin, die den
Die Tochter des Mannes, der damals vor dreißig Jahren in
nahen Tod vor Augen (das Hauptmotiv klingt wieder an) ihr
feigem Entsetzen das Signal zur Flucht gegeben, liebt einen
Leben durstend ausgenießt, gibt durch ihr bloßes Dasein
der todgeweihten Offiziere. Aber ihr wird keine Gelegenheit,
Maries geheimem Wunsch den Willen zur Tat. Aber das sind
ihn zu sehen, zu sprechen. Ihr Vater, mit dem Leben und mit
doch eben nur Schneebälle, die im Drama den Niedergang einer
sich selbst zerfallen, von tödlicher Krankheit umgarnt, hält sie
Lawine nicht ohne weiteres rechtfertigen können. Und am
in argwöhnischer, selbstsüchtiger Haft. Er quält sie bis aufs
Schlusse des zweiten Aktes wiederholt sich dieselbe Frage, und
Blut. Er prostituiert ihre heiligsten Empfindungen. Er drillt
die Antwort fällt noch unbefriedigender aus. Mag sein, daß
sie zu seiner Pflege bei Tag und bei Nacht, und wie ein Vampyr
Marie, nachdem sie an einer Leiche vorübergegangen, auch
saugt er ihre Kräfte auf. Nur eine Nacht ist ihr geblieben,
die zweite nichts achtet. Wie aber vermag der junge Offizier
die sie mit dem Geliebten vereinen könnte, und nun — wie
das letzte Lebensfest zu feiern, nachdem ihm sein Leben über
Gretchen der Mutter, reicht sie dem Vater die Schlaftropfen so
der getöteten Frau also ins Nichts zerronnen? Möglich ist
ungemessen, daß es für ihn kein Aufwachen mehr gibt. Von
alles. Es kommt nur darauf an, es zwingend zu gestalten.
seiner Leiche eilt sie zu dem Geliebten.
Das aber ist Schnitzler so wenig gelungen, daß die Figur dieses
In dessen Zimmer aber muß sie, versteckt, Zeugin einer
Lebens=Gladiators überhaupt schemenhaft bleibt.
furchtbaren Schicksalsabrechnung werden. Der junge Offizier,
Ich schreibe eine widerspruchsvolle Kritik über ein wider¬
den sie liebt, war ein Verhältnis mit der Frau seines Obersten
spruchsvolles Werk. Wie ein Wanderer einen steinigen und an
eingegangen. Diese Frau betritt mit ihrem Liebhaber das
sich reizlosen Weg wählt, fortsetzt und wieder begeht, weil er
Zimmer, sie wird von dem Oberst überrascht und niederge¬
ihm eigenartige Fernblicke bietet, so weiß ich, daß ich zu diesem
schossen. Wieder liegt eine Leiche zwischen Marie und dem
„Ruf des Lebens“ vielleicht des öfteren wiederkehren werde, ge¬
Manne, den sie liebt und den der Tod gezeichnet, — sie achten
wiß nicht als Theatergänger, aber als Leser. Dies Drama
es nicht, unter den Schatten des Todes feiern sie in wilder
gehört zu denen, welchen die Bühne nichts und die der Bühne
Leidenschaft ihr Hochzeitsfest. Am andern Morgen aber jagt
garnichts leisten. Aber es spielen feine Reflexe gedanklicher
sich der junge Offizier eine Kugel durch die Stirn.
Art über die Dichtung. Es ist etwas Irrlichtelierendes um die
So sind zwei Akte, mit äußerer Handlung stark belastet,
Geschehnisse herum. Die Luft, die allzeit Bewegliche, ist gleich¬
vorübergegangen, leise, andeutend und ahnungsvoll klingt der
sam mitgemalt. Ein Beispiel-für viele. Die blauen Kürassiere
Schlußakt aus. Auf dem Lebenswege, den Marie beschritten, treten den Todesritt ah, weil vor dreißig Jahren durch ihre
Flacht eine Schlacht verloren, gegg
fest, daß ihr Verhalten die Entschei
Mann, der damals aus Lebenshung
chen gab, sieht sich nun durch den
um sein Leben verkürzt, denn nu
Stünde, kommt die Tochter zu der
role zum freiwilligen Untergang
ausgegeben. Warum tut er das?#
daran, eine längst vergessene Schm
vielmehr sein Leben unerträglich g
Frau, die ihn betrügt? Und wen
ganze Todesritt höchst überflüssig,
dem Leben geschieden sind? Endl
der seinen Oberst durchschaut, die
gleichsam auf Epigrammpointen ste
unverwundet aus der Schlacht, in
sind. Er bleibt unverwundet, um
nehmen, denn für ihn allein ist ei
mimöglich. So fieht man, wie die
tungseffekte die Geschehnisse unispil
lich zu einem Werke hingezogen, da
als Charakterschilderung, preisgebe
Die Aufführung des Lessin
gleich. Frl. Triesch bot in
Schövfung voll inneren Lebens un
fand in ihr eine glaubwürdige,
Täterin. Herr Bassermann
gleichsam auf erzernes Postament.
drck, jedes Mienenspiel Charakte
auch Herr Stieler den jungen
ließen das junge Blut lebensvolle
in Herrn Reicher, Maries Var
vortrefflichen und sicheren Darste
Rittner unerlaubt schlecht, er
eine der wichtigsten und kecksten
Ftl. Hofmann erging sich a
lichstem, unwürdigem Dilettantisn
in diesem Drama eigenartig, gebal
für den Zustand unserer Bühnk
der Darsteller gänzlich unfehig
Diktion zu ihrem Rechte zu ver
Versuche, das moderne Drama aus
erlösen, scheitern an der Unbildung
tern an der Gestaltungsohnmacht u
liegen Vatermord und sündige Leidenschaft. Aber das Leben
geht auch daran vorüber. Mit jedem Morgen erneut sich die
9 Teutileton.
Sonne, die Knospe öffnet sich zur Blume, die müden Glieder
des schlafrufenden Abends hat der junge Tag erfrischt. So gibt
es einen andern Ruf des Lebens, der nichts von aufbegehrender
Leidenschaft weiß, und der vielleicht stärker ist, da er unmerk¬
Berliner Theater.
lich lockt. Auch Marie erfährt dies neue Werben des Lebens.
So klingt nach wildem Leidenschaftshymnus Schnitzlers Drama
(Lessingtheater: „Der Ruf des Lebens“. Schauspiel in 3 Akten von Arthur
in sänftigenden Akkorden aus.
Schnitzler.)
Oder es war wenigstens so gedacht. Denn es ist wohl offen¬
Berlin, 25. Februar.
bar, daß sich Schnitzler mit solchem Ausgang von neuem in
Blickt ein Lebendes in den Spiegel des Todes, so krampfen
seinen alten Fehler verloren hat, das Dramatische ins Epische
sich die Nerven zusammen, das Blut kreist wilder, und — wie ein
hinüberzukeiten. Was die Zeit als Zeit an guten Gaben in
Tier, das sich vom übermächtigen Gegner nicht beschleichen lassen
ihrem Schoße birgt, kann für das Drama nicht verwertet wer¬
will — setzt es zum verwegenen Sprunge an, hinein in den Ab¬
den. Wenn Schnitzler es trotzdem versucht, so greift er damit
grund von Verbrechen, Leidenschaft und Lust. Es ist das alte
in den Roman hinüber, er erscheint doktrinär, weil das drama¬
Thema des „Schleiers der Beatrice“, das Arthur Scmen
Etische Ausdrucksmittel fehlt. Doch ist das leioer nicht der
in seinem neuen Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ wieder
schwerste Vorwurf, den man gegen den „Ruf des Lebens“ er¬
angegriffen hat. Er hat ihm neue Seiten abgewonnen, er hat
heben muß. Auch in dem eigentlich Dramatischen, in diesen
gedanklich wundersame Fernblicke erschlossen, er ist als Dra¬
handlungsstarken Eingangsakten, hat er die Wirkung, die er¬
'matiker daran gescheitert.
reicht werden mußte, nicht erzielt. Er hat nicht von innen
Vor dreißig Jahren haben die blauen Kürassiere ihren
heraus gestaltet, er hat die Handlung nicht in folgerichtiger
Posten in der Schlacht nicht gehalten, in wilder Flucht haben sie
Gradlinigkeit aufgebaut, er hat seiner komplizierenden Art
das Feld geräumt. Jetzt, da die Kriegstrompete wieder ruft,
nach nebeneinander geschichtet. Er motiviert, ich möchte sagen,
wir stehen um die Mitte des 19. Jahrhunderts — hat der
rein aceidentell. Wie kommt Marie zur Ausführung des furcht¬
Oberst des Regiments die Losung ausgegeben, es gelte die be¬
baren Gedankens, dem Vater das Gift zu reichen? Durch
schmutzte Fahne reinzuwaschen mit Blut, der Tod müsse das
Anlässe, nicht aus innerem Kampf heraus. Der Arzt, der
Feldgeschrei des ganzen Regiments, eines jeden einzelnen Rei¬
täglich bei ihnen ein= und ausgeht, hat ihr dies letzte Rettungs¬
ters werden. Zum Todesritt reiten die blauen Kitrassiere aus.
mittel nahegelegt. Eine schwindsüchtige Freundin, die den
Die Tochter des Mannes, der damals vor dreißig Jahren in
nahen Tod vor Augen (das Hauptmotiv klingt wieder an) ihr
feigem Entsetzen das Signal zur Flucht gegeben, liebt einen
Leben durstend ausgenießt, gibt durch ihr bloßes Dasein
der todgeweihten Offiziere. Aber ihr wird keine Gelegenheit,
Maries geheimem Wunsch den Willen zur Tat. Aber das sind
ihn zu sehen, zu sprechen. Ihr Vater, mit dem Leben und mit
doch eben nur Schneebälle, die im Drama den Niedergang einer
sich selbst zerfallen, von tödlicher Krankheit umgarnt, hält sie
Lawine nicht ohne weiteres rechtfertigen können. Und am
in argwöhnischer, selbstsüchtiger Haft. Er quält sie bis aufs
Schlusse des zweiten Aktes wiederholt sich dieselbe Frage, und
Blut. Er prostituiert ihre heiligsten Empfindungen. Er drillt
die Antwort fällt noch unbefriedigender aus. Mag sein, daß
sie zu seiner Pflege bei Tag und bei Nacht, und wie ein Vampyr
Marie, nachdem sie an einer Leiche vorübergegangen, auch
saugt er ihre Kräfte auf. Nur eine Nacht ist ihr geblieben,
die zweite nichts achtet. Wie aber vermag der junge Offizier
die sie mit dem Geliebten vereinen könnte, und nun — wie
das letzte Lebensfest zu feiern, nachdem ihm sein Leben über
Gretchen der Mutter, reicht sie dem Vater die Schlaftropfen so
der getöteten Frau also ins Nichts zerronnen? Möglich ist
ungemessen, daß es für ihn kein Aufwachen mehr gibt. Von
alles. Es kommt nur darauf an, es zwingend zu gestalten.
seiner Leiche eilt sie zu dem Geliebten.
Das aber ist Schnitzler so wenig gelungen, daß die Figur dieses
In dessen Zimmer aber muß sie, versteckt, Zeugin einer
Lebens=Gladiators überhaupt schemenhaft bleibt.
furchtbaren Schicksalsabrechnung werden. Der junge Offizier,
Ich schreibe eine widerspruchsvolle Kritik über ein wider¬
den sie liebt, war ein Verhältnis mit der Frau seines Obersten
spruchsvolles Werk. Wie ein Wanderer einen steinigen und an
eingegangen. Diese Frau betritt mit ihrem Liebhaber das
sich reizlosen Weg wählt, fortsetzt und wieder begeht, weil er
Zimmer, sie wird von dem Oberst überrascht und niederge¬
ihm eigenartige Fernblicke bietet, so weiß ich, daß ich zu diesem
schossen. Wieder liegt eine Leiche zwischen Marie und dem
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Manne, den sie liebt und den der Tod gezeichnet, — sie achten
wiß nicht als Theatergänger, aber als Leser. Dies Drama
es nicht, unter den Schatten des Todes feiern sie in wilder
gehört zu denen, welchen die Bühne nichts und die der Bühne
Leidenschaft ihr Hochzeitsfest. Am andern Morgen aber jagt
garnichts leisten. Aber es spielen feine Reflexe gedanklicher
sich der junge Offizier eine Kugel durch die Stirn.
Art über die Dichtung. Es ist etwas Irrlichtelierendes um die
So sind zwei Akte, mit äußerer Handlung stark belastet,
Geschehnisse herum. Die Luft, die allzeit Bewegliche, ist gleich¬
vorübergegangen, leise, andeutend und ahnungsvoll klingt der
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Flacht eine Schlacht verloren, gegg
fest, daß ihr Verhalten die Entschei
Mann, der damals aus Lebenshung
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um sein Leben verkürzt, denn nu
Stünde, kommt die Tochter zu der
role zum freiwilligen Untergang
ausgegeben. Warum tut er das?#
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vielmehr sein Leben unerträglich g
Frau, die ihn betrügt? Und wen
ganze Todesritt höchst überflüssig,
dem Leben geschieden sind? Endl
der seinen Oberst durchschaut, die
gleichsam auf Epigrammpointen ste
unverwundet aus der Schlacht, in
sind. Er bleibt unverwundet, um
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mimöglich. So fieht man, wie die
tungseffekte die Geschehnisse unispil
lich zu einem Werke hingezogen, da
als Charakterschilderung, preisgebe
Die Aufführung des Lessin
gleich. Frl. Triesch bot in
Schövfung voll inneren Lebens un
fand in ihr eine glaubwürdige,
Täterin. Herr Bassermann
gleichsam auf erzernes Postament.
drck, jedes Mienenspiel Charakte
auch Herr Stieler den jungen
ließen das junge Blut lebensvolle
in Herrn Reicher, Maries Var
vortrefflichen und sicheren Darste
Rittner unerlaubt schlecht, er
eine der wichtigsten und kecksten
Ftl. Hofmann erging sich a
lichstem, unwürdigem Dilettantisn
in diesem Drama eigenartig, gebal
für den Zustand unserer Bühnk
der Darsteller gänzlich unfehig
Diktion zu ihrem Rechte zu ver
Versuche, das moderne Drama aus
erlösen, scheitern an der Unbildung
tern an der Gestaltungsohnmacht u