II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 149

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19. Der Ruf des Lebens
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liegen Vatermord und sündige Leidenschaft. Aber das Leben
geht auch daran vorüber. Mit jedem Morgen erneut sich die
euilleton.
Sonne, die Knospe öffnet sich zur Blume, die müden Glieder
des schlafrufenden Abends hat der junge Tag erfrischt. So gibt
es einen andern Ruf des Lebens, der nichts von aufbegehrender
Leidenschaft weiß, und der vielleicht stärker ist, da er unmerk¬
liner Theater.
lich lockt. Auch Marie erfährt dies neue Werben des Lebens.
So klingt nach wildem Leidenschaftshymnus Schnitzlers Drama
des Lebens“. Schauspiel in 3 Akten von Arthur
in sänftigenden Akkorden aus.
Schnitzler.)
Oder es war wenigstens so gedacht. Denn es ist wohl offen¬
Berlin, 25. Februar.
bar, daß sich Schnitzler mit solchem Ausgang von neuem in
s in den Spiegel des Todes, so krampfen
seinen alten Fehler verloren hat, das Dramatische ins Epische
nen, das Blut kreist wilder, und — wie ein
hinüberzuleiten. Was die Zeit als Zeit an guten Gaben in
rmächtigen Gegner nicht beschleichen lassen
ihrem Schoße birgt, kann für das Drama nicht verwertet wer¬
Erwegenen Sprunge an, hinein in den Ab¬
den. Wenn Schnitzler es trotzdem versucht, so greift er damit
, Leidenschaft und Lust. Es ist das alte
in den Roman hinüber, er erscheint doktrinär, weil das drama¬
der Beatrice“, das Arthur SchmitzlenLtische Ausdrucksmittel fehlt. Doch ist das leider nicht der
spiel „Der Ruf des Lebens“ wieder
schwerste Vorwurf, den man gegen den „Ruf des Lebens“ er¬
hat ihm neue Seiten abgewonnen, er hat
heben muß. Auch in dem eigentlich Dramatischen, in diesen
e Fernblicke erschlossen, er ist als Dra¬
handlungsstarken Eingangsakten, hat er die Wirkung, die er¬
escheitert.
reicht werden mußte, nicht erzielt. Er hat nicht von innen
kren haben die blauen Kürassiere ihren
heraus gestaltet, er hat die Handlung nicht in folgerichtiger
nicht gehalten, in wilder Flucht haben sie
Gradlinigkeit aufgebaut, er hat seiner komplizierenden Art
etzt, da die Kriegstrompete wieder ruft,
nach nebeneinander geschichtet. Er motiviert, ich möchte sagen,
Mitte des 19. Jahrhunderts — hat der
rein accidentell. Wie kommt Marie zur Ausführung des furcht¬
die Losung ausgegeben, es gelte die be¬
baren Gedankens, dem Vater das Gift zu reichen? Durch
uwaschen mit Blut, der Tod müsse das
Anlässe, nicht aus innerem Kampf heraus. Der Arzt, der
n Regiments, eines jeden einzelnen Rei¬
täglich bei ihnen ein= und ausgeht, hat ihr dies letzte Rettungs¬
kodesritt reiten die blauen Kürassiere aus.
mittel nahegelegt. Eine schwindsüchtige Freundin, die den
Kannes, der damals vor dreißig Jahren in
nahen Tod vor Augen (das Hauptmotiv klingt wieder an) ihr
Signal zur Flucht gegeben, liebt einen
Leben durstend ausgenießt, gibt durch ihr bloßes Dasein
iziere. Aber ihr wird keine Gelegenheit,
Maries geheimem Wunsch den Willen zur Tat. Aber das sind
shen. Ihr Vater, mit dem Leben und mit
doch eben nur Schnecbälte, die im Drama den Niedergang einer
von tödlicher Krankheit umgarnt, hält sie
Lawine nicht ohne weiteres rechtfertigen können. Und am
bstsüchtiger Haft. Er quält sie bis aufs
Schlusse des zweiten Aktes wiederholt sich dieselbe Frage, und
ihre heiligsten Empfindungen. Er drillt
die Antwort fällt noch unbefriedigender aus. Mag sein, daß
iTag und bei Nacht, und wie ein Vampyr
Marie, nachdem sie an einer Leiche vorübergegangen, auch
auf. Nur eine Nacht ist ihr geblieben,
die zweite nichts achtet. Wie aber vermag der junge Offizier
ebten vereinen könnte, und nun — wie
das letzte Lebensfest zu feiern, nachdem ihm sein Leben über
reicht sie dem Vater die Schlaftropfen so
der getöteten Frau also ins Nichts zerronnen? Möglich ist
Für ihn kein Aufwachen mehr gibt. Von
alles. Es kommt nur darauf an, es zwingend zu gestalten.
zu dem Geliebten.
Das ober ist Schnitzler so wenig gelungen, daß die Figur dieses
Er aber muß sie, versteckt, Zeugin einer
Lebens=Gladiators überhaupt schemenhaft bleibt.
abrechnung werden. Der junge Offizier,
Ich schreibe eine widerspruchsvolle Kritik über ein wider¬
Verhältnis mit der Frau seines Obersten
spruchsvolles Werk. Wie ein Wanderer einen steinigen und an
Frau betritt mit ihrem Liebhaber das

sich reizlosen Weg wählt, fortsetzt und wieder begeht, weil er
n dem Oberst überrascht und niederge¬
ihm eigenartige Fernblicke bietet, so weiß ich, daß ich zu diesem
gt eine Leiche zwischen Marie und dem
„Ruf des Lebens“ vielleicht des öfteren wiederkehren werde, ge¬
und den der Tod gezeichnet, — sie achten
wiß nicht als Theatergänger, aber als Leser. Dies Drama
Schatten des Todes feierti sie in wilder
gehört zu denen, welchen die Bühne nichts und die der Bühne
zeitsfest. Am andern Morgen aber jagt
garnichts leisten. Aber es spielen feine Reflexe gedanklicher
r eine Kugel durch die Stirn.
Art über die Dichtung. Es ist etwas Irrlichtelierendes um die
te, mit äußerer Handlung stark belastet,
Geschehnisse herum. Die Luft, die allzeit Bewegliche, ist gleich¬
se, andeutend und ahnungsvoll tlingt der
sam mitgemalt. Ein Beispiel-für viele. Die blauen Kürassiere
dem Lebenswege, den Marie beschritten, treten den Todesritt ah, weil vor dreißig Jahren durch ihre
1
Flucht eine Schlacht verloren, gegangen. Aber es steht nicht
fest, daß ihr Verhalten die Entscheidung herbeigeführt hat. Der
Mann, der damals aus Lebenshunger zur Flucht das erste Zei¬
chen gab, sieht sich nun durch den letzten Gang des Regiments
um sein Leben verkürzt, denn nur so, durch die drängende
Stunde, kommt die Tochter zu der mörderischen Tat. Die Pa¬
role zum freiwilligen Untergang der Seinen hat der Oberst
ausgegeben. Warum tut er das? Liegt ihm wirklich soviel
daran, eine längst vergessene Schmach zu sühnen, ist ihm nicht
vielmehr sein Leben unerträglich geworden an der Seite einer
Frau, die ihn betrügt? Und wenn dem so ist, wird nicht der
ganze Todesritt höchst überflüssig, da die Schuldigen vorher aus
dem Leben geschieden sind? Endlich aber: ein Offizier ist es,
der seinen Oberst durchschaut, diesen Mann, der sein Leben
gleichsam auf Epigrammpointen stellt. Dieser eine kehrt allein
uverwundet aus der Schlacht, in der die andern alle gefallen
sind. Er bleibt unverwundet, um sich alsbald das Leben zu
nehmen, denn für ihn allein ist ein Weiterfristen des Daseins
unmöglich. So sieht man, wie die kecksten, ironischen Beleuch¬
tungseffekte die Geschehnisse unispielen, man fühlt sich gedank¬
lich zu einem Werke hingezogen, das man als Drama, ja, selbst
als Charakterschilderung, preisgeben muß.
Die Aufführung des Lessingtheaters war arg un¬
gleich. Frl. Triesch bot in der Rolle der Marie eine
Schöpfung voll inneren Lebens und reich an Anmnt. Die Tat
fand in ihr eine glaubwürdige, und doch verzeihenswerte
Täterin. Herr Bassermann erhob die Gestalt des Oberst
gleichsam auf erzernes Postament. Jede Bewegung war Aus¬
druck, jedes Mienenspiel Charakteristik. Sehr sympathisch gab
auch Herr Stieler den jungen Offizier, die Todesschatten
ließen das junge Blut lebensvoller erscheinen, der Arzt fand
in Herrn Reicher, Maries Vater in Herrn Marr einen
vortrefflichen und sicheren Darsteller. Dagegen spielte Herr
Ritiner unerlaubt schlecht, er spielte seine Rolle und damit
eine der wichtigsten und kecksten Szenen geradezu zunichte, und
Frl. Hofmann erging sich als Schwindsüchtige in kläg¬
lichstem, unwürdigem Dilettantismus. Schnitzlers Sprache ist
in diesem Drama eigenartig, gedankentief und geistreich: es ist 1
für den Zustand unserer Bühnenkunst charakteristisch, daß viele
der Darsteller gänzlich unfchig waren, dieser gehobenen
Diktion zu ihrem Rechte zu verhelfen. Und so scheitern alle
Versuche, das moderne Drama aus der Grube der Banalität zu
erlösen, scheitern an der Unbildung inserer Schauspieler, schei¬
tern an der Gestaltungsohnmacht unserer=Dichter. E. H.