19. Der Ruf des Lebens
box 24/2
Die Schaubühne
247
Ich glaube damit die Hauptzüge vereinigt zu haben, die
Schnitzler den schnurrigen Vorwurf eingetragen haben, er sei mit
diesem Schauspiel zu Sudermann herabgesunken. Giftpulver und
Schießpulver, zwei Lauscher hinter der Wand, drei Leichen, vier
Leichen — das kann nur schlimmste Theatralik sein, eine Spe¬
kulation auf die niedrigsten Instinkte der Masse; doppelt ver¬
ächtlich, weil die Spekulation mißglückt ist. Du lieber Himmel!
Wenn Schnitzler imstande wäre, sich die Arbeit so leicht zu machen
wie seine Kritiker, würde er am Ende auch ein leidliches Theater¬
stück fertig bringen. Der Fall ist doch wol ein bißchen ver¬
wickelter. Grillparzers „Traum ein Leben“ kommt zu dem
Ergebnis: „Eines nur ist Glück hienieden, eins: des Innern
stiller Frieden und die schuldbefreite Brust! Und die Größe
ist gefährlich, und der Ruhm ein leeres Spiel; was
er gibt, sind nichtge Schatten, was er nimmt, es
ist so viel!" Aber er kommt zu diesem Ergebnis
erst, nachdem die Gefahren der Größe und das Spiel des Ruhms
in bunten Bildern an uns vorübergerauscht sind. Im dritten Akt
von Schnitzlers „Ruf des Lebens“ spricht zu Marie ihr Seelenarzt:
„Wer weiß, ob Ihnen nicht später, viel später einmal aus einem
Tag wie der heutige der Ruf des Lebens viel reiner und tiefer in
die Seele klingen wird als aus jenem andern, an dem Sie Dinge
erlebten, die so furchtbare und glühende Namen tragen wie Mord
und Liebe.“ Diese Dinge zeigt Schnitzler im zweiten Akt. Aber
sie sind bei ihm alles andre als furchtbar und glühend und
schrecken darum nicht. Er hat mit Grillparzer nur die Philosophie
der Resignation gemein, nicht die Fähigkeit, mit naiver Gläubigkeit
die schmerzlichen Wonnen zu malen, auf die zu verzichten der
Weisheit letzter Schluß ist. Er wägt nicht hinterher den Wert
dieser massiven Vorgänge, sondern zersetzt sie ironisch schon, während
er sie vor sich gehen läßt. Der Obers —
„er ist ein gar zu
witziger Kopf,“ heißt es von ihm — ist gleichsam die Verkörperung
von Schnitzlers weltmännischer Skepsis. Diese Skepsis ist es, die
im zweiten Akt am Mark des Dramas zehrt und es stillos macht.
Es geht ein Akt vorher, der mit unentbehrlichen und virtuos ver¬
wendeten Theatermitteln zur stärksten dramatischen Wirkung geführt
ist, und es folgt jener Akt, der in die Idylle mündet und elegisch
austönt. Die drei Akte sind wie drei Sätze einer Symphonie:
Allegro vivace molto energico, Allegro con brio, Andante con
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Die Schaubühne
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Ich glaube damit die Hauptzüge vereinigt zu haben, die
Schnitzler den schnurrigen Vorwurf eingetragen haben, er sei mit
diesem Schauspiel zu Sudermann herabgesunken. Giftpulver und
Schießpulver, zwei Lauscher hinter der Wand, drei Leichen, vier
Leichen — das kann nur schlimmste Theatralik sein, eine Spe¬
kulation auf die niedrigsten Instinkte der Masse; doppelt ver¬
ächtlich, weil die Spekulation mißglückt ist. Du lieber Himmel!
Wenn Schnitzler imstande wäre, sich die Arbeit so leicht zu machen
wie seine Kritiker, würde er am Ende auch ein leidliches Theater¬
stück fertig bringen. Der Fall ist doch wol ein bißchen ver¬
wickelter. Grillparzers „Traum ein Leben“ kommt zu dem
Ergebnis: „Eines nur ist Glück hienieden, eins: des Innern
stiller Frieden und die schuldbefreite Brust! Und die Größe
ist gefährlich, und der Ruhm ein leeres Spiel; was
er gibt, sind nichtge Schatten, was er nimmt, es
ist so viel!" Aber er kommt zu diesem Ergebnis
erst, nachdem die Gefahren der Größe und das Spiel des Ruhms
in bunten Bildern an uns vorübergerauscht sind. Im dritten Akt
von Schnitzlers „Ruf des Lebens“ spricht zu Marie ihr Seelenarzt:
„Wer weiß, ob Ihnen nicht später, viel später einmal aus einem
Tag wie der heutige der Ruf des Lebens viel reiner und tiefer in
die Seele klingen wird als aus jenem andern, an dem Sie Dinge
erlebten, die so furchtbare und glühende Namen tragen wie Mord
und Liebe.“ Diese Dinge zeigt Schnitzler im zweiten Akt. Aber
sie sind bei ihm alles andre als furchtbar und glühend und
schrecken darum nicht. Er hat mit Grillparzer nur die Philosophie
der Resignation gemein, nicht die Fähigkeit, mit naiver Gläubigkeit
die schmerzlichen Wonnen zu malen, auf die zu verzichten der
Weisheit letzter Schluß ist. Er wägt nicht hinterher den Wert
dieser massiven Vorgänge, sondern zersetzt sie ironisch schon, während
er sie vor sich gehen läßt. Der Obers —
„er ist ein gar zu
witziger Kopf,“ heißt es von ihm — ist gleichsam die Verkörperung
von Schnitzlers weltmännischer Skepsis. Diese Skepsis ist es, die
im zweiten Akt am Mark des Dramas zehrt und es stillos macht.
Es geht ein Akt vorher, der mit unentbehrlichen und virtuos ver¬
wendeten Theatermitteln zur stärksten dramatischen Wirkung geführt
ist, und es folgt jener Akt, der in die Idylle mündet und elegisch
austönt. Die drei Akte sind wie drei Sätze einer Symphonie:
Allegro vivace molto energico, Allegro con brio, Andante con