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19. Der Ruf Lebens
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Bühne und Welt.
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gleich nach dem ersten und besten Akt sich die Hände fleißig regten, und auch nach dem zweiten
und dritten Schnitzler vor dem Dorhang erscheinen durfte, glaube ich nicht, daß dieser „Auf des
Lebens“ lange tönen und in den Herzen der Zuschauer ein Echo wecken wird.
Das künstlerische Ereignis dieser Wochen bildet das Gastspiel des Moskauer Künst¬
lerischen Theaters. Es soll im nächsten Hefte ausführlicher davon die Rede sein, nur soviel
sei heute schon gesagt, daß die hochgespannten Erwartungen, die diesem Auftreten der russischen
Elitetruppe entgegengebracht wurden, nicht enttäuscht worden sind. Auch sonst machte sich die
slavische Note im Berliner Theater=Konzert geltend. Direktor Raphael Löwenfeld brachte
seine Verdeutschung von Tolstois „Macht der Finsternis“*) in den beiden Schiller=Theatern
zur Aufführung. Löwenfeld hat ersichtlich danach gestrebt, der Sprache volkstümliche Färbung zu
verleihen und ist auch vor mancher Derbheit im Ausdruck nicht zurückgeschent. Die Inszenierung
stand der früheren im Deutschen und Lessing=Theater nicht nach. Wenn das Schiller=Theater auch
keine Else Lehmann, keinen Bassermann und keinen Max Reinhardt für die Rollen der Anißja,
des Nikita und Akim ins Treffen zu schicken hat, so war die Ensembleleistung doch eine recht
annehmbare. Hervorgehoben seien Mar Kirschner als Mitritsch und Frieda Brock als Akulina,
Cschirikoffs Tendenzdrama: „Die Jnden“, über das nach der russischen Aufführung im
„Theater des Westens“ seinerzeit alles Nötige gesagt worden ist, war merkwürdigerweise zum
Objekt einer Sondervorstellung zum Besten des Heine=Denkmal=Fonds am 50. Codestag des
Dichters erkoren worden. Der Ideen=Assozitation bei den Veranstaltern, die es gewiß gut meinten,
sei hier nicht nachgespürt, sondern nur bemerkt, daß die Aufführung der nicht sonderlich ge¬
schickten deutschen Bearbeitung durch Emanuel Reichers Mitwirkung ein höheres Interesse ge¬
wann. — Am „Kleinen Theater“ behaupten sich Gorkis „Kinder der Sonne“, wohl
vornehmlich dank den zur Zeit hier so zahlreich vertretenen Landsleuten des Dichters, andauernd
auf dem Spielplan. Auch Gorki selbst weilt in Berlin und wird sich, wenn diese Zeilen in
Druck gehen, uns als Rezitator eigener Dichtungen vorgestellt haben.
Das „Schiller=Theater“, dem Uraufführungen in der Regel nicht sonderlich geraten, hat
mit seiner jüngsten Novität, Stephan Großmanns fünfaktigem Schauspiel: „Der Dogel im
Näfig“, einen glücklichen Griff getan. Es ist zwar kein Werk hoher Ku###und auch technisch
nicht immer inwandsfrei gearbeitet, aber als ein Produkt gesunden ##d#manen Empfindens
gerade für eine Volksbühne wohlgeeignet und durch den stofflichen Ren des Milieus und der
resolut durchgeführten Handlung für weitere Kreise fesselnd. Großmann hat, wie Wilbrandt, Richard 1##
und in jüngster Zeit Sudermann die Tragödie des Sträflings zu schreiben versucht. Durch praktische und
theoretische Beschäftigung ist er mit dem österreichischen Gefängniswesen und der Pfpchologie des Sträf¬
lings wohlvertraut. Dabei ist er von warmem Mitgefühl für die unglücklichen Opfer ihrer Leidenschaft
oder vererbter böser Triebe erfüllt und ein beredter Anwalt der Bestrebungen, die den wirklichen,
hartgesottenen Verbrecher von dem, der oloß im Affekt oder aus einer quasi edeln Regung
gesündigt hat, trennen wollen. Die Gestalt des humanen, um die Seelen der von ihm als im
Kern gut erkannten Sträflinge mit väterlicher Zärtlichkeit und Strenge werbenden Gefängnis¬
verwalters mag manchem als übertrieben idealisiert erscheinen. Aber warum soll der von Hans
Leuß in seinen Zuchthausmemoiren so hoch gepriesene Pfarrer nicht in der Klasse der Ver¬
waltungsbeamten, wie Stephan Großmann versichert, in Wirklichkeit ein Dendant haben? Ab¬
gesehen von der durch manches ältere, namentlich französische Dorbild beeinflußten, leicht karika¬
turistisch gehaltenen Gerichtsszene, hat Großmann sich von der öden Schwarzweißmanier fern¬
gehalten und seine Menschen nicht einseitig in weiße Schäflein und schwarze Böcke geschieden.
Der Darstellung, die das Stück im Schiller=Theater fand, ist fast nur Gutes nachzusagen.
Holthaus als Gefängnisdirektor, Fräulein Silten als seine ideal veranlagte Tochter, Alfred
Schmasow in der Rolle des typischen, abgefeimten schweren Jungen, Leopold Iwald als 1.
Märtprer Schindler seien besonders hervorgehoben.
Heinrich Stümcke.
Im Königlichen Opernhause gelangte anläßlich des Doppelfestes im Kaiserhause der
zweite Teil der Gluckschen Oper „Orpheus und Euridike“ in neuer Einstudierung zur
Aufführung. Der erste Teil des Werkes wird in Verbindung mit dem jetzt dargestellten zweiten
im Laufe des Monats April zur Vorführung kommen. Die Neueinstudierung brachte szenische
*) Buchausgabe Verlag Eugen Diederichs, Jena.
19. Der Ruf Lebens
box 24/2
Bühne und Welt.
520
gleich nach dem ersten und besten Akt sich die Hände fleißig regten, und auch nach dem zweiten
und dritten Schnitzler vor dem Dorhang erscheinen durfte, glaube ich nicht, daß dieser „Auf des
Lebens“ lange tönen und in den Herzen der Zuschauer ein Echo wecken wird.
Das künstlerische Ereignis dieser Wochen bildet das Gastspiel des Moskauer Künst¬
lerischen Theaters. Es soll im nächsten Hefte ausführlicher davon die Rede sein, nur soviel
sei heute schon gesagt, daß die hochgespannten Erwartungen, die diesem Auftreten der russischen
Elitetruppe entgegengebracht wurden, nicht enttäuscht worden sind. Auch sonst machte sich die
slavische Note im Berliner Theater=Konzert geltend. Direktor Raphael Löwenfeld brachte
seine Verdeutschung von Tolstois „Macht der Finsternis“*) in den beiden Schiller=Theatern
zur Aufführung. Löwenfeld hat ersichtlich danach gestrebt, der Sprache volkstümliche Färbung zu
verleihen und ist auch vor mancher Derbheit im Ausdruck nicht zurückgeschent. Die Inszenierung
stand der früheren im Deutschen und Lessing=Theater nicht nach. Wenn das Schiller=Theater auch
keine Else Lehmann, keinen Bassermann und keinen Max Reinhardt für die Rollen der Anißja,
des Nikita und Akim ins Treffen zu schicken hat, so war die Ensembleleistung doch eine recht
annehmbare. Hervorgehoben seien Mar Kirschner als Mitritsch und Frieda Brock als Akulina,
Cschirikoffs Tendenzdrama: „Die Jnden“, über das nach der russischen Aufführung im
„Theater des Westens“ seinerzeit alles Nötige gesagt worden ist, war merkwürdigerweise zum
Objekt einer Sondervorstellung zum Besten des Heine=Denkmal=Fonds am 50. Codestag des
Dichters erkoren worden. Der Ideen=Assozitation bei den Veranstaltern, die es gewiß gut meinten,
sei hier nicht nachgespürt, sondern nur bemerkt, daß die Aufführung der nicht sonderlich ge¬
schickten deutschen Bearbeitung durch Emanuel Reichers Mitwirkung ein höheres Interesse ge¬
wann. — Am „Kleinen Theater“ behaupten sich Gorkis „Kinder der Sonne“, wohl
vornehmlich dank den zur Zeit hier so zahlreich vertretenen Landsleuten des Dichters, andauernd
auf dem Spielplan. Auch Gorki selbst weilt in Berlin und wird sich, wenn diese Zeilen in
Druck gehen, uns als Rezitator eigener Dichtungen vorgestellt haben.
Das „Schiller=Theater“, dem Uraufführungen in der Regel nicht sonderlich geraten, hat
mit seiner jüngsten Novität, Stephan Großmanns fünfaktigem Schauspiel: „Der Dogel im
Näfig“, einen glücklichen Griff getan. Es ist zwar kein Werk hoher Ku###und auch technisch
nicht immer inwandsfrei gearbeitet, aber als ein Produkt gesunden ##d#manen Empfindens
gerade für eine Volksbühne wohlgeeignet und durch den stofflichen Ren des Milieus und der
resolut durchgeführten Handlung für weitere Kreise fesselnd. Großmann hat, wie Wilbrandt, Richard 1##
und in jüngster Zeit Sudermann die Tragödie des Sträflings zu schreiben versucht. Durch praktische und
theoretische Beschäftigung ist er mit dem österreichischen Gefängniswesen und der Pfpchologie des Sträf¬
lings wohlvertraut. Dabei ist er von warmem Mitgefühl für die unglücklichen Opfer ihrer Leidenschaft
oder vererbter böser Triebe erfüllt und ein beredter Anwalt der Bestrebungen, die den wirklichen,
hartgesottenen Verbrecher von dem, der oloß im Affekt oder aus einer quasi edeln Regung
gesündigt hat, trennen wollen. Die Gestalt des humanen, um die Seelen der von ihm als im
Kern gut erkannten Sträflinge mit väterlicher Zärtlichkeit und Strenge werbenden Gefängnis¬
verwalters mag manchem als übertrieben idealisiert erscheinen. Aber warum soll der von Hans
Leuß in seinen Zuchthausmemoiren so hoch gepriesene Pfarrer nicht in der Klasse der Ver¬
waltungsbeamten, wie Stephan Großmann versichert, in Wirklichkeit ein Dendant haben? Ab¬
gesehen von der durch manches ältere, namentlich französische Dorbild beeinflußten, leicht karika¬
turistisch gehaltenen Gerichtsszene, hat Großmann sich von der öden Schwarzweißmanier fern¬
gehalten und seine Menschen nicht einseitig in weiße Schäflein und schwarze Böcke geschieden.
Der Darstellung, die das Stück im Schiller=Theater fand, ist fast nur Gutes nachzusagen.
Holthaus als Gefängnisdirektor, Fräulein Silten als seine ideal veranlagte Tochter, Alfred
Schmasow in der Rolle des typischen, abgefeimten schweren Jungen, Leopold Iwald als 1.
Märtprer Schindler seien besonders hervorgehoben.
Heinrich Stümcke.
Im Königlichen Opernhause gelangte anläßlich des Doppelfestes im Kaiserhause der
zweite Teil der Gluckschen Oper „Orpheus und Euridike“ in neuer Einstudierung zur
Aufführung. Der erste Teil des Werkes wird in Verbindung mit dem jetzt dargestellten zweiten
im Laufe des Monats April zur Vorführung kommen. Die Neueinstudierung brachte szenische
*) Buchausgabe Verlag Eugen Diederichs, Jena.