II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 191

19. Der Ruf desLebens
Chanter
box 24/2
R
weise trete uns Heine, der aristokra¬
sondern zuerst am Berliner Lessing¬
tische Demokrat, als der Lieblings¬
theater an die Oeffentlichkeit getreten
dichter des deutschen Proletariats so
ist, versucht es einmal wieder mit
und so oft entgegen. Er werde emp¬
einer kräftigeren Tonart. Die beiden
funden „als der Mann, dessen Lied
ersten Akte sind szenisch betrachtet
und Wort einer werdenden Zeit an¬
wohl das herzhafteste und stärkste,
gehört.“ Umstritten, so führt Karl
was der sonst so leise Wiener Poet
Strecker im Anschlusse an die Denk¬
seit seinem „Grünen Kakadu“ auf die
malsfrage in der „Tägl. Rund¬
Bühne gebracht hat. Ein Vatermord
schau“ aus, seien vornehmlich die
und ein Gattenmord, beide auf offe¬
Dinge und Menschen, so sich nicht
ner Bühne vor den Augen und Ohren
ohne Umstände rubrizieren und eti¬
der entsetzten Zuschauer vollzogen!
kettieren lassen. „Liebe und Haß
Ein Jammern und Schreien über eine
kämpfen noch heute am Grabe Heines,
solche Anhäufung roher theatralischer
und wer wollte sagen, ob er mehr
Effekte erhebt sich bei all denen, die
Apoll oder Faun gewesen?... Die
eine Veredelung des. Theaters allein
Melancholie, die sentimentale Träu¬
von der Erziehung zum Intimen und
merei überwog in ihm so sehr, daß
Leisen erwarten und die, sobald nur
er nicht hätte atmen können, wenn
eine Pistole knallt, schon von Rückfall
nicht der zynische Gegenpol gereizt
in dramatische Barbarei reden. Ich
aufschnellenden Spottes das Gleich¬
kann mich für dieses Trappistentum
gewicht wieder hergestellt hätte.“ Auch
auf der Bühne nicht erwärmen und
in seinen Shakespere=Studien, auf die
wäre der letzte, der einem den Sinn
Strecker dann eingeht, sei er immer
und Zweck der dramatischen Kunst¬
ehrlich, immer Heinrich Heine ge¬
form in robuster, schallender Hand¬
wesen.
lung erkennenden und erfüllenden
∆) Der Zeitschrift „Die
Dichter daraus einen Strick drehen
Schweiz“
möchte. Trauliche Kaminstunden kön¬
sind wir eine Ehrenerklärung schul¬
nen wir daheim bei umschleierter
dig, denn wir haben ihr trotz unsres
Lampe vor einer Novelle oder einem
Lobes (Kw. XIX, 9, S. 522) doch
Gedichtbuch verträumen oder versin¬
durch die Andeutung unrecht getan,
nen; wer sich mit Hunderten zusam¬
daß sie früher besser gewesen sei,
men vor die Bühne setzt, um, was sich
als jetzt. Sie war im Anfang besser,
da oben in gedrängter Augenblicks¬
als dann jahrelang, und das hatte
fülle, von leibhaftigen Menschen ge¬
jene Bemerkung veranlaßt, die ohne
tragen, vor ihm abspielt, zugleich mit
Nachprüfung der neuesten Entwick¬
jenen allen und gesteigert durch ihr
lung niedergeschrieben war. Seit
Miterleben in sich hereinfluten zu
einiger Zeit befindet sich nämlich
lassen, der verziehe nicht gleich den
„Die Schweiz“ wieder entschieden im
Mund zum Schmollen, wenn Scher¬
Aufschwunge.
ben klirren und eine Patrone explo¬
S
diert! Nur die Bedingung freilich
muß dabei erfüllt sein: es muß Le¬
□ Berliner Theater
ben, echtes, starkes und gesundes Le¬
Arthur Schnitzlers erst vor
ben sein, um dessen Sein oder Nicht¬
wenigen Mon#t##
hieene Musik¬
sein es sich handelt. Mord und Tot¬
komödie „Zwischenspiel“ war ganz
schlag um Spielereien und Spinti¬
auf piano und pianissimo gestimmt;
sierereien eines müßigen Kopfes sind
sein jüngstes Schauspiel „Der Ruf
allerdings „Theatereien“, die noch
des Lebens“, das nicht in Wien,
ein paur Rutenstreiche mehr verdie¬
658
Kunstwart XIX, 12
I