19. Der Ruf des Lebens
box 24/2
schüttet? Sie will leben und den
nen als die Sünden wider den Sinn
Ruf ihrer Jugens erfüllen, geradeso
und Geist der Bühne, welche die
zum Flüstern gedämpfte Intimitäts¬
wie ihre Base Katharina, die früh
vom Tode Gekößte, getan hat und
und die am Boden kriechende Milieu¬
wie die jungen Offiziere der blauen
kunst auf dem Gewissen haben. Zwei
Kürassiere tun, deren Regiment, wie
Akte lang kann diesmal ein gutgläu¬
sie wissen, beim ersten Gefecht des
biger Optimist bei Schnitzler wirklich
eben ausgebrochenen Krieges dem
die Hoffnung hegen, das „Leben“
sicheren, unabwendbaren, lückenlosen
werde nicht bloß im Titel stehn, son¬
Untergange geweiht ist. Aber was
dern auch im Drama erblühen. Die
Erinnerung an die gesättigte Fülle
nacht in den Armen dessen zubringen,
im „Schleier der Beatrice“ taucht
mit dem sie einmal ein paar Ball¬
auf, und da hier, im „Ruf des
stunden durchtanzt hat, der seitdem
Lebens“, wie sich bald zeigt, der Bau
nicht mehr aus ihren Sinnen ge¬
der Handlung einfacher und durch¬
wichen ist und der nun gleichfalls
sichtiger, die Gedankenfracht leichter
mit dem Morgengrauen ins Verder¬
ist, so wird, denkt man, auch die
ben reiten soll! Gewiß braucht der
Natur sich williger enthüllen. Aber
Dichter, zumal der Dramatiker, ein
darin täuscht man sich. Auf dem
gedrängtes oder abgekürztes Symbol
Wege aus der italienischen Renais¬
für die Versinnlichung so vielstim¬
sance in die Wiener Biedermeierzeit
miger Mächte, wie es das „Leben“
der vierziger Jahre ist wohl ein gut
aber was Schnitzler dafür
ist
Teil von Gedankengut und Form¬
wählt, kann nur die ausgemachte
schönheit verloren, nicht ein Spürchen
Unreife oder eine völlige Halt= und
aber an Kraft und Lebenswahrheit
Zuchtlosigkeit des Charakters ergrei¬
gewonnen worden. Wieder einmal ist
fen. Aller Witz seines geistreichen
es der — Wider=Streit kann man
Kopfes, alle Künste seiner Psycho¬
nicht gut sagen, besser: das Wider¬
logie vermögen einen Vatermord nicht
Spiel von Tod und Leben, von Da¬
zu rechtfertigen, hinter dem kein höhe¬
seinslust und Sterbensfurcht, die den
rer Preis als dieses Pseudoleben
Dichter des „Leutnant Gustl“ der
steht. Auch was die blutjunge Frau
„Lebendigen Stunden“ und des „Ein¬
des ergrauenden Obersten just in dem
samen Weges“ zur Gestaltung lockt,
Augenblick noch einmal in die Kam¬
und wieder möchte er sich gerne auf
mer des todgeweihten Offiziers treibt,
die Seite derer schlagen, die dem Ruf
wo eben Marie hereingeschlüpft ist,
des Lebens gehorchen, auch wenn ihr
um nun hinter den Vorhängen Zeu¬
Weg sie über „Untreue, Buhlerei und
gin einer furchtbaren Abrechnung zwi¬
Mord“ führt. Aber wie seine Ge¬
schen dem Betrogenen und der Be¬
schöpfe im Grunde viel zu schwäch¬
trügerin zu werden, auch das ist
lich gebaut sind, um diesen Weg mit
nichts weniger als die große all¬
Willen und Konsequenz zu gehen, so
bezwingende Leidenschaft des Herzens
ist ihr Dichter viel zu zage, um sich
und der Seele, der Leben ein Tand
selbst nicht zur Besänftigung seines
und Tod ein Siegerkranz sein darf.
rebellierenden Gewissens nuchträglich
Wie Schnitzler zweimal, in der Schlu߬
allerlei einlullende und versüßende
szene des ersten und in der des zwei¬
Tränklein zu mischen. Was ist es am
ten Aktes, wildeste Lebenslust und
Ende auch, warum Marie, die tag¬
blutiges Todesgrauen auf engem
aus, tagein ans Krankenbett ihres
Raum zusammengedrängt hat, das
hämisch=tyrannischen Vaters gebannt
ist, ihm den Tod ins Trinkglas zeugt von der Kühnheit seiner Phan¬
659
2. Märzheft 1906
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schüttet? Sie will leben und den
nen als die Sünden wider den Sinn
Ruf ihrer Jugens erfüllen, geradeso
und Geist der Bühne, welche die
zum Flüstern gedämpfte Intimitäts¬
wie ihre Base Katharina, die früh
vom Tode Gekößte, getan hat und
und die am Boden kriechende Milieu¬
wie die jungen Offiziere der blauen
kunst auf dem Gewissen haben. Zwei
Kürassiere tun, deren Regiment, wie
Akte lang kann diesmal ein gutgläu¬
sie wissen, beim ersten Gefecht des
biger Optimist bei Schnitzler wirklich
eben ausgebrochenen Krieges dem
die Hoffnung hegen, das „Leben“
sicheren, unabwendbaren, lückenlosen
werde nicht bloß im Titel stehn, son¬
Untergange geweiht ist. Aber was
dern auch im Drama erblühen. Die
Erinnerung an die gesättigte Fülle
nacht in den Armen dessen zubringen,
im „Schleier der Beatrice“ taucht
mit dem sie einmal ein paar Ball¬
auf, und da hier, im „Ruf des
stunden durchtanzt hat, der seitdem
Lebens“, wie sich bald zeigt, der Bau
nicht mehr aus ihren Sinnen ge¬
der Handlung einfacher und durch¬
wichen ist und der nun gleichfalls
sichtiger, die Gedankenfracht leichter
mit dem Morgengrauen ins Verder¬
ist, so wird, denkt man, auch die
ben reiten soll! Gewiß braucht der
Natur sich williger enthüllen. Aber
Dichter, zumal der Dramatiker, ein
darin täuscht man sich. Auf dem
gedrängtes oder abgekürztes Symbol
Wege aus der italienischen Renais¬
für die Versinnlichung so vielstim¬
sance in die Wiener Biedermeierzeit
miger Mächte, wie es das „Leben“
der vierziger Jahre ist wohl ein gut
aber was Schnitzler dafür
ist
Teil von Gedankengut und Form¬
wählt, kann nur die ausgemachte
schönheit verloren, nicht ein Spürchen
Unreife oder eine völlige Halt= und
aber an Kraft und Lebenswahrheit
Zuchtlosigkeit des Charakters ergrei¬
gewonnen worden. Wieder einmal ist
fen. Aller Witz seines geistreichen
es der — Wider=Streit kann man
Kopfes, alle Künste seiner Psycho¬
nicht gut sagen, besser: das Wider¬
logie vermögen einen Vatermord nicht
Spiel von Tod und Leben, von Da¬
zu rechtfertigen, hinter dem kein höhe¬
seinslust und Sterbensfurcht, die den
rer Preis als dieses Pseudoleben
Dichter des „Leutnant Gustl“ der
steht. Auch was die blutjunge Frau
„Lebendigen Stunden“ und des „Ein¬
des ergrauenden Obersten just in dem
samen Weges“ zur Gestaltung lockt,
Augenblick noch einmal in die Kam¬
und wieder möchte er sich gerne auf
mer des todgeweihten Offiziers treibt,
die Seite derer schlagen, die dem Ruf
wo eben Marie hereingeschlüpft ist,
des Lebens gehorchen, auch wenn ihr
um nun hinter den Vorhängen Zeu¬
Weg sie über „Untreue, Buhlerei und
gin einer furchtbaren Abrechnung zwi¬
Mord“ führt. Aber wie seine Ge¬
schen dem Betrogenen und der Be¬
schöpfe im Grunde viel zu schwäch¬
trügerin zu werden, auch das ist
lich gebaut sind, um diesen Weg mit
nichts weniger als die große all¬
Willen und Konsequenz zu gehen, so
bezwingende Leidenschaft des Herzens
ist ihr Dichter viel zu zage, um sich
und der Seele, der Leben ein Tand
selbst nicht zur Besänftigung seines
und Tod ein Siegerkranz sein darf.
rebellierenden Gewissens nuchträglich
Wie Schnitzler zweimal, in der Schlu߬
allerlei einlullende und versüßende
szene des ersten und in der des zwei¬
Tränklein zu mischen. Was ist es am
ten Aktes, wildeste Lebenslust und
Ende auch, warum Marie, die tag¬
blutiges Todesgrauen auf engem
aus, tagein ans Krankenbett ihres
Raum zusammengedrängt hat, das
hämisch=tyrannischen Vaters gebannt
ist, ihm den Tod ins Trinkglas zeugt von der Kühnheit seiner Phan¬
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2. Märzheft 1906