II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 209

19. Der Ruf des Lebens
box 24/2
Deutsche Rundschau.
300
Im Kleinen Theater, unter der Leitung des Direktors Barnowsti,
standen während der ganzen Spielzeit zwei Schauspiele von Frank Wedekind:
„Hidalla“, das am Dienstag, den 26. September 1905, und „Marquis
von Keith“, das am Mittwoch, den 13. Dezember 1905 zur ersten Auf¬
führung gelangte, im Vordergrund. Das Berliner Publikum machte bei dieser Ge¬
legenheit auch die persönliche Bekanntschaft des Verfassers, der in beiden Stücken die
Hauptrolle spielte, im ersten den „schiefgewachsenen“ Karl Hetmann, im zweiten den
„auf dem linken Bein hinkenden“ Marquis von Keith, mit den „groben roten
Händen eines Clown“. Beide Schauspiele bewegen sich in der Sphäre der Hoch¬
stapler, der Projektenmacher, der Weltverbesserer und der leichtfertigen Weiber. Alle
mit einem Stich in das Zynische. Karl Hetmann, der „Sekretär des internationalen
Vereins zur Züchtung von Rassemenschen", hält Vorträge über die neue Welt¬
anschauung und schreibt ein Buch: „Hidalla oder die Moral der Schönheit“; der
Marquis von Keith will den Einwohnern Münchens mit dem Gelde der Dummen,
die auf den Schwindel hineinfallen, ein prächtiges Vergnügungslokal, einen Feen¬
palast, bauen: beide Helden leiden an Größenwahn und „schwatzen den Leuten ein
Loch in den Bauch“, wie eine der Nebenpersonen einmal sagt, als sie zur Erkenntnis
des Schwindels gekommen ist. Sie berauschen sich an ihren Worten und an der
Frechheit, mit welcher der eine die Dummen betrügt und ausbeutet, der andre
der guten Sitte ins Gesicht schlägt: es sind Nietzsches Übermenschen im Schmutz,
„auf der Rutschbahn des Lebens“. Das Schauspiel „Marquis von Keith“, das übrigens
schon aus dem Jahre 1901 stammt, wird seinem Titel wenigstens durch eine Art
dramatischer Handlung gerecht, die, so dünn sie ist, zur Entlarvung und Flucht
des Gauners führt, während das Schauspiel „Hidalla“ nur eine Aneinanderreihung
von Gesprächen bietet, mit einer gewaltsam herbeigezogenen Katastrophe. Der Held
erhängt sich, weil ihm ein Zirkusdirektor, der plötzlich in seine Stube hineinschneit,
den Vorschlag macht, als „dummer August“ bei ihm aufzutreten. Aber die Ver¬
derbtheit der Gesinnung und die Freude an der Verhöhnung der gesellschaftlichen Ordnung
und Moral, die das eigentliche Lebenselement der Schriftstellerei Frank Wedekinds
bilden, können durch einen tragikomischen Spaß am Schluß nicht gesühnt und ent¬
schuldigt werden. In der Wirklichkeit und in der Welt von Pappe, wie Heine ein¬
mal das Theater genannt hat, treiben die Marquis von Keith und die Karl Het¬
mann mit so viel Selbstgefühl und solchem Lärm ihr Unwesen, daß es uns Moral¬
philistern erlaubt sein muß, gelegentlich dagegen zu protestieren und festzustellen, daß
es in unsrer Gesellschaft auch noch anständige Menschen gibt. Sonst lohnte es sich
wirklich nicht, über diese moralischen Ungezogenheiten und künstlerischen Mißgeburten
ein Wort zu verlieren. Sie zerstieben wie Seifenölasen, wenn man sie schärfer ansieht.
Ganz in das Reich der Harmlosigkeit und des studentischen Ulks fallen die zwei Stilpe¬
Komödien, jede in einem Akte: „Das Cenacle der Maulesel" und „Die
Schlangendame“ von Otto Julius Bierbaum, die das Kleine Theater am
Montag, den 26. Dezember 1905 aufführte. In der ersten feiern fünf Gymna¬
siasten, die eben ihr Abiturientenexamen bestanden haben, in einer kleinen Provinzialstadt
den Abschied von der Schule und verspotten den Konrektor, der sie bei dem Gelage
überrascht; in dem zweiten wird ein weltunerfahrener gutmütiger Gelehrter über¬
tölpeli, seine Einwilligung zu der Heirat seines Sohnes mit der Schlangendame
eines Zirkus zu geben: zur Entschuldigung dient, daß sie eine Pfarrerstochter ist
und den Bruder Liederlich zu einem anständigen Menschen gemacht hat. In beiden
Komövien führt Willibald Stilpe in Selbstgefälligkeit und Geniesucht das große Wort;
ich vermute, daß sich der Verfasser selbst darin wohlgefällig als Karikatur darstellt. Eine
bedeutendere und künstlerisch wertvollere Leistung war die Aufführung des Dramas
in vier Akten von Maxim Gorki: „Kinder der Sonne“, in der Übersetzung
von Alexander von Huhn, am Donnerstag, den 25. Januar. Das
Schauspiel stellt den Gegensatz zwischen der Volksmasse und den wenigen Kindern
der Sonne, den Wohlhabenderen und Gebildeteren, und die Schwierigkeit, die
dliche,
Darstellung
Behaglichkeit
Gerade den entgegengesetz
ich von der Tragödie in dr
Hugo von Hofmannstha
Freitag, den 2. Februal
von Hofmannsthal hat eine V
Stimmung umzudichten. So
Sophokles erst die „Elektra“.
die Moderne benutzt. Aus d
Drang der Leidenschaft hand
Menschen, in deren Gedank
wühlt. Er möchte die erhab
Hinterhaus und das Schlafge
seiner Odipus=Tragödie bilde
von der Sphinx, die Vermäh
Ferne und der Dämmerung de
thal zum Gegenstand des Sch
offener Szene den Vater ersch
Blicke und Worte wechseln zu
zu bewahren, aus der die S
mit dem Bewußtsein und de
fortwährend mit dem furchtba
der Furcht und des Kitzels,
Der Odipus Hofmannsthals
Gotte zu erfahren, wessen S
in Korinth, aber einer sein
Findling genannt. Jetzt verl
von der Priesterin nicht, w
Lust an dem Vater, des Um
geträumt, und so wird es ge