II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 215

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19. Der Ruf des Lebens
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Sonntagsblatt des „Bund“ 7—
P. F. und P. H. geschmückte goldene Dose überreichen,
Aktenstücke und stellte ihm den Kanzler, den Staats¬
„um,“ wie es im Begleitschreiben des Ministers Talley¬
schreiber und den Flügeladjutanten der Eidgenossen¬
rand hieß „die enge Verbindung des französischen und
schaft vor, die nun in den Dienst des neuen Bundes¬
helvetischen Volkes anzudeuten“.
hauptes traten. Von Fraubrunnen kehrte sodann Glutz¬
Als nach der Anordnung Bonapartes am 10. März
Ruchti in Begleitung von Ratsherren. Artillerie und
die helvetischen Behörden zurücktraten, übernahm unter
Kavallerie nicht nur als Haupt der Solothurner Re¬
dem Präsidium des Glutz=Ruchti eine siebengliedrige
gierung sondern als Landammann der Schweiz, als
Kommission provisorisch die Leitung der Regierungs¬
höchster eidgenössischer Würdenträger, nach Solothurn
geschäfte von Solothurn und führte sie bis den 11. April.
zurück und hielt unter den Klängen aller Glocken im
an welchem Tage die gesetzlichen Behörden der Me¬
St. Ursusturmgund dem Donner der Kanonen, die
diation sich konstituierten und ihre Tätigkeit begannen.
ihn auf der iutigfräulichen Festung an der Aare aus
Weder durch hervorragende Geisteskräfte, noch durch
ehernem Mulide begrüßten, seinen Einzug in die hoch¬
wissenschaftliche Bildung sich besonders auszeichnend.
erfreute Mngistadt.
(Fortsetzung folgt.)
verfügte Glutz über einen natürlichen Verstand und
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eine gemessene, gefällige Art. mit seinen Mitbürgern
zu verkehren und die Geschäfte zu behandeln. Dazu
kam das hohe Ansehen, dessen sich sein Schwiegervater,
Kunst und Literatur.
Altrat, Notar und Kronenwirt Schmid, bei der städ¬
Falle in dieser Rubrik enthaltenen Rezensionen und Anzeigen sind, sofern kein
tischen Bevölkerung erfreute. Beides sicherte Glutz trotz
Pame ober keine Chiffre beigefügt ist. redaktionell. — Die Redaktion anerkennt
keine Verpflichtung, alle ihr zugehenden Bücher zu rezenfieren, oder auc) me¬
seiner aristok atischen Denk= und Handlungsweise auch
mit den Titeln zu verzeichnen
die Gewogetheit des bürgerlichen Elementes von Solys
Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten
thurn. Daher wurde er am 5. April 1803 zum erstet
von Arthur Schnitzler. (Berlin, Verlag S. Fisch
oder Amtschultheißen des Standes Solothurn gewählt
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Als solcher leitete er dann vom 11. April an nicht
Der erste Akt dieses Schauspiels ist ein Drama für
nur den Kleinen Rat mit 21 Mitgliedern und den
sich und einer der vollendesten Bühnenvorgänge, die
Großen Rat, der 60 Mitglieder zählte, sondern nar
jemals geschrieben wurden. Vernehmen wir, wie Ernst
auch Präsident des Appellationsgerichtes. Ebenfalls am
Heilborn in der Wochenschrift „Die Nation“ die Hand
5. April ward Heinrich Grimm von Wartenfels, dessen
lung erzählt:
Voreltern zur Zeit der Reformation von Zürich nach
s ist um die Mitte des 19. Jahrhunderts Vor
Solothurn übergesiedelt waren, zum zweiten Schult¬
dreißig Jahren, in der Schlacht bei Lindach, haben die
blauen Kürassiere nicht stand gehalten. Es heißt, das
heißen ernannt. Im folzenden Jahr rückte er zum
durch ihre Flucht das Treffen verloren gegangen sei Se
regierenden Schultheißer or. Bis 1811 fand nun all¬
hat nun, da ein neuer Krieg ausgebrochen, der jetzig.
jährlich zwischen beiden Magistraten eine regelmäßige
Oberst des Regiments die Parole ausgegeben, es gelte
Abwechslung in der Bekleidung der höchsten Staats¬
die ulte Schmach zu fühnen, das Regiment müsst sich
würde unseres Kantons statt. Der Wechsel vollzog sich
dem Tode weihn. Und so geschieht es. Wie im „Schleie:
jeweilen am 1. Januar nach vollendetem Gottesdienst
der Beatrice“ stellt Schnitzler die Gestalten seines neuer
im Rathaus, wohin sich der Rangordnung nach der
Schauspiels vor den Spiegel des Todes. Angesichts des
Kleine und der Große Rat, sowie der Stadtrat, das
drohenden Untergangs wird ihnen das Leben laute
rufen.
Kantons= und das Stadtgericht verfügten. Die Ab¬
Die Tochter eben des Mannes, der damals schuld
wechslung ging dadurch vonstatten, daß bei Rede und
getragen, daß das Regiment seinen Posten in feiger
Gegenrede der abtretende Schultheiß dem künftigen
Flucht verließ, liebt einen der todgeweihten Offiziere.
Amtschultheißen das Regierungsszepter und die Staats¬
Ihr Herz gehört ihm, ihre Sinne fibern nach ihm, oh.
siegel überreichte. Nachher begleiteten sämtliche An¬
wohl sie nur ein einzigesmal mit ihm zusammengewe.
wesende in der gleichen Rangordnung den regierenden
sen. Der alte, kranke Vater aber hält sie in strenger
Schultheißen in seine Wohnung.
Haft. Keinen Schritt darf sie von seiner Seite weichen.
Der neue Schultheiß Glutz=Ruchti wohnte bis zu
bei Tage nicht und nicht bei Nacht. Wie ihn die Krank¬
seinem Tode im St. Urbanhof, dessen Verwalter er
heit quält, so quält er sie. Mit dem Leben zerfallen und
doch sich an das Dasein klammernd, ist es ihm ein
war. Das Gebäude, wozu auch die St. Urbankapell¬
Wollust, ihre Gefühle zu verletzen, ihre Geheimnisse aus
gehörte, war Eigentum des Klosters St. Urban, das
zuschreien, sie sklavisch zu erniedrigen. Er weiß, daß sie
mit Solothurn verburgrechtet war. Es ist jenes Haus
ihm den Tod wünscht, und eben das trägt dazu bei,
an der Gurzelngasse, in dem zurzeit ein Pariser Bazar
ihm sein Leben teurer zu machen. Nun aber ist die letzte
eröffnet ist.
Nacht gekommen, die sie mit dem Geliebten vereinigen
Infolge der vorhin erwähnten Abwechslung beklei¬
könnte. Sie muß frei sein! Ihr Entschluß ist gefaßt. Sie
dete 1803 Glutz, das folgende Jahr Grimm von War¬
gibt dem Vater das Schlafmittel so reichlich, daß für
tenfels und 1805 wieder Glutz die Stelle des Amt¬
ihn kein Aufwachen mehr ist. Von seiner Leiche stürzt
schultheißen. In diesem Jahre hatte Solothurn zum ersten
sie fort, den Geliebten zu suchen.
Indem sie im zweiten Akt dessen Zimmer betritt,
Mal die Ehre der Bundesleitung. Der Vorortswechsel
schreitet sie gleichsam in ein zweites Drama hinüber. Der
fand am 1. Januar 1805 bei feierlichem Zeremoniell
junge Offizier hat ein Verhältnis mit der Frau seines
im Schloß Fraubrunnen statt. Unter gegenseitigen An¬
Obersten unterhalten. Bei einem Stelldichein werden beide
sprachen übergab dabei der abtretende Landammann,
vom Oberst überrascht, der Ehemann schießt seine Gattin
Rudolf von Wattenwyl von Bern, dem künftigen
nieder. Marie hat das alles versteckt mitangesehen, aber
Landammann Glutz=Ruchti die Vermittlungsurkunde,
auch das vermag ihren Entschluß nicht umzustoßen. Die
die einen prachtvollen, aus blauem Sammet bestehen¬
Frist, die der Tod gesteckt, ist kürzer geworden, das Leben
den, goldgestickten Einband hatte, ferner das eidgenös¬
will sein Recht, es gilt seine Wonnen ein letztesmal
gierig zu schlürfen, und die Liebenden kosten sie aus.
sische Siegel, den mit Frankreich abgeschlossenen Allianz=
und Militärvertrag, sowie die übrigen schweizerischen! Die Nacht ist vorüber, der Offizier erschießt sich selbst.