II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 218

19. Der Ruf des Lebens box 24/3
Siune u##h über Grammatik und Orthographie stürmte er
& Pfeiffer. Stuttgart und die von Rober! Trehlen im
wild hinweg. Ilier ist also der Zugang zu dem Vulkan
Verlage von Julius Zeitler-Leipzig herausgegebenen „Worte
dieses Geistes, hier tritt man in die genetische Erklärung
Napolcons“
dessen ein, was er an Aussprüchen förmlich aus sich heraus¬
Das Hauptmerkmal des Roseschen Buches besieht in
spritzt. Hier fasst man den jähen gewaltigen Flug dieses
der klaren Darstellung von Napoleons weltgeschichtlichem
Denkens, den jagenden Rhyihmus dieses Sprechens, um den
Werke, von seiner Stellung als Vermittler zwischen dem 18.
die Lohe des Willens roten Flammenzungen herumzu¬
Jahrhundert und dem modernen Europa, und trägt den
schlagen scheirt, und alles ergibt schliesslich den Zauber
Stempel dramatischer Geschlossenheit.
der napoleonischen Ausdrucksweise, dem viele dauernd er¬
Robert Trehlens Brevier erweist sich als eine Zusam¬
lagen, unter dem aber jeder einmal in seinem Leben stehl.
menfassung napolconische: Denkens und Sprechens und
Napoleon hat mit dem Gluthauch seiner Worte den
kennzeichnet den Korsen als einen bewunderungswerdigen
Feuerbrand nationaler Eitelkeit mächtig entfacht, Ist auch
Beherrsener des Wortes. Taine war ja der erste, der die
das System, das er im Siegeslauf erbaute, gestürzt, so haben
Selbstaussagen zur Psychologie Napoleons ##swertete. Sie
sich seine Worte doch zu tief in den franzosischen Geist ge¬
können aber auch abseits der geschichtlichen nterpretation
senkt, als dass sie jemals ganz vergessen werden könnten.
ihres Eigenwertes wegen betrachtet werdenie geben in
Er war es, der zum ersten Male sagte „la grande nation“ und
ihrer Gesamtheit ein unvergleichliches geistig und seeli¬
„la grande armée“. Der Rausch, der aus diesen Worten
sches Porträt des einzigartigen Menschen und erschliessen
strahlte, hat den grossen Eroberer nie ganz verlassen.
uns sein Wesen besser als eine spezifisch listorische
Selbst in den Tagen auf St. Helena, da ihn das Schicksal
Methode.
mit unerbittlicber Gewalt zu der Erkenntnis zwang, dass
Zwei Faktoren mussten zusammenwirken, um die
seine Laufbahn verfehll, sein Werk missraten sei, stiessen
grossen Wirkungen der Kunst Napolcons zu sichern: sein
seine Lippen hervor: „Meine liehen Freunde, wenn Zur nach
begeistertes Hleer und seine diktalorischen Proklamationen
Europa zurückkehrt, werdet Ihr finden, dass ich noch von
und Erlasse. Napoleon kannte den Wert des Wortes und
hier aus Kronen verteile.“ „Wenn ich nicht mehr bin,
gebrauchte diese Waffe mit einer beispiellosen Virluositäl.
werde ich noch für die Volker der Polarstern ihrer Rechie
Alle Mittel der Verführung, der Beherraschung, der
sein; mein Name wird ihr Kriegsruf; die Devise ihre Hoff¬
Suggestion standen ihm zu Gebslee es gab für ihn keine Si¬
nungen sein.“ Und seine letzten Worte waren: „Frankreich
Auation, in der er nicht das rechte Wort gefunden hätte.
in Waffen Spilze der Armee
Besonders den Soldaten gegenüber triumphierte diese Fänig¬
Fritz Droop.
keit Worte, wie die von den vierzig Jahrhunderten, von
Mgeisterten die Prappen, dass #n.
Emit ihnen machen konnte, was er wollte. Eine bis zu

Neue Deutsche Dramen.
grenzenlosen Fräumen gesteigerte Phantasie war das Haupt¬
merkmal seines Denkens, und seine Sprache das Werkzeug.
Von Hans Franck (Hamburg).
Ne. 00
das nie versagte, wenn es gall, seine weitüberfliegenden Ge¬
II.
danken in das Volk zu schlendern. Dabei sind seine Worte
Man hat einige Mühe, sich Arthur Schnitzlers
oft von einer packenden Bildlichkeit, von einer Prazision,
vorletztes Stück „Der Rut des Lebens“, SChauspiel ill 3
in denen eine Goethesche Gegenständlichkeit des Denkens
Akten. (S. Fischer, Verlag. Berlin 1906) mit dem Bilde, das
erreicht ist. Aber in der letzten Inslanz fehlte seinen Wor¬
man von ihm in sich trägt, zusammenzuleimen. Schnitzler
ten die Grundlage der Realität, seine Theorien entfern¬
ist, wie kaum ein Zweiter, der Mann der leisen Töne. Seine
#ten sich zu weit von dem gesunden Boden der Erfahrungs¬
Worte führen neben dem sichtbaren noch ein geheimes
welt: So kam es, dass er sein ganzes Leben lang glauble, er
Leben. Man muss ganz genau aufmerken und hinhoren,
würde überall als Befreier empfangen, und es käme nicht
wenn man es wahrnehmen will. Und im Ruf des Lebens hat
darauf an, ob ein neuer Herrscher dieser oder jener Nationa¬
derselbe Mann ein brutales, blutrünstiges Stück geschrieben,
lität angehöre, wenn er nur die Befreiung von den Unter¬
das fast den Anschein erweckt, als käme es ihm, der doch
drückern brächte.
sonst sich nur um die feinen und feinsten Seelenregungen
In der Einleitung zu den Worten Napoleons“ sagt
kümmerte, auf das äusserste, gewaltsame Geschehen an.
Trehlen „Er war fern davon, mit seiner Zusammenfügung
Doch es ist, sicht man genauer zu, nur scheinbar so. Auch
von Worten und Sätzen einen ästhelischen Eindruck er¬
hier hat man, will mien nicht abgestossen werden, zunächst
zielen zu wollen, er arbeitete auf „zuckendem Fleisch“, er
ins Innere zu blichen. Von da aus kann man dann die Fäden
sprach, wenn nicht unmittelbar zu vorhandenen, so dech
verfolgen, von da entwirrt sich, was erst unentwirrbar
immer als vorhanden gedachten Menschen, zu einer Um¬
schien. Der Drang zum Leben, lange zurückgehalten, ist in
gebung, sei es eine reale oder fiktive, Ferner operierte
der Hauptgestalt so übermächtig geworden, dass er alles,
er, trotzdem er in Brienne und Valence schon tausende von
auch das Gewaltsamste, glaubhaft erklärt. Und wenn auch
Büchern gelesen hatte, nicht mit den gedruckten Wort¬
alles bis an die äusserste Grenze geführt erscheint, den
bildern, sondern mit den gehörten, er dachte in akusli¬
meisterhaften Menschenkenner und Menschenschilderer be¬
#schen Zeichen. Indem er sprach und sich sprechen hörte,
wundern wir auch da noch, ja vielleicht kann man sagen:
saher seinen Gedanken sich entwickeln, Damit hängt eng
gerade da — Trotzdem sei offen zugestanden, dass das letzte
und gesetzmässig zusammen, dass er zeitlebens unorthogra¬
Werk Schnitzlers der Einakter „Marionetten“ (Berlin,
phisch schrieb, er schrieb phionetisch, er schrieb die Worte.
S. Fischer, 1906) mir lieber ist. Das ist wieder ein echter
wie er sie hörte, sogar die Namen seiner nächsten Um¬
Schnitzler, mit all seinen blendeilen Vorzügen. So ist es
gebung. Er sah das Wortbild nicht aus Lettern zusammen¬
meisterhaft, wie er im ersten Stück „der Puppenspieler“
gesetzt, als Druckbild, es stellte sich ihm in Lauten dar.
mit wenigen Strichen ein ganzes Drama aufrollt. Als Kon¬
Die Worte beim Lesen in ihrer grammatisch-lypographi¬
trast tritt uns entgegen der grosse, aber charakterlose,
schen Struktur aufzufassen, das hielt zu lange hin. Buch¬
ausgestossene Künstler einerseits und der glückliche, be¬
stabenzusammensetzungen waren ihm Kleinigkeit. Dieser
häbige Philister mit Weib und Kind anderseits, Jener meint,
eilige und gejagte Geist las nur und in erster Linie dem