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19. Der Ruf des Lebens
Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I. österr. behördl konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London. Madrid, Mailand, Minneapolis. New-Vork. Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangabe ohne Gewähr)
Ausschnitt aus:
#. Pabwger
vom:
MiO
Cheater und Musik.
Dramatisches Theater. (Direktion: W. F. Kommissar¬
shewskaja) Am 6. Februar: „Kpuaz xnaun“ (Der Rus¬
des Lebens), Drama in 3 Alten von A. Schnitzler, übersetz
von P. Swesditsch und A. Tesi.
Das Lebensdrama, da¬
uns Schnitzter hier in künstlerisch wirksamer Stimmungsmalere
schildert, macht in seiner Gesamtheit genommen einen ungleichen
Eindruck. Der B ginn des ersten und der Schluß des letzten
Akts sind die Glanzpunkte des Dromas: erst das detaillierte, in
sorgsam naturgetreuen Nüancen gehaltene Bild eines traurigen
Familienlebens, die Alltagstragik, wie sie sich in engstem Raum
in der Stille kleiner Verhältnisse abspielt, dann im letzten Akt
die wehmütige, aber abgeklärte Anschauung des Lebens. Das
sind die schönsten Partien des Dramas. Die Mitte jedoch, be¬
sonders der zweite Akt, enthält trotz seiner dramatisch sehr wir¬
kungsvollen Szenen viel theatralisch Gekünsteltes, absichtlich auf
den äußeren Effekt Zugespitztes. Das Lebensverlangen, der
„Lebenshunger“, der das even erst ins wahre Leben blickende
Mädchen und den sterbenden alten Mann mit gleicher Sehnsucht
festhält, — bildet die Grundidee des Dramas. Mit dem krassen
Egoismus des durch sein Leiden verbitterten Kranken fesselt der
alte Mann, der täglich mit dem Tode ringende Rittmeister a. D.
Mosher seine Tochter an sein Krankenzimmer. Sie verkummert
an der Seite des griesgrämigen Vaters, der sie nicht von seiner
Seite lassen will. Das junge Mädchen verzehrt sich in Lebens¬
sehnsucht. Aber auch in der Seele des kränkelnden alten Mannes
ist noch der Lebenshunger mächtig. In diesem Antagonismus¬
ist der dramatische Konstikt gegeben, und die Erklärung des
Dramentitels — „Der Ruf des Lebens“. Die Lebensseynsucht
wird in der Seele des jungen Mädchens übermächtig, der Schrei
nach dem Leben ertönt so laut, so gebieterisch in ihrem Innern,
daß sie alle Rücksicht vergißt und nur dem Rufe des Lebens
folgt. Bei einem erneuten Ausbruch des egoistischen Lebens¬
hungers des Sterbenden, läßt sie sich zu einem Verbrechen hinreißen:
in ihrer Hand liegt es, aus einem Flaschchen mit einem Schlaftrunk
eine tödlich wirkende Dosis dem Kranken zu reichen... Nach
vollbrachter Tat flieht sie hinaus aus dem Sterbezimmer, der
Lebenshoffnung entgegen. Bittere Entläuschung bietet ihr
der erste, heißverlangende Blick ins Leben. Aber sie ist dem
Rufe des Levens“ gefolgt und kennt keine Reue ... Die welt¬
liche Justiz hätte die Verbrecherin gerichtet, aber eine höhere
Weltanschauung, die in der Person eines Arztes, eines Mannes
mit reiser, durch Leiden abgeklärter Lebenserfahrung, verkörpert
wird, spricht die Sünderin frei. Das ist die krasse „Moral“
des Lebensdramas, wenn man in einem Kunstwerk überhaupt
mit bürgerlichen Moralbegriffen rechnen darf und nicht mu der
bloßen Schi derung des Lebens, wie es sich dem Künstlerauge
bietet und sich im Kunstwerk spiegelt. Ein Kunstwerk ist aber
das Drama Schnitzlers in allen seinen Teilen, auch da noch,
wo es um der Bühnenwirksamkeit, willen in den künstle¬
rischen Mitteln nicht sehr wahlerisch ist: in der Episode, die
die Lebensmomente eines Offiziers schildert, der in Kampf und
sicheren Tod hinausziehen muß. Denn das Regiment, dem er
angehört, hat sich dem Tode geweiht, als Suhne für die
Schmach, die einst — vor dreißig Jahren — dasselbe Regiment
auf sich geladen hat, als es vor dem Feinde die Flucht ergriff.
Diese Episode wird sehr geschickt mit der Haupthandlung ver¬
voben. Der Rittmeister, der damals an der Spitze seiner
Schwadron in jähem Schrecken das Zeichen zur Flucht gab, in
der sterbende alte Mann, dessen letzte Lebensstunden der erste
Akt schildert. Und der junge Offizier, der in den sicheren Tod
gehen muß, ist es, der die Lebens= und Liebeshoffnung des
jungen Mädchens verkörpert. Aufdringlich störend inmiten der
sein nüancierten Stimmungsmalerei wirken in dieser Exisode
die theatralischen Szenen, die sich aus der Eisersucht des Regi¬
mentsobersten ergeben, der seine ungetreue Gattin erschießt.
Das fällt aus dem Rahmen des Stückes heraus. Ebenso er¬
scheint die Figur des Forstadjuntten Eduard Rainer, der das
junge Mädchen ohne Gegenliebe liebt, etwas hölzern. Oder ist
es die Schuld des Darstellers, Herrn Feonu, der die ganze
Zeit eine zu steife Haltung bewahrt? Noch eine kleine
19. Der Ruf des Lebens
Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I. österr. behördl konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London. Madrid, Mailand, Minneapolis. New-Vork. Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangabe ohne Gewähr)
Ausschnitt aus:
#. Pabwger
vom:
MiO
Cheater und Musik.
Dramatisches Theater. (Direktion: W. F. Kommissar¬
shewskaja) Am 6. Februar: „Kpuaz xnaun“ (Der Rus¬
des Lebens), Drama in 3 Alten von A. Schnitzler, übersetz
von P. Swesditsch und A. Tesi.
Das Lebensdrama, da¬
uns Schnitzter hier in künstlerisch wirksamer Stimmungsmalere
schildert, macht in seiner Gesamtheit genommen einen ungleichen
Eindruck. Der B ginn des ersten und der Schluß des letzten
Akts sind die Glanzpunkte des Dromas: erst das detaillierte, in
sorgsam naturgetreuen Nüancen gehaltene Bild eines traurigen
Familienlebens, die Alltagstragik, wie sie sich in engstem Raum
in der Stille kleiner Verhältnisse abspielt, dann im letzten Akt
die wehmütige, aber abgeklärte Anschauung des Lebens. Das
sind die schönsten Partien des Dramas. Die Mitte jedoch, be¬
sonders der zweite Akt, enthält trotz seiner dramatisch sehr wir¬
kungsvollen Szenen viel theatralisch Gekünsteltes, absichtlich auf
den äußeren Effekt Zugespitztes. Das Lebensverlangen, der
„Lebenshunger“, der das even erst ins wahre Leben blickende
Mädchen und den sterbenden alten Mann mit gleicher Sehnsucht
festhält, — bildet die Grundidee des Dramas. Mit dem krassen
Egoismus des durch sein Leiden verbitterten Kranken fesselt der
alte Mann, der täglich mit dem Tode ringende Rittmeister a. D.
Mosher seine Tochter an sein Krankenzimmer. Sie verkummert
an der Seite des griesgrämigen Vaters, der sie nicht von seiner
Seite lassen will. Das junge Mädchen verzehrt sich in Lebens¬
sehnsucht. Aber auch in der Seele des kränkelnden alten Mannes
ist noch der Lebenshunger mächtig. In diesem Antagonismus¬
ist der dramatische Konstikt gegeben, und die Erklärung des
Dramentitels — „Der Ruf des Lebens“. Die Lebensseynsucht
wird in der Seele des jungen Mädchens übermächtig, der Schrei
nach dem Leben ertönt so laut, so gebieterisch in ihrem Innern,
daß sie alle Rücksicht vergißt und nur dem Rufe des Lebens
folgt. Bei einem erneuten Ausbruch des egoistischen Lebens¬
hungers des Sterbenden, läßt sie sich zu einem Verbrechen hinreißen:
in ihrer Hand liegt es, aus einem Flaschchen mit einem Schlaftrunk
eine tödlich wirkende Dosis dem Kranken zu reichen... Nach
vollbrachter Tat flieht sie hinaus aus dem Sterbezimmer, der
Lebenshoffnung entgegen. Bittere Entläuschung bietet ihr
der erste, heißverlangende Blick ins Leben. Aber sie ist dem
Rufe des Levens“ gefolgt und kennt keine Reue ... Die welt¬
liche Justiz hätte die Verbrecherin gerichtet, aber eine höhere
Weltanschauung, die in der Person eines Arztes, eines Mannes
mit reiser, durch Leiden abgeklärter Lebenserfahrung, verkörpert
wird, spricht die Sünderin frei. Das ist die krasse „Moral“
des Lebensdramas, wenn man in einem Kunstwerk überhaupt
mit bürgerlichen Moralbegriffen rechnen darf und nicht mu der
bloßen Schi derung des Lebens, wie es sich dem Künstlerauge
bietet und sich im Kunstwerk spiegelt. Ein Kunstwerk ist aber
das Drama Schnitzlers in allen seinen Teilen, auch da noch,
wo es um der Bühnenwirksamkeit, willen in den künstle¬
rischen Mitteln nicht sehr wahlerisch ist: in der Episode, die
die Lebensmomente eines Offiziers schildert, der in Kampf und
sicheren Tod hinausziehen muß. Denn das Regiment, dem er
angehört, hat sich dem Tode geweiht, als Suhne für die
Schmach, die einst — vor dreißig Jahren — dasselbe Regiment
auf sich geladen hat, als es vor dem Feinde die Flucht ergriff.
Diese Episode wird sehr geschickt mit der Haupthandlung ver¬
voben. Der Rittmeister, der damals an der Spitze seiner
Schwadron in jähem Schrecken das Zeichen zur Flucht gab, in
der sterbende alte Mann, dessen letzte Lebensstunden der erste
Akt schildert. Und der junge Offizier, der in den sicheren Tod
gehen muß, ist es, der die Lebens= und Liebeshoffnung des
jungen Mädchens verkörpert. Aufdringlich störend inmiten der
sein nüancierten Stimmungsmalerei wirken in dieser Exisode
die theatralischen Szenen, die sich aus der Eisersucht des Regi¬
mentsobersten ergeben, der seine ungetreue Gattin erschießt.
Das fällt aus dem Rahmen des Stückes heraus. Ebenso er¬
scheint die Figur des Forstadjuntten Eduard Rainer, der das
junge Mädchen ohne Gegenliebe liebt, etwas hölzern. Oder ist
es die Schuld des Darstellers, Herrn Feonu, der die ganze
Zeit eine zu steife Haltung bewahrt? Noch eine kleine