II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 229

19. Der Ruf des Lebens box 24/3
Sie vergiftet den Vater und stürmt in die
beater und Konzerte#
Kaserne. Hier wird sie heimliche Zeugin eines
3.
anderen furchtbaren Dramas. Die ehebrecherische
„Der Ruf des Lebens“, Schauspiel in 3 Akten
Frau des Obersten versucht den jungen Offizier vor
von Artur Schnitzler. Erstaufführung im
Leipziger S##
dem Tode in der Feldschlacht zu bewahren. Die
Wer Ruf des Lebens, die
üppige Genießerin malt ihm glänzend ein liebe¬
Lockung zur Daseinsfreude, kann ebensowohl zum
trunkenes Glück aus; er soll fahnenflüchtig werden.
Glücke führen, als schiffbrüchig machen.
Der Ruf des Lebens! Der unvermutet eintretende
Schnitzler stellt dar, wie sich verschiedene Menschen
Oberst knallt die Verführerin nieder. Der junge
in den verschiedensten Situationen zum Rufe des
Offizier aber packt die plötzlich vor i.m auftauchende
Lebens verhalten. Bei ihm wird jedem dieser
Marie und hat den Mut, noch diesen erschütternden
mächtige Trieb nach Lebensgenuß und Erhaltung
Vorgängen mit dem Mädchen eine stürmische Liebes¬
des eigenen Selbst zum Verhängnis. Keiner
nacht zu feiern, ehe er sich in der Frühe erschießt.
wird glücklich, jeder scheitert und zum Schluß sehen
Welche strotzende Brutalität! Welche gefühlsrohe
mir lauter zerbrochene Menschen. Zu solchen Er¬
entsetzliche Menschen!
#gbnissen kann nur der finsterste Pessimismus ge¬
Das
ganze Regiment aber geht im
längen. Diese totale Verneinung wirkt unwahr,
Kriege zu Grunde. Auf Veranlassung des Obersten
weil sie Gott sei Dank unberechtigt ist. Es ver¬
hatten sich die Offiziere zugeschworen, daß kein
ktimmt, daß Schnitzler nur Schatten zeigt und die
Einziger wieder in die Heimat zurückkehren dürfe;
Sonne verheimlicht. Nur die frühe Jugend, die
alle glauben mit dem Tode fürs Vaterland eine
tänzenden Kinder stellt er zum Schluß in heiteren
Schmach austilgen zu können, die das Regiment
Glanz. Ein wehmütig stimmender Kontrast!
vor 30 Jahren durch seine Flucht vor dem Feinde
Wir sind oft für Schnitzler eingetreten und nicht
auf sich lud. Mariens Vater war damals der
zuletzt damals, als im Stadttheater sein köstlicher
Führer des Regiments, er selbst unterlag dem Rufe
„Grüner Kakadu“ ausgepfiffen wurde. Es wirdunsstets
des Lebens, er folgte dem Selbsterhaltungstrieb
eine werte Erinnerung bleiben, wie lieb Hartleben,
und entfloh dem verderbenbringenden Kampf. Und
als wir mit ihm gelegentlich im „Benaco“ nicht
nun sterben so viele für ihn den Sühnetod. Natür¬
weit von seinem ochsenblutfarbenen Hause Halkyone
lich leidet das Offizierkorps offenbar an über¬
zu Salo zechten, über Schnitzler sprach, mit dem er
spanntem Ehrgefühl. — Doch schließlich sind die Be¬
ja manche Berührungspunkte hatte. Aber weiß der
wegaründe des Obersten noch ganz andere. Er will
Himmel, am Sonnabend ist uns im Schauspielhause
mit seinen Leuten groß und heldenhaft abtreten. in
nicht recht warm geworden. Mit feinem Ohre wird
Wahrheit aber lehnt er nach seinem persön¬
man zwar manchen goldenen Ton erlauschen, aber
lichen Unglück nur den Ruf des Lebens für
das Ganze erscheint wüst und rauh, nicht menschlich
sich ab und opfert die anderen für ein lächerliches
wahr. Unklar und verworren sein, heißt nicht tief¬
Phantom hin.
gründig und weisheitsschwer sein. Hinter mystischen
Schleiern große Offenbarungen zu wittern, ist Sache
Im letzten Akte herrscht allgemeiner Trüb¬
der Uebergescheidten, der Hosiannarufer aus Prinzip.
der
sinn. Eine Schwindsüchtige stirbt auf
Wir erblicken des Dichters Kunst darin, daß er seine
Szene. Es ist Mariens Base Katharina. Einst war
Gedankenwelt klar ausbreitet und nicht etwa nur
sie Rainers Geliebte, aber er verließ sie um Mariens
raten läßt, was er eigentlich will. Ehrlich
willen. Wir ahnen, ihn trifft ein bedeutendes Maß
heraus, wir meinen, der Beifall galt wohl am
von Schuld, daß diese Unglückliche zu Grunde geht.
meisten den dramatischen Kraftstellen des 2. Aktes,
Als sie den Tod auf sich lauern fühlte, da folgte sie
den theatralischen Grobeffekten. Einen Gewinn hat
mit wal twitziger Gier dem Rufe des Lebens. Es
wohl kaum jemand mit nach Hause genommen. Wir
war ein Taumel von Genuß zu Genuß. Und traurig
ist das Enke. —
wollen weiter nicht untersuchen, wie viel zartere
Die
Beziehungen bei der Lektüre fesseln, die bei der
Tarsteller bemühten sich lebhaft, die
Aufführung begreiflicherweise verborgen bleiben.
großen
Schwierigkeiten ihrer Aufgabe zu über¬
Der Hergang: Marie Moser vertrauert ihre Jugend
winden. Herr Forsch prononcierte die Gräßlich¬
im Krankenbett ihres Vaters. Dieser Alte ist ein
keit des kranken Alten bis zur Grenze des Mög¬
derfektes Scheusal, der gräßlichste Menschen¬
lichen. Frln. Oswald, welche uns in letzter Zeit
chinder, den man sich vorstellen kann. Er macht
in zwei Rollen enttäuschte, verriet das Feingefühl
einer Pflegerin das Dasein zur Qual. Nur einmal
einer guten modernen Schauspielerin, sie gebot!
n1
st sie dem Rufe des Lebens gefolgt; das war in
namentlich über die echten Töne lange zurück¬
tiner schwülen Ballnacht, in der sie am Arme eines
gedämmter, hervorbrechender Leidenschaft. Frau
ungen Offiziers hing. Seit jenem Erlebnis bebt
Hruby als Oberstengattin glühte geradezur sinn¬
hr Herz in unendlicher Sehnsucht. Der alte Arzt,
licher Erregung; so interessant es jedoch auch scheint,
er die stillen Werbungen des Forstadjunkten
ihre enorme Sprachtechnik im Furioso bewundern
Kainer beobachtet, dringt in Marie, sich nicht selbst
zu können, müssen wir doch anraten, das Tempo
im ihre Jugend zu betrügen. Sie aber denkt nicht
etwas zu mäßigen und die Stimme mehr zu
in Rainer, sondern nur an den jungen Offizier,
dämpfen. Frln. Reimers ist der Rolle der
er noch in dieser Nacht in den Krieg ziehen muß. Katharina nicht gewachsen. Dem aufgepeitschten!
Gefühlsleben solcher unglücklicher Geschöpfe, (die,
den Tod vor Augen, sich dem wilden Genußrausch
hingeben), bis zu seinem letzten Zittern und Aus¬
klingen nachzugehen, ist für diese junge Künstlerin
noch viel zu schwer. Herr Mühlhofer als
Rainer war ein ehrlicher, biederer Charakter.
Freilich wünschten wir, daß Herr Mühlhofer eine
gefälligere Maske gemacht hätte. Den pathe¬
tischen Arzt des Herrn Willi müssen wir ab¬
lehnen. Auch in seinem Aeußeren entsprach er nicht
der berechtigten Vorstellung eines ärztlichen Be¬
raters. Herr Schreiner war als Oberst von
kalter Energie, die Herren Junker und Wilden¬
hain (Offiziere) holten das Möglichste aus ihren#
Rollen heraus. Den ersteren würde eine kleinere¬
Mütze vorteilhafter kleiden.