II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 245

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19 Der Ruf des Lebens


sundheit erschütterte Frau unwillkürlich einen Schrei aus¬
noch, das Ergebnis aber war einstimmig Nein. So ist
stoßen?
denn das die große romantische Zumutung des Dichters,
mit der der Zuschauer sich abfinden muß. Macht er dieses
Der dritte Akt ist eine Nachschrift. Max hat sich er¬
Zugeständnis, so hat er einen tragischen Genuß, wie er
schossen, Marie nicht den Mut gefunden, ins Wasser zu
heute selten vorkommt. Dann aber darf er sich nicht wei¬
gehen. Aus der gerichtlichen Ungelegenheit wegen des
gern, auf der schiefen Bahn der Zugeständnisse noch weiter
Vaters Tod hat der Arzt sie herausgelogen. Eine Freun¬
zu gehen, er muß der Dichtung nicht auf das Einmaleins
din, die auf weniger wählerische Art auch dem Ruf des
schauen. Im Hinblick auf das Publikum ist schließlich jede
Lebens gefolgt ist, stirbt. Ach, das Leben, das ruft,
originelle Tragödie eine Belastungsprobe. Auch „Prinz
denn es ist seine Natur, zu rufen. Und der Mensch hat
Friedrich von Homburg“, und „Wilhelm Tell“, und die
das Organ mitbekommen, diesen Ruf zu hören. Das
höchsten Dramen Shakespeares. Das Publikum muß intel¬
große Muß, das größte, dem sich in der gesamten Lebe¬
ligent mitarbeiten und gerade das sehen, was es sehen soll.
welt nichts entziehen kann. Ob der einzelne dabei das
Der Oberst hat natürlich auch seine Psychologie. Er
„Glück“ findet? Gleichviel, da er muß. Marie erinnert
hat es wohl gemerkt, daß Leutnant Max ihm die Frau
sich nicht mehr, ob sie es gefunden. Sie weiß nur noch,
verführt hat. Das war das Ventil, als Marie dem Ruf
daß sie in einer kurzen Spanne Zeit alle Seligkeit und
Höllenqual erlebt hat, die in ihrer menschlichen Bestim¬
des Lebens nicht folgte. Der Oberst ist ein Weltmann von
mung Platz hatte. Wer ist berechtigt, über sie zu richten?
hohem Niveau. Seine Frau sagt: ein Poseur. Ist es kein
Ist es nicht unbegreiflich, daß sie noch immer den Ruf
„Witz“ von ihm, sein Unglück als Gatte im Blute von
des Lebens hört? „Wenn du's vermagst empor zum Him¬
tausend jungen Männern ertränken zu wollen? Im zweiten
mel zu schaun, gleich anderen, ohne daß er sich dir ver¬
Akt hat der Oberst mit Max eine Aussprache, die sich in
finstert — wenn du den Duft der Wiesen und Wälder
lauter Verschwiegenheiten bewegt. Was könnte beredsamer
eintrinkst und er fault dir nicht auf den Lippen — wenn
sein? Dazu das Kasernen=Milieu... und der Abmarsch
du dich in den Frieden von Himmel und Erde stiehlst,
morgen früh. Diese Leben gehören sich ja gar nicht mehr
die dich nicht mehr haben wollen — wenn du es wagst
an. Und dann überrascht der Oberst seine Frau bei Max.
weiter zu leben, gleich Menschen, die ohne Schuld sich
Er springt zum Fenster herein, als sie Max auffordert,
wissen — was war denn dies alles?! — Was bist du
mit ihr zu fliehen. Der Ruf des Lebens, in allen erdenk¬
für ein Wesen, das aus einem solchen Schicksal wieder
lichen Tonarten. Die Frau sagt dem Gatten ihre ganze

Und
emportaucht wie aus einem wilden Traum?
Mißachtung ins Gesicht. „Nun ja! Was starrst Du mich
wacht — und lebt? sich sehnt zu leben —?“ So staunt
„Bist Du's?“ entgegnet der
so an? Ich bin es!“
Marie über sich selbst. Die das alles getan, ... ver¬
Oberst; „Du warst es, Irene.“ Und erschießt sie. Und
brochen. Der Arzt glaubt unverbrüchlich an die lebendige
geht. Was bleibt Max übrig als der Revolver? Der Schein
Kraft des Lebens. „Und wer weiß, ob Ihnen nicht spä¬
des Doppelselbstmordes, was auch die Idee des Obersten
ter — viel später einmal aus einem Tag wie der heutige
ist. Da tritt Marie hinter dem Vorhang hervor. Sie hat
der Ruf des Lebens viel reiner und tiefer in der Seele
alles mitangesehen. Sie „ist gekommen“. Noch einmal hört
klingen wird, als an jenem anderen, an dem Sie Dinge
er den Ruf des Lebens, wirft den Mantel um sich und
erlebt haben, die so furchtbare und glühende Namen tra¬
sie und stürzt mit ihr davon. Auf haardünner Schneide
gen wie Mord und Liebe.“
bewegen sich diese Szenen über die Bühne. Die aufregend¬
So der Arzt, von seiner hohen Warte herab. Er rät
sten Dinge im Banne einer stählernen Selbstbeherrschung.
ihr, in den Krieg zu ziehen, als barmherzige Schwester,
Zu stählern sogar; wenigstens was Marie als Zeugin
solcher Greuel betrifft. Wann denn soll eine in ihrer Ge= wie so viele andere.
„Sie sind gut,“ sagt Ma
„Gut? Ich? Jal. So w
Und wie diese Entschwunden
Worte! —— Ihnen scheint
und denen (weist auf die
laufen). Der da nicht mehr.
Erden, das sicher wäre.“
So der Arzt. Kein Pr
des Lebens. Des ewig rufen
zu folgen über die Kraft ge
Nun, in Berlin hat die
vermocht, obgleich Basserman
den Max spielte. Die Berlin
aus und waren ohnehin
Köpenick auch gegen normi
worden. In Wien genoß h
mit Vorsicht, ließ sich aber
nahm dann auch den dritter
Erfolg, halb wider Erwarte
diesen beiden Akten unter
Die Aufführung entsprach de
heiten. Den Ruf des Leh
selten aus. Es ist alles S
Herr Weisse, selbst spielt
nicht unheimlich genug zu
ihrer Kälte war richtig. W
wurzer! Herr Kramer
Homma kein übler alter
Eifer an den Tag, aber
Affekt eine krächzende Stimn
machte, und Frl. Müll
zwitschernde Weise, die w
Bloß Frl. Marberg als
Leben. Es heißt übrigens,
Stück wieder aufnehmen
räsonnieren und applaudier
gezeigt.