box 24/3
19. Der Ruf des Lebens
sundheit erschütterte Frau unwillkürlich einen Schrei aus¬
er war einstimmig Nein. So ist
stoßen?
nantische Zumutung des Dichters,
Der dritte Akt ist eine Nachschrift. Max hat sich er¬
sich abfinden muß. Macht er dieses
schossen, Marie nicht den Mut gefunden, ins Wasser zu
einen tragischen Genuß, wie er
gehen. Aus der gerichtlichen Ungelegenheit wegen des
Dann aber darf er sich nicht wei¬
Vaters Tod hat der Arzt sie herausgelogen. Eine Freun¬
ahn der Zugeständnisse noch weiter
din, die auf weniger wählerische Art auch dem Ruf des
Dichtung nicht auf das Einmaleins
Lebens gefolgt ist, stirbt. Ach, das Leben, das ruft,
uuf das Publikum ist schließlich jede
denn es ist seine Natur, zu rufen. Und der Mensch hat
Belastungsprobe. Auch „Prin;
das Organ mitbekommen, diesen Ruf zu hören. Das
, und „Wilhelm Tell“, und die
große Muß, das größte, dem sich in der gesamten Lebe¬
ppeares. Das Publikum muß intel¬
welt nichts entziehen kann. Ob der einzelne dabei das
erade das sehen, was es sehen soll.
„Glück“ findet? Gleichviel, da er muß. Marie erinnert
ntürlich auch seine Psychologie. Er
sich nicht mehr, ob sie es gefunden. Sie weiß nur noch,
daß Leutnant Max ihm die Frau
daß sie in einer kurzen Spanne Zeit alle Seligkeit und
das Ventil. als Marie dem Ruf
Höllenqual erlebt hat, die in ihrer menschlichen Bestim¬
Der Oberst ist ein Weltmann von
mung Platz hatte. Wer ist berechtigt, über sie zu richten?
Frau sagt: ein Poseur. Ist es kein
Ist es nicht unbegreiflich, daß sie noch immer den Ruf
Unglück als Gatte im Blute von
des Lebens hört? „Wenn du's vermagst empor zum Him¬
in ertränken zu wollen? „ Im zweiten
mel zu schaun, gleich anderen, ohne daß er sich dir ver¬
Max eine Aussprache, die sich in
finstert — wenn du den Duft der Wiesen und Wälder
n bewegt. Was könnte beredsamer
eintrinkst und er fault dir nicht auf den Lippen — wenn
rnen=Milieu ... und der Abmarsch
du dich in den Frieden von Himmel und Erde stiehlst,
ben gehören sich ja gar nicht mehr
die dich nicht mehr haben wollen — wenn du es wagst
ht der Oberst seine Frau bei Max.
weiter zu leben, gleich Menschen, die ohne Schuld sich
herein, als sie Max auffordert,
wissen — was war denn dies alles?! — Was bist du
Ruf des Lebens, in allen erdenk¬
für ein Wesen, das aus einem solchen Schicksal wieder
Frau sagt dem Gatten ihre ganze
Und
emportaucht wie aus einem wilden Traum?
t. „Nun ja! Was starrst Du mich
wacht — und lebt? sich sehnt zu leben —?“ So staunt
„Bist Du's?“ entgegnet der
Marie über sich selbst. Die das alles getan, ... ver¬
s, Irene.“ Und erschießt sie. Und
brochen. Der Arzt glaubt unverbrüchlich an die lebendige
übrig als der Revolver? Der Schein
Kraft des Lebens. „Und wer weiß, ob Ihnen nicht spä¬
was auch die Idee des Obersten
ter — viel später einmal aus einem Tag wie der heutige
inter dem Vorhang hervor. Sie hat
der Ruf des Lebens viel reiner und tiefer in der Seele
e „ist gekommen“. Noch einmal hört
klingen wird, als an jenem anderen, an dem Sie Dinge
ns, wirft den Mantel um sich und
erlebt haben, die so furchtbare und glühende Namen tra¬
davon. Auf haardünner Schneide
gen wie Mord und Liebe.“
nen über die Bühne. Die aufregend¬
So der Arzt, von seiner hohen Warte herab. Er rät
einer stählernen Selbstbeherrschung.
enigstens was Marie als Zeugin ihr, in den Krieg zu ziehen, als barmherzige Schwester,
Wann denn soll eine in ihrer Ge= wie so viele andere.
„Sie sind gut,“ sagt Marie.
„Gut? Ich? Ja! So wie Sie eine Verbrecherin sind.
Und wie diese Entschwundene eine Sünderin gewesen...
Worte! —— Ihnen scheint die Sonne noch, und mir —
und denen (weist auf die Kinder, die über die Wiese
laufen). Der da nicht mehr. Ich weiß nichts anderes auf
Erden, das sicher wäre.“
So der Arzt. Kein Priester des Todes, ein Priester
des Lebens. Des ewig rufenden Lebens, dessen Rufe nicht
zu folgen über die Kraft geht.
Nun, in Berlin hat dieses Stück nicht durchzudringen
vermocht, obgleich Bassermann den Obersten und Rittner
den Max spielte. Die Berliner kennen sich in Armeefragen
aus und waren ohnehin durch den Hauptmann von
Köpenick auch gegen normwidrige Oberste mißtrauisch ge¬
worden. In Wien genoß das Publikum den ersten Akt
mit Vorsicht, ließ sich aber von dem zweiten packen und
nahm dann auch den dritten günstig auf. Es wurde ein
Erfolg, halb wider Erwarten. Der Dichter erschien nach
diesen beiden Akten unter warmem Beifall wohl zehnmal.
Die Aufführung entsprach den allgemeinen Theatergewohn¬
heiten. Den Ruf des Lebens stoßen diese Schauspieler
selten aus. Es ist alles Spielkonvention. Der Direktor,
Herr Weisse, selbst spielte den Obersten, wußte aber
nicht unheimlich genug zu sein. Nur die Schlußszene in
ihrer Kälte war richtig. Welche Rolle für einen Mitter¬
wurzer! Herr Kramer war recht gut als Max, Herr
Homma kein übler alter Moser. Die Damen legten viel
Eifer an den Tag, aber Frl. Hannemann hat im
Affekt eine krächzende Stimme, die die Marie unsympathisch
machte, und Frl. Müller als Kathariga hat eine #
zwitschernde Weise, die wenig Mannigfaltigkeit zuläßt.
Bloß Frl. Marberg als Oberstin zeigke ein wirkliches
Leben. Es heißt übrigens, daß man güch in Berlin das
Stück wieder aufnehmen will. Daß man gleichzeitig
räsonnieren und applaudieren kann, hat sich ja heute
gezeigt.
19. Der Ruf des Lebens
sundheit erschütterte Frau unwillkürlich einen Schrei aus¬
er war einstimmig Nein. So ist
stoßen?
nantische Zumutung des Dichters,
Der dritte Akt ist eine Nachschrift. Max hat sich er¬
sich abfinden muß. Macht er dieses
schossen, Marie nicht den Mut gefunden, ins Wasser zu
einen tragischen Genuß, wie er
gehen. Aus der gerichtlichen Ungelegenheit wegen des
Dann aber darf er sich nicht wei¬
Vaters Tod hat der Arzt sie herausgelogen. Eine Freun¬
ahn der Zugeständnisse noch weiter
din, die auf weniger wählerische Art auch dem Ruf des
Dichtung nicht auf das Einmaleins
Lebens gefolgt ist, stirbt. Ach, das Leben, das ruft,
uuf das Publikum ist schließlich jede
denn es ist seine Natur, zu rufen. Und der Mensch hat
Belastungsprobe. Auch „Prin;
das Organ mitbekommen, diesen Ruf zu hören. Das
, und „Wilhelm Tell“, und die
große Muß, das größte, dem sich in der gesamten Lebe¬
ppeares. Das Publikum muß intel¬
welt nichts entziehen kann. Ob der einzelne dabei das
erade das sehen, was es sehen soll.
„Glück“ findet? Gleichviel, da er muß. Marie erinnert
ntürlich auch seine Psychologie. Er
sich nicht mehr, ob sie es gefunden. Sie weiß nur noch,
daß Leutnant Max ihm die Frau
daß sie in einer kurzen Spanne Zeit alle Seligkeit und
das Ventil. als Marie dem Ruf
Höllenqual erlebt hat, die in ihrer menschlichen Bestim¬
Der Oberst ist ein Weltmann von
mung Platz hatte. Wer ist berechtigt, über sie zu richten?
Frau sagt: ein Poseur. Ist es kein
Ist es nicht unbegreiflich, daß sie noch immer den Ruf
Unglück als Gatte im Blute von
des Lebens hört? „Wenn du's vermagst empor zum Him¬
in ertränken zu wollen? „ Im zweiten
mel zu schaun, gleich anderen, ohne daß er sich dir ver¬
Max eine Aussprache, die sich in
finstert — wenn du den Duft der Wiesen und Wälder
n bewegt. Was könnte beredsamer
eintrinkst und er fault dir nicht auf den Lippen — wenn
rnen=Milieu ... und der Abmarsch
du dich in den Frieden von Himmel und Erde stiehlst,
ben gehören sich ja gar nicht mehr
die dich nicht mehr haben wollen — wenn du es wagst
ht der Oberst seine Frau bei Max.
weiter zu leben, gleich Menschen, die ohne Schuld sich
herein, als sie Max auffordert,
wissen — was war denn dies alles?! — Was bist du
Ruf des Lebens, in allen erdenk¬
für ein Wesen, das aus einem solchen Schicksal wieder
Frau sagt dem Gatten ihre ganze
Und
emportaucht wie aus einem wilden Traum?
t. „Nun ja! Was starrst Du mich
wacht — und lebt? sich sehnt zu leben —?“ So staunt
„Bist Du's?“ entgegnet der
Marie über sich selbst. Die das alles getan, ... ver¬
s, Irene.“ Und erschießt sie. Und
brochen. Der Arzt glaubt unverbrüchlich an die lebendige
übrig als der Revolver? Der Schein
Kraft des Lebens. „Und wer weiß, ob Ihnen nicht spä¬
was auch die Idee des Obersten
ter — viel später einmal aus einem Tag wie der heutige
inter dem Vorhang hervor. Sie hat
der Ruf des Lebens viel reiner und tiefer in der Seele
e „ist gekommen“. Noch einmal hört
klingen wird, als an jenem anderen, an dem Sie Dinge
ns, wirft den Mantel um sich und
erlebt haben, die so furchtbare und glühende Namen tra¬
davon. Auf haardünner Schneide
gen wie Mord und Liebe.“
nen über die Bühne. Die aufregend¬
So der Arzt, von seiner hohen Warte herab. Er rät
einer stählernen Selbstbeherrschung.
enigstens was Marie als Zeugin ihr, in den Krieg zu ziehen, als barmherzige Schwester,
Wann denn soll eine in ihrer Ge= wie so viele andere.
„Sie sind gut,“ sagt Marie.
„Gut? Ich? Ja! So wie Sie eine Verbrecherin sind.
Und wie diese Entschwundene eine Sünderin gewesen...
Worte! —— Ihnen scheint die Sonne noch, und mir —
und denen (weist auf die Kinder, die über die Wiese
laufen). Der da nicht mehr. Ich weiß nichts anderes auf
Erden, das sicher wäre.“
So der Arzt. Kein Priester des Todes, ein Priester
des Lebens. Des ewig rufenden Lebens, dessen Rufe nicht
zu folgen über die Kraft geht.
Nun, in Berlin hat dieses Stück nicht durchzudringen
vermocht, obgleich Bassermann den Obersten und Rittner
den Max spielte. Die Berliner kennen sich in Armeefragen
aus und waren ohnehin durch den Hauptmann von
Köpenick auch gegen normwidrige Oberste mißtrauisch ge¬
worden. In Wien genoß das Publikum den ersten Akt
mit Vorsicht, ließ sich aber von dem zweiten packen und
nahm dann auch den dritten günstig auf. Es wurde ein
Erfolg, halb wider Erwarten. Der Dichter erschien nach
diesen beiden Akten unter warmem Beifall wohl zehnmal.
Die Aufführung entsprach den allgemeinen Theatergewohn¬
heiten. Den Ruf des Lebens stoßen diese Schauspieler
selten aus. Es ist alles Spielkonvention. Der Direktor,
Herr Weisse, selbst spielte den Obersten, wußte aber
nicht unheimlich genug zu sein. Nur die Schlußszene in
ihrer Kälte war richtig. Welche Rolle für einen Mitter¬
wurzer! Herr Kramer war recht gut als Max, Herr
Homma kein übler alter Moser. Die Damen legten viel
Eifer an den Tag, aber Frl. Hannemann hat im
Affekt eine krächzende Stimme, die die Marie unsympathisch
machte, und Frl. Müller als Kathariga hat eine #
zwitschernde Weise, die wenig Mannigfaltigkeit zuläßt.
Bloß Frl. Marberg als Oberstin zeigke ein wirkliches
Leben. Es heißt übrigens, daß man güch in Berlin das
Stück wieder aufnehmen will. Daß man gleichzeitig
räsonnieren und applaudieren kann, hat sich ja heute
gezeigt.