II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 247

Ene mesterkaste trazische Spieskt, vol Wahrbit und Uin¬
möglichkeit. Die Stickluft diesex=Stubenwelt, die auserlesenen Grau¬

Feuilleton.
samkeiten dieses Existierens, das übermächtige Müssen, die Auf¬
Schnitzler hat nie Besseres
rührung dunkelster Menschlichkeiten
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geschrieben. Mit beklommener Brust folgt man ihm, bis man froh
#gt
Deutsches Volkstheater.
aufatmet: Ach, das geht ja gar nicht! Wo wird denn der General,
(„Der Ruf des Lebens“, Schauspiel in drei Aufzügen von Actur Schnitzler.)
der Feldherr, der Monarch so ein rotes Opferfest zugeben, ein
ein Selbstmord¬
Tausend stramme Reiter abschlachten lassen
Von ganz hoch herab schaut Schnitzler auf das Leben und
regiment. Und wie können sie solchen Eid schwören? Sind sie denn
Sterben der Menschen. Als Arzt hat er beides mit ihnen erlebt, als
Makkabäer? Oder Pappenheimer, die der verzweifelte Schiller ver¬
Dichter sucht er es zu erklären. Das Unerklärliche erscheint ihm als
sönlich in den Tod führt, aber immerhin ohne bindenden Todes¬
das Tragische. Einen Sinn muß es ja haben, aber wer kann da
schwur? ... Und die ganze Stadt spricht davon, das Volk ist
hinauf? Diese Unzulänglichkeit macht ihn zum Tragiker. Aeschylos
Was sagen
grabesstill, wenn die Lebendigtoten vorbeireiten ..
fühlt sich blinder als Homer, denn dieser fragt nicht und ist zufrieden
Aeschylos fragt und erhält keine Antwort; auch nicht im zwanzigsten denn die Zeitungen zu dieser ungewöhnlichen Sache? Was sagt man
Jahrhundert. Der Dr. Schindler (unwillkürlich meint man Dr. Schnitzler) dazn in Berlin, Paris, London, in der feindlichen Hauptstadt sogar?
sagt am Schlusse des Stückes: Der Mensch hat nichts als das bischen! Und die Verwandten der Offiziere, der Mannschaften? Die Mütter,
Gattinnen, Bräute, Kinder! Und mit welchem Gesicht geht der Oberst
Leben. Das ist das einzig Sichere. Das Uebrige sind Worte. Gut—
— Glück: Worteselbst herum? Overst Freiherr v. Würgengel. Wie kann er über¬
— Verbrechen — Liebe
schlecht — Sünde
Lebendig ist einzig das Leben. Das Gefühl, gelebt zu haben, ist das khäupt noch unter Leute gehen? Er müßte ja längst in Untersuchung
einzige Positive. Wie immer gelebt, in Lust und Qual durcheinander##sein, auf Geisteszustand . . . Nein, gottlob, das geht nicht! Plutarch
Verzählt von so einer heiligen Legion in Theben. Aber das ist schon
eine Spanne lang nur, aber ein Funke von Leben gewesen sein, wie
Flange her; und auch die schwor bloß, zu siegen; nicht, auf alle Fälle
die Sonne auch nur einer ist. Das Bewußtsein haben, keine un¬
zu#sterben. Selbst in Sparta wurde solches Ueberheldentum nicht
organische Materie zu sein, sondern ein funktionsfähiges Atom, eine
gefordert. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aber war es,
Bewegung gemacht zu haben, während das Gebirge reglos steht
auf diesem Planeten wenigstens, undenkbar.
Das heißt, der Dr. Schindler schlägt diese Taste nur an; ich spinne
Also kann es der Dichter nur grotesk gemeint haben. Als
den Ton aus. „Weil noch das Lämpchen glüht“, sang man in der
arnseliges Totentanzmotiv, mit Morituri=Stimmung ad absurdum.
biederen Zeit, aus dem nämlichen Gefühl heraus. Wenn das Leben
Dann aber ist es genial. Selbst wenn die Zuschauerschaft sich nicht
ruft, folge ihm. Zu spät: ist das schrecklichste Wort. Der verpaßte
recht auskennen, sondern Miene machen sollte, auf ihren Schein zu
Augenblick ist Selbstmord. Das versäumte Glück, und wäre es gar
pochen, nämlich auf die bürgerliche Scheinwahrheit. Und in diesem
kein Glück gewesen, ist Unglück ...
Sinne des tragischen Hohnes, auf Menschenblindheit und Glückwahn,
Wie Trauergewinde, schwarz und bleich gemischt, schlingen sich
ist auch der zweite Akt stark geführt. Wer kann das säuberlich auseinander¬
diese Ketten von Begriffen um die Menschheit. Eine unablässig sterbende
schlichten, wie hier die Nervenströme sich kreuzen, ein Strom den
Gesellschaft, in die von allen Seiten, mit allerlei Stimmen, der Ruf
andern parodiert, karikiert? Der Begriff Leben ist hier der einzige
des Lebens hineintönt. Dieses schaurige Konzert hat der Dichter
feste Punkt; und welch schwankendes Etwas, und gleich wieder
komponiert, ohne Musik. Ergreifend orchestriert, jedes Instrument ein
Nichts, ist das Leben. Aber es ruft. Und dieser Ruf ist ein unwider¬
Mensch, ein Schicksal. Totentanz ohne Ballettmusik. Wer anders kann
stehliches Leitmotiv. Ihm nach geht Marie zu Max und birgt sich
diese Last von uns heben als der Dichter? Wenn er so wahr zu sein
hinter dem Vorhang. Ihm nach geht die Frau Oberst hin und setzt
vermag, daß zum Schlusse alles aufathmet: Gottlob, daß es gar
ihm zu mit ihr zu fliehen. Und als der Oberst zum Fenster herein¬
nicht wahr ist. Wenn er unsere Schmerzen auf Puppen überträgt wie
steigt und die keck Entgegnende erschießt („Ja, ich bin's!“ — „Du
auf Sundenböcke, und uns entsündigt, weil die Schuld unwahrscheinlich
warst es. Irene!“) und wieder fort ist, da taucht Mariedaufe
wird. Erlötung im Tragikomischen. Da ist dieses neue Schauspiel.
hin gekommen.“ Und Max rafft sie in seinen Mantel und
Wie schauerlich wahr, wie dem Leben abgelauscht und dem Tode¬
schlebpt siet hinaus in die Nacht. Von der Leiche weg. Das Leben
Wie ergreiseno in einer aufopfernden Hilflosigkeit und wie erschütternde
rief seinen Ruf. Interessant eine vorhergehende Szene des Obersten,
in einer schonungslosen Selbsthilfe. Wie bang und dringend, lockend
der bereits weiß, mit Max. Ein Gespräch der Hintergedanken. In
und drohend, diese Rufé des Lebens. Und wie grotesk darein dieser
der sonderbaren Seele des Obersten eine Art zärtliches Gefühl für
wie Trauerjubel aufgellende Ruf des Todes. So glaublich, möglich
Max, dem er sogar Rettung bietet; eine Botschaft in die Residens
und wahrscheinlich, daß einer davon toll werden könnte wenn es
zu überbringen. Was geht in ihm vor, unter all den Verschweigungen?
nicht zum Glück auch wieder so unglaublich, unmöglich und unwahr¬
Interessant auch ein Gespräch zwischen Max und dem Kameraden
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scheinlich ire. Er gibt uns Gift ein, aber sofort auch das Gegen¬
Albrecht. Einem Skeptiker, der immer fragt: „warum? warum?“
gift. 17 er ist entschuldigt, denn das Spiel hat uns über den Ernst
und den Unsinn doch mitmacht. Der Oberst soll nicht „den großen Mann
hinweggeholfen. Er hat uns wieder einmal zugerufen: Vergiß nicht
spielen können“ vor ihm. Zufällig überlebt er dann die Metzelei —
zu leben!
man erfährt es später — da geht er in eine Scheune und erschießt
Der alte Moser, neunundsiebzig Jahre, todkrank, will durch
sich. Wie Schweizer in den „Räubern“. Das Leben ist also die einzige
neunzig alt werden. Er hört nur den Ruf des Lebens. Seine Tochter
Kostbarkeit des Menschen; warum dennoch billig wie Brombeeren?
Marie dagegen, die sich an dem sekkanten, bösartigen Patienten krank
Wie diese Leute es mit einem Fingerschnalzer von sich schnellen. Es
pflegt, hat den Ruf des Lebens überhört. Damals in jener heiß
ist doch schließlich mehr Pose darin. Dieser Leutnant Albrecht schilt
durchtanzten Nacht, mit dem Leutnant Max. Vorbei! Zu spät! Er
den Obersten einen Poseur; auch er ist einer. Das Programm über¬
hat sie vergebens erwartet und dann eine Dummheit gemacht, mit
wältigt doch das Lebendige. Beide, die leben wollen und die sterben
der Frau Oberst. Der Oberst erkennt es und will seinen Gram in
wollen, folgen eigentlich bloß einem Schlagwort. Auch die Leben¬
Blut ertränken. Es ist gerade Krieg und da will er fallen, mit allen
heischenden rufen mit Jammerlaut: „Ave Caesar, non morituri te
seinen Reitern; ein Massen=Heldentod, wie noch keiner gestorben worden.
salutant.“ Ihr Leben trägt schon den Tod im Gesichte. Und es ist
Die blauen Kurassiere, das ist ja das Regiment, wegen dessen Panik
auch eine Feierlichkeit und Getragenheit in diesem ganzen Drama.
vor dreißig Jahren die gewisse Schlacht verloren ging. Der Nach¬
Wie in einem Sterbehause. Die Leute haben eine Neigung, sich in
wuchs des Regiments soll nun die Schmach der Vorfahren rächen,
das Verhängte zu ergeben. Bezeichnend, daß alle von dem oder der
durch freiwilligen Gesamttod. Alle leisten den Schwur: keiner wird
Geliebten verschmäht wurden und nicht zürnen. Mariens Freundin
lebendig zurückkommen! ... Und nun reiten die blauen Kürassiere
Katharina ist darob gar „schlecht“ geworden. Neunzehn Jahre alt,
unter den Fenstern der Marie vorbei. Sie reiten in den Tod,
mit zweiundzwanzig wird si ohnehin sterben, wie alle ihre Schwestern.
diese jungen Leute.. manche noch keine zwanzig alt, jubelt der
Schwindsüchtig und verliebt; Leben und Tod rufen sie gleichzeitig.
alte Moser, der ihren frühen Tod sich auf der Zunge zergehen läßt.
Eine liebe Figur übrigens. Wie Rezitative klingt ihre verführende
Wie er jauchzt, der alte Moser, daß er sie alle überleben wird,
Wechselrede mit Marie:
... da er es doch ist, der sie in den Tod schickt. Denn er war Ritt¬
„Warum ließest du ihn warten?
meister in diesem Regiment, in jener Schlacht, und bei ihm hat jene
Ich versprach ihm nie —
Panik angefangen. Er ist es also, der 79jährige Sterbegreis, der
Eine ganze Nacht schwebtest du in seinen Armen dahin durch einen
diese tausend blühenden Männer mordet. Welcher Genuß, für eine
Saal mit tausend Lichtern. Das ist auch ein Versprechen.
Feinschmecker fremden Sterbens... Aber Max ist nicht dabei.
ind nun reitet er in den Tod -
Nun reut es dich doch!
Schwadron soll erst morgen früh reiten. Der Ruf des Leben
Neut mit
schallt. Zu ihm! Zu ihm!... Doch der Alte verschließt die
Ich nicht, du Stille! Wer hielt dich! Kanntest du den
und zieht den Schlüssel ab. Sie soll bleiben und seine Schlaflo#
Weg nicht?
keit bewachen, die ganze Nacht. Diese Nacht des Einmal und nicht
Ich tann den Beg.
Warum du ihn nicht gegangen?
wieder. Lauter ruft das Leben ... Da gießt sie das Fläschchen, das ihr
Konn##n gehn?
der Arzt anvertraute, ganz in sein Glas aus. Er stirbt. Sie geht.