II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 290


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Obersien. Die Frau möchte ihn zur Desertion und Flucht] Es ist bezeichnend für die schwächliche, unwürdige Abhän¬
mit ihr verleiten. Mar will davon nichts wissen. Plötzlichgigkeit von Berlin, in der sich Wien gegenwärtig in thea¬
klirrt das verschlossene, verhängte Fenster der parterre ge-tralischen Dirgen befindet, daß wir drei Jahre lang war¬
dachten Stube, das auf den Kasernenhof hinausgeht: der
ten mußten, bis „Der Ruf des Lebens“ nach Wien drang,
Oberst, schon lange seine Frau beargwöhnend, steht im
hier gehört wurde und lautes Echo weckte. Was Berlin
Zimmer; der Oberst, dem Max erst kurz vorher auf eine
sagt und entscheidet, ist heilig. Keinem unserer Direktoren
andeutungsreiche Frage geantwortet hat: „Ich darf an
ist die Kühnheit geläufig, vom Urteil des Berliner Pre¬
Ihrer Seite sechten, Herr Oberst.“ Trotzig und höhnend
mierenpublikums kühl lächelnd abzusehen, selbständig nach¬
empfängt Irene den Gatten: „Nun ja! was starrst du mich
zupriifen und, was er als gut befindet, unbekümmert um
so an? Ich bin es!“ Und er: „Bist du's? Schade, daß deine
auswärtigen Mißerfolg, aufzuführen. So dürfte zum an¬
Wahrheiten beinah so kurzen Atem haben als deine Lügen.
deren Beispiel das beste Drama Max Halbes „Das tau¬
* Du warst es, Irene. (Erschießt sie.) Irene fällt tot zu
sendjährige Reich“ sein; weil es aber in Berlin nicht zwei
Boden. Max beugt sich zu ihr nieder: „Nun an mich. Herr
Aufführungen überstehen konnte, ist es für Wien gar nicht
Oberst! Was beschließen Sie mit mir?“
geschrieben, obwohl hier in unabgerissener Reihe „Die
Der Oberst: „Nichts, Herr Leutnant. — Nur bitte ich
Jugend“, die „Lebenswende", „Der Strom“, „Das Haus¬
Sie, dafür zu sorgen, daß dieser Mord möglicherweise mor¬
Rosenhagen“ und anderes gespielt wurden; ebenso wagt
gen nicht vor unserem Abmarsch entdeckt wird, und, da ich
sich kein Wiener Theater an Halbes „Zweites Gesicht“
noch etwas zu tun habe und Sie wahrscheinlich nichts mehr
an seine „Insel der Seligen“ oder an seine „Blauen
ihn für alle Fälle auf sich zu nehmen. Es wird Ihnen
Berge“. Oh, mangelnde Initiative . .. Der jüngste Ver¬
nicht schwer werden ... Sie sind ja das Lügen gewohnt.“
lagskatalog von Schnitzlers Verleger S. Fischer zeigt,
Max: „Herr Oberst, es wäre menschlicher gewesen, es
wie blind das Lesepublikum die Meinung der Berliner
in einem abzutun.“
Premierenweisen nachbetet. Während die Auflagenzahl der
Der Oberst: „Menschlicher — ja. Aber das laa nicht
meisten anderen Dramen des Dichters drei, vier, fünf,
in meiner Absicht.“
sieben, neun beträgt, hat es „Der Ruf des Lebens“ nur
Der Oberst geht. Mar bleibt allein zurück und greift
auf zwei Auflagen gebracht. Vielleicht wird sich das än¬
zum Revolver, ein Ende zu machen. In diesem Augen¬
dern nach dem schönen Erfolg, den das Drama voriges
blicke tritt Marie hinter dem Vorhang hervor, totenblaß
Jahr in Prag, und nach dem noch schöneren, den es jetzt
und ruhig. Mit wenigen fieberhaften Worten stellt Max ihr,
in Wien erfochten hat.
die alles miterlebt hat, vor, daß er sich töten muß, ehe die
Das abweisende Benehmen der Berliner und der
Sonne aufgeht. Marie weiß das und bleibt: „Ich bin ge¬
Leser ist aber nicht ganz grundlos. Es schöpft seine Be¬
kommen.“ Da nimmt sie Max mit dem einen Arm, hüllt sie
rechtigung, wahrscheinlich unbewußt, daraus, daß „Der Ruf
und sich mit dem andern in seinen Mantel und eilt mit ihr
des Lebens“ nicht ein straff und normal gebautes Drama
in die Nacht hinaus, die Tür hinter sich versperrend. „Die
ist, sondern in zwei fast völlig voneinander unabhängige
Szene ist nun leer; nur die tote Irene liegt auf dem Fu߬
Einakter und einen angehängten Epilog zerfällt. Der erste
boden ... Draußen Ruf einer Patronille... Ferne Trom¬
Einakter, etwa „Der Ruf des Lebens“ zu betiteln, ist die
petenstöße. Vorhang.“
Geschichte des jungen Mädchens, das sich von dem kranken
Hat Marie in dieser Nacht das Leben gefunden, dessen
alten Vater peinigen läßt, bis es seine ungestümen Wünsche
Ruf sie gefolgt ist? Sie weiß es wenige Wochen später nicht
dazu treiben, den Vater durch Gift zu töten und hinaus in
mehr. „Doch hab' ich in dieser einen Nacht erfahren, was
die Nacht zu stürmen. Niemand empfände einen Mangel,
andere Frauen nicht in tausend Tagen und Nächten ge¬
wenn der Vorhang nach diesem Einakterakt endgültig fiele.
schenkt ward ... Ich habe gesehen, wie Frauen betrügen,
Streicht man im zweiten Akt die vierte Szene, in der
locken, lügen, ehrlich sind und sterben, habe gesehen, wie
Marie ins Leutnantzimmer stürmt, und die zehnte, in der
Männer zittern, spielen, höhnen und töten. Und was ich
sich Marie und Max verbinden, so ist ein neuer, ganz abge¬
st
sah, war nur ein Vorspiel zu meinem eigenen Schicksal ...
schlossener Einakter da, der etwa „Vorabend“ heißen
Dann erst lebte ich meine eigene Seligkeit und meine eigene
könnte. Lauter neue Menschen treten auf, eine ganz andere
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Verzweiflung ... Ob ich das Leben fand? .. .. Es muß
Welt öffnet sich. In der Kaserne, am Abend vor dem
v.
wohl so sein... Glücklich bin ich gewesen, wie kein mensch¬
Auszug in den Krieg. Der Leutnant wird mit seinem
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liches Wesen jemals war, und elend wie keines, — bin
Unteroffizier vertraulicher als sonst, er erörtert mit einem
geliebt worden, wie eine, die man mit Schmerzen ersehnt, —
Kameraden die naheliegenden Probleme von Tod und
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bin verlassen worden, wie eine Dirne, die man sich genom¬
Leben, Bedeutung des Vaterlandsbegriffes, von Zweck oder
men hat für eine Nacht ... Ja, ich habe das Leben ge¬
Sinnlosigkeit des Krieges und dergleichen mehr Dann
e
funden — das mich rief ... aber in seiner Seligkeit, in
kommt des Obersten Frau, zuletzt der Oberst und mit ihm
n
seinen Leiden, hauchte es mir Tod entgegen.“ So spricht
die Abrechnung. Mit Maxens Selbstmord, während sein
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Marie vier Wochen nach der verhängnisvollen Abenteuer¬
Regiment mit fliegenden Fahnen und unter klingendem
n#
nacht zum Doktor, der sie, des Vaters natürlichen Tod
Spiel ins Feld zieht, könnte dieser zweite Einakter
bezeugend, vor den Folgen ihrer Mordtat gerettet hat.
schließen, wie Hartlebens „Rosenmontag". Wieder würde
Und aus ihren Worten erfahren wir auch die schreckliche
niemand irgendein Defizit #hlen. Durch Mariens Ge¬ We
Enttäuschung, die jener Nacht folgte: „Gemordet hatt' ich
stalt werden die zwei Einakter lose verknüpft. Und weil G
für einen — und er wollte nicht mit mir leben — nicht
damit weder der Theaterabend, noch das übliche dreiaktige K
einmal sterben mit mir! Denn darum fleht' ich ihn an. —
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Schema erfüllt wäre, folgt ein dritter Akt, der nur ein
Aus meinen Armen ist er fort — nicht ins Dasein hinaus
dialogischer Epilog in lyrisch gehobener Rede ist, aber weder
— nicht in einen edeln Tod — nein, er ist gegangen, sich
frühere Fäden weiterspinnt, noch neue knüpft. Instinktiv
E
nerken das manche Zuschauer und werden widerhaarig.
umbringen, kläglich, für eine andere, die ihm so wenig be¬
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Aber dieser unbehebbare Baufehler des Dramas — es
deutet hat, als ich.“ Marie hat nicht die Kraft gehabt, sich zu
e
wvar viel davon die Rede, daß Schnitzler für die Wiener
töten; Max aber ist in sein Zimmer heimgekehrt und hat
si
und die ihr vorangehende Prager Versuchsaufführung das
sich dort erschossen, damit die Welt an einen Doppelselbst¬
#
S
Stück ganz umgearbeitet habe; die Aufführung zeigte,
mord mit Irene glaube. Auch von den blauen Kürassieren
daß das Schauspiel im wesentlichen unverändert geblie¬
lebt keiner mehr; sie sind in einer Schlacht gefallen, die
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den ist, aber durch Kürzungen bühnenwirksamer und nur
trotz ihres Heldenmutes verloren ging. Und schon raunt
das Gerücht, der Oberst habe diesen Rütlischwur nur an¬
im dritten Akt (erst bei den Wiener Proben) in einigen#
geregt, um zugleich mit dem Liebhaber seiner Frau, den er
Punkten geändert wurde — tritt gegen seine üppig=blü-e
henden Schönheiten weit zurück. Der geheimnisvolle Zau¬
unter den Offizieren ahnte, aber nicht kannte, zu sterben...
I
ber des Dreigestirns Tod — Leben — Liebe leuchtet in
Marie jedoch ist aus ihrem seltsamen Schicksal empor¬
diesem Werke besonders hell und beseligend, jenes Geheim¬
getaucht wie aus einem wilden Traum, sie lebt, sie sehnt
nis, das Horaz in die zwei dieta: „Carpe diem“, in den
sich, zu leben. Ihre schwindsüchtige Cousine Katharina,
Oden und „Mors ultima linca rerum est“ in den Episteln
Mariens leichtblütiges Gegenbild, stirbt, nachdem sie ihr
Sane i 1.
gefaßt hat und das in anserem Pitei
Tfeilt eine 1re Seann ei1 oollen Haßen gendssen

schlichte und ruhige G
gar an Sonnent
als Oberst war entspä¬
Homma war für de
zu jung und zu freun
leise, und auch Edth#
unvergleichlich war, en
und zu zurückhaltend
laut und ohne jeden
dem effektreichen zweite
mal vor seinen treue
gen konnte.