II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 295

19. Der Ruf des Lebens
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# Wiener Bilder
Wiener Theaterbilder.
Deutsches Volkstheater. Artur Schnitzlers
Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ wurde vom Pu¬
blikum, besonders in den beiden ersten Akten, mit stürmi¬
schem Beifall ausgenommen. Die große Begabung des
Dichters für hochdramatische Ausgestaltung eines tiefgründigen
Stoffes zeigte sich auch hier wieder in glänzender Weise. Das
Publikum wurde von den erschütternden, oft grausam realisti¬
schen Szenen so mächtig fortgerissen, daß ihm die Schwächen
des Stückes in bezug auf innere Wahrscheinlichkeit und die
Möglichkeit seiner Voraussetzungen nicht bewußt wurden.
Man kommt bei dieser Wucht der tragischen Ereignisse doch
zu der Einwendung: Mag die brutale Wirklichkeit
immerhin solche Greuel schaffen, so leidet doch die künstlerische
Wahrheit darunter. Der zweite Akt enthält eine solche Häu¬
fung des Grauenhaften, daß wir kaum in den Schicksals¬
tragödien der alten Griechen ein Vorbild finden.
Marie, die Tochter des todkranken Moser, der sein
Kind in egoistischer Weise quält und ihr jede Lebensfreude
verrammelt, wird an ihrem Vater zur Mörderin, um diesem
den Schlüssel zur Wohnungstür entreißen zu können, damit
sie ihre brünstige Lebenssehnsucht an der Seite des dem
Tode geweihten Leutnants Max von den blauen Kürassieren
befriedige. Sie stürmt in seine Wohnung in der Kaserne und
wird hinter dem Vorhang des Nebenzimmers Zeugin einer
grauenhaften Szene: die junge Frau des Obersten umschlingt
ihren Mar mit wahnsinniger Leidenschaft und beschwört ihn,
mit ihr zu fliehen. Der Oberst, der ebenfalls Zeuge dieses
Gespräches ist, steigt beim offenen Fenster herein und schießt
die Ehebrecherin nieder. Er überläßt es dem Leutnant, sich
selbst zu richten. Dieser setzt schon die Pistole an die
Brust, als Marie hervorstürzt und ihn bestimmt, den gemein¬
samen Liebesdurst vor dem Tode noch zu stillen. Man
denken die Vatermörderin an der Leiche ihrer Nebenbuhlerin,
in der kein anderer Gedanke lebt, als eine schwüle Nacht mit
dem Geliebten zu durchleben. Es mag perverse Naturen
geben, die solchen hysterischen Trieben blindlings folgen.
Aber braucht es dazu einen Vatermord? Hundertmal hätte
sie durch die offene Tür entwischen können, um gleich ihrer
Cousine Katharina das Leben in vollen Zügen zu genießen.
Sie ist ja 26 Jahre alt. — Wir würden dem Dichter un¬
recht tun, wenn wir ihm imputierten, daß er seine Tragödie
als die Einzelschicksale bestimmter Menschen hingestellt habe.
Er wollte eine tiefgründige Symbolik in sein Werk verlegen.;
Das beweist der dritte Akt mit den philosophischen Exkursio¬
nen des Doktors, der eine Art erklärenden Epilog des:
Ganzen bilden soll. Die Darstellung des Stückes war durch¬
weg vortrefflich. Der hiufällige, nörgelnde Vater des Herruf
Homma, die prächtige, eherne Gestalt des Obersten (Herr
] Weisse), der sympathische Leutnant des Herrn Kramer,
sowie die vorzüglichen Leistungen der Damen Hanne¬
mann, Müller, Marberg und Thaller wußten
die Wirkung der vielen packenden Szenen zu ihrem Höhe¬
punkt zu führen. Es gab einen starken, teilweise stürmischen
Erfolg, der jedoch im dritten Akte erheblich nachließ.
V. Ch.
esen nen