II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 296

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und matt in der Farbe, und der gutmütige, bekränzte Stier dahinter
ist gar so zahm; Papa Zeus war bei dem Raub der Schönen
denn doch etwas stürmischer! Die „Maria“ von L. Vesco ist ein
ganz gemütliches Dorfdirndl: im Hintergrund ist ja ihre Heimat mit
schlichten Bauernhäusern zu sehen. „Marie“ ohne Reiflein über dem
Kopf, hätte als Bezeichnung besser gepaßt.
Unter den Radierungen und anderen graphischen Arbeiten
sind besonders die Namen F. Michl, Jilowsky und Fr. Simon zu
vermerken.
In der Plastik hat Fr. Barwig wieder eine Reihe von Tier¬
stücken in seiner stilistischen Art ausgestellt. Oft begnügt sich der
Künstler bloß mit roher Bossierung und erzielt mit seinem
virtnosen Schnitt eine treffliche Wirkung. Eine köstliche Gesellschaft
von kleinen, bemalten Figürchen hat übrigens Barwig im Vereine
mit dem Maler Wilke gebracht, wie „Serenissimus durch Kinder¬
mann einem Bürgermeister vorgestellt wird". Es ist Originalität,
viel Witz und Humor in diesen kleinen Charaktergestalten; eine heitere
Spielerei auch für große Kinder!
Im Annex der Ausstellung der Mitglieder hat der „Bund
der zeichnenden Künstler“ in München eine Kollektivausstellung von
Handzeichnungen, Holzschnitten, Radierungen und anderen Graphiken
angeschlossen, in der besonders die Arbeiten von Ernst Liebermann,
Hans Neumann, Ernst Kreidolf und Dav. Staschni vorteilhaft auf¬
fallen. Originell ist die Radierung von Alb. Welti im Hollenbreughel¬
Stil des „Ehehafen“.
Jos. Langl.
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Artur Schnitzlers Der Ruf des Tebens“
(Zur Erstaufführung am Deutschen Volkstheater, 11. Dezember.)
Nicht der Ruf des Lebens, das Rufen des Lebens ist's, das
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uns Schnitzler in seinem neuen Stück hören lassen will. Eine ganze
Polyphonie, ein Knäuel von Tönen, alle aber von einer Grundnote
beherrscht — dem Notschrei des Lebens. Marie Moser ist ein sechs¬
undzwanzigjähriges, schönes Mädchen. Sie hat noch nie die Wonne
der Jugend gekostet aber schon das herbe Leid des Lebens. Denn sie ist
die Tochter des Rittmeisters a. D. Moser, eines bösen, selbstischen,
launenhaften Mannes. Er hat seine Frau bis in den Tod ge¬
peinigt, jetzt ist es an der Tochter, den Kelch der Bitterkeit zus
trinken. Er ist alt und krank, unrettbar, und klammert sich mit
der ganzen animalischen Angst eines Sterbenden an das letzte
Restchen Leben. Seine Tochter ist seine Pflegerin, nein, seine Ge¬
fangene. Er gönnt ihr nicht ihre Jugend, ihre Sonne, ihre Zu¬
kunft. Warum du und nicht ich? Warum muß ich sterben? Diese
unerbittliche Frage übertönt alle anderen Gefühle. Er möchte mit
sich am liebsten die ganze Welt mit ins Grab ziehen. Und den Haß
des Scheidenden gegen die Bleibenden, des Unterliegenden gegen
den Sieger konzentriert er auf seine Tochter Marie, die er um ihr
bißchen Lebensglück bringen möchte. Wie sie danach hungert! Sie
ist ja schon sechsundzwanzig und hat noch nie geliebt! Nur vor sich