II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 319

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19. Der Ruf des Lebens
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stand empört sich über den Immoralisten! Aber „der Arzt am! menschlichen Gefühls: im Weinen und im Lachen. Ein Stück,
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wienerisches Volkstum ist in ihr Kunst geworden, wie in ihrem
Scheideweg“ ist ebensowenig eine Sa##re üher die
männlichen Gegenbild Alexander Girardi.
wie ... „Fuhrmann Henschel“ die Tragödie der Schwerfuhr¬
Pna Altenschaft.
Das ergreifendste Erlebnis dieser letzten Wochen war aber das
Iwerker. Sie ist ein Ausdruck des Welthildes dieses Sozialisten,
Gastspiel des Ehepaars Wedekind. Am ersten Abend stellten sie
der im Wert=Schaffen, Wert=Erhalten die einzige Glückseligkeit
uns „Musik“, die Tragödie der unehelichen Mutterschaft dar, für
und Besserungsmöglichkeit erblickt. Und weil das schwindsüchtige,
die es nur die Wahl zwischen Zuchthaus (wenn sie sich von der
ener Theaterbrief.
schwindlerische Malgenie, um dessen Heilung es sich handelt, nur
Frucht befreit) und gesellschaftliche Verfehmung, wirtschaftlichen
einen Illusionswert hat, muß es sterben, damit sein Wert in
ich Wien, Ende Dezember.
Zusammenbruch gibt (wenn sie das Kind gebie.!). Wedekind
seinem Weibe weiter lebe. Doppelseitig, als leichtes Spiel, hinter
st. — Shaw. — „Der Ruf des
selber, der den hypnotisierenden Verführer gibt, ist ein Natürlich¬
dem ein schwerer Ernst aufleuchtet, müßte „Der Arzt am Scheide¬
si Niese. — Gastpiel Wedekind.
keitsspieler besonderer Art. Er spricht nicht wie Schauspieler
weg“ dargestellt werden. Doch dieser höchsten Forderung an
Konversationston sprechen, sondern mit der pointierenden Schärfe
mimische Kunst waren nur Fräulein Marberg und Herr Edthofer
elseitigkeit, die heute von Shaw begeistert
eines vortragenden Professors. Er doziert. Mit starker innerer
gewachsen. Das Professorenkollegium hat sich diese Doktorfrage
ejew erschüttert ist. Bedenkliche Charakter¬
Erregung, doch ohne ausmalende Gebärden. Seine Frau als
vereinfacht: die Einen gaben den Ulk, die Anderen das Pathos.
Kunst von übermorgen und die Kunst von
hysterische Mutter, dieses Opferlamm eines Magnetiseurs, stand
Und man sah vom Hanswurst bis zum Aphorismenprediger alle
pfänglichkeit vorschützt. Zwischen uns und
mimisch am Beginne mehr unter dem Einfluß Irene Trieschs
Stufungen menschlicher Komik besetzt. Deswegen aber haben sich
ik liegen Gegenwart und Sehnsucht nach
als unter dem ihres Verführers. Später aber riß die Gewalt ihrer
die Wiener ein bischen amüsiert, weil sie glaubten, es sei Max
Werke der jüngeren russischen Theaterdichter
Leidenschaft fort. Am zweiten Abend folgte Wedekinds Selbst¬
Burckhard.
Bäume desselben schmalen Landstrichs. Ihre
verteidigung „Die Zensur“ zu der eine Erörterung über das
Bei Shaw „kennen sie sich nicht aus". Sie wollen aber ganz
igkeit versetzt in einen quälenden Dusel,
Aufführungsverbot seiner „Pandora“ mit dem Zensor den äußeren
genau wissen, was der Dichter eigentlich meint. Sie brauchen
wieder durch plötzliche furchtbare Drohungen
Anlaß abwirft. Dieses Stück ist eine dialektische Auseinander¬
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einen Raisoneur und dieses verdeutlichende Sprachrohr hat hier
d diese wilden Ausbrüche des Jähzorns
setzung der Wedekindschen Tendenzen, seiner Weltanschauung und
Arthur Schnitzlers „Ruf des Lebens“ zur Sensation gemacht.
egensart zur Nichtigkeit ihrer Anlässe. Diese
seiner künstlerischen Sehnsucht, die auf die Aussöhnung von
Man kennt das Stück von der Aufführung des Lessingtheaters,
von Haß und Verachtung, daß die kle¬
Schönheit und Weltgesetz, „Heiligkeit und Schönheit, gerichtet ist.
kennt seine Menschen, die ihre Liebe so leicht und die Lust mo¬
nde kultureller Selbstbeherrschung sprengt.
Es gilt die Aussöhnung von Weib und Werk, die Wiedervereini¬
mentanen Kitzels so schwer nehmen, kennt die widerwärtige Toch¬
nsie darum ein primitives Volk und sind
gung von Körper und Geist, die Renaissance des Griechentums.
ter, die ihren Vater ermordet, um eine Nacht lang bei einem
falt ihres Weltbildes ergriffen. Ich aber
Aber der Versuch mißglückt. Die Sphärenklänge der Harmonie
Leutnant zu sein. Es gehören faustdicke Nerven dazu, um über
eit einer Weltweisbeit wenig übrig, deren
zerspringen in einen gellenden Schrei der Verzweiflung. Der
zwei Leichen aufs Liebeslager zu springen. Und Schnitzler selber
Satze ausdrückt: „Alles muß man vernich¬
Dichter Buritan hat von seinem Weib eine Freiheitsfrist von 14
widerruft halb und halb in einem sehr doktrinellen Lehrgedicht,
heit soll es überdauern.“ Ich tue dem
Tagen erbeten, um geistig zu sich selber zu kommen. Sie gibt ihm
das Herr Kutschera mit ergreifendem Gefühl vortrug. Herr
cht den Gefallen, mir unter diesen Be¬
die Freiheit, unbefristet und ganz. Sie springt vom Balkon in
Homma gab den hämischen Alten mit dem haßerfüllten Triumph
Menschheit“ etwas und beide Mal etwas an¬
die Tiefe. In ihm aber triumphiert die Schönheit über-die Gei¬
des Lebens über den Tod der Jugend (ein ganzes Regiment muß
Weltzorn, der alles kleinstückchenweis zu¬
stigkeit. Der Hellene liegt auf den Knien und hetet zu Jesus
— gab diesen Alten viel zu hinfällig, so daß
in den Tod reiten)
ist nicht bildhaft groß, sondern knabenhaft
Christus. Laut. Niemand wird dieses Gebet Frank Wedekinds
der Mord der Tochter noch weniger einleuchtete, denn dieser
berühmte „ignis sanat“ ein sehr billiges
vergessen, als seine Frau von der Brüstung schwand.
Baracke kann man mit einem Handgriff den Schlüssel entwinden,
anatismus, dem die Stirnadern schwellen,
der den Weg zur geliebten Schlafkammer freigibt. Fräukein
m kühl bedächtigen Rationalismus ab, der
Hannemann vermochte uns die Tat dieses Mädchens, dem der Va¬
seinen Erfolg verschafft hat. Man spielte
ter seine Jugend nimmt, nicht näher zu bringen. Dieser Mord
under“ auf Jarnos Praterbühne unter dem
wirkt nicht wie ein notwendiger Akt der Verzweiflung, sondern
Flüssigerweise wird dem gesunden Menschen¬
wie ein augenblicklicher Einfall.
al bewiesen, daß es keine Wunder gebe,
Lieber als solche menschliche Halbwahrheit ist mir beinahe eine
nde Menschenverstand unbändig freut.
unbekümmerte psychologische Unmöglichkeit, wie sie Heinrich
hin weiß. Wozu also? Die Dramatisierung
Schrottenbachs „Baron Liederlich“ bringt. Das Aschenputtel einer
ns heute ohne Belang. Uns leuchten andere
herabgekommenen freiherrlichen Familie verdingt sich bei einem
amerikanischen Millionär als Köchin, wird dessen Frau und rettet
u neuer besserer Wahrheit. Solch ein Weg¬
ihre ruinierten Eltern und Stiefgeschwister. Aber die köstliche
Ehaw (?). Das Volkstheater hat uns seinen
Kunst der Niese erhebt diese fröhliche Belanglosigkeit zum künst¬
ewege“ vermittelt, und unsere kleinmütig
lerischen Erlebnis. Ihr Genie wurzelt ganz im Gefühl.
n muß ihm dafür Dank wissen, denn das¬
Geistigkeit ist nichts als ein gesunder Instinkt. Darum wirken ?
den Offenbarungen Victor Leons zujubelt.
alle ihre Gestalten mit solch elementarer Selbstverständlichkeit. E
er Beflissentlichkeit ab, die einer edleren
Sie ist die Verkörperung einer volkstümlichen Ehrbarkeit. Selbst] &
Für die Skepfis dieses Menschen, der sich
ihren „Damen“ gibt diese naibe Natürlichkeit den Schimmer einer! st.
über seine verzweiflungsvollen Zweifel
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Wienern kein Organ gewachsen. Ihr Ver= gewissen Noblesse. Sie verschmäht alle Mittel äußerer Nuancie¬
zeinen Witzworten haften; oder ihr Unver=rung und ist nie ergreifender als in den primitivsten Augenblicken! bil