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19. Der Ruf des Lebens
Blick befremdet freilich das offenkundige Unbehagen vor
1904 erreichte Rose Bernd im Lessingtheater die höchste
Shakespeares Dramatik; denn er gilt uns doch als
Darstellungsziffer. — Die Erneuerung der deutschen
größter Bühnenmensch der germanischen Rasse.
Feuilleton.)
Literatur in den achtziger Jahren brach die alte Pro¬
Aber dem tieferen Eindringen in die Psychologie
tagonistenstellung Wiens in der deutschen Bühnenwelt.
Petur
des Publikumgeschmacks entwirrt sich auch dieses Räisel.
Ludwig Speidel schrieb damals: „Wenn wir den Geist der
Der Wiener verlangt eine deutlich ausgesprochene Moral.
tergeschmack Wien=Berlin.
Zeit richtig verstehen, so mehren sich die Zeichen, daß der
Er will ganz genau wissen, was der Dichter meint.
dramatische Genius von Wien Abschied nehmen und
Von
Der Raisonneur ist sein erklärter Liebling. Und sein
7 00
einer großen Stadt im Norden zustreben will.“
Dr. Hans Wankoch.
Beifall übergellt sich seiber, wenn die Szene zum Tribunal
Die Bühnenkunst des Naturalismus, die Dramen¬
7
wird, und der Dichter — wie einst Karl der Große in
kunst des Impressionismus fand im Berliner Publikum
haben in der kurzen Zeitsranne von fünf
der Klosterschule — die guten von den bösen Jungen
ihr natürliches Mäzenatentum. Für die dramatische
ei jauchzende Theatererfolge erlebt, die, wenn
sondert. Die Weltweisheit und Lebensanschauung, die
Offenbarung letzter seelischer Feinheiten fehlte den
großen Dichtungen, so doch Stücken von künst¬
nicht künstlerisch gestaltet, sondern grob deutlich aus¬
Wienern das erfassende Verstehen. Das pessimistische
Wert zufielen. Beide wurden schon in früheren
gesprochen wird: die Tendenz findet hier den sichersten
Grau=in=Grau=Verrecken stieß ihren sarbfrohen Sinn ab.
den in Berlin aufgeführt, denn Berlin ist —
Applaus. Die breite Behaglichkeit dieses Volkes will
Man gibt sich hier den Erschütterungen des Sterbens
sinnt — das Mekka der deutschen Bühnendirek¬
sich nicht erst aus Gestalten und Handlung das Weltbild
auf der Szene willig hin. Aber der Tod muß prunkhaft
ihnen ihre Weisheit offenbart. Vielleicht nicht
Dichters mühevoll aufbauen; es liebt's, wenn ihm
drapiert sein, um die Leiche muß eine purpurrote Makart¬
e. Diese beiden Dramen wurden an der Spree
Meinung in handlichen Formeln vorgetragen wird.
sche Blutlache leuchten. In keiner anderen Stadt hätte
f und Publikum abgelehnt. Und stammten doch
Aber im naturalistischen Drama fehlte jede starke Be¬
dieser Theatraliker der Palette zum Zeitereignis werden
ern, die dort zulande Liebkind sind, während
tonung subjektiver Sittlichkeit. Es galt diesen Künstlern
können, in keiner zweiten Stadt der Wolter=Schrei eine
s nur nebenher, gleichsam zur Beruhigung des
als höchster Triumph, ohne Parteinahme die Menschen
so starke Resonanz gefunden, Das malerische Breite, das
n Gewissens, zu Worte kommen. Diesmal
darzustellen. Schulbeispielmäßigen Ausdruck hat diese
sinnliche Bunte ist die künstlerische Lust der Wiener. Im
en Beifall und Zischen aus entgegengesetzten
Kunstlehre in einem kleinen Stücke Artur Schnitzlers
Grunde ist diese Stadt die Theaterstadt geblieben, als
ngen als sonst. Die Wiener jubelten Schnitzlers
Lebendige Stunden gefunden. Eine Mutter ist gestorben
die man sie einstmals pries. Aber die Dichtungen der
Lebens und Wedekinds Musik zu. und
— freiwillig, weil ihr jahrelanges Leiden die künstlerische
letztvergangenen Epoche waren keine Theaterstücke. Die
Bewegungen der Theaterereignisse in Noxd#no
Schaffenskraft ihres Sohnes unterband. Nun stehen ihr
belangloseste Schiller=Aufführung findet bei uns noch
wenig verfolgt, wird schon nach kurzer, Frist
Freund, der ein Leben lang in Treue bei ihr aushielt,
ein volles Haus, dem die Wangen vor Begeisterung
llung eines diametral anders gearteten Theater¬
und der Sohn, an den sie ihr ganzes Dasein verschwendete,
glühen. Goethes subtilere Werke, seine tiefgründigere
in beiden Städten gelangen. Shaws Der
einander gegenüber. In wunderbar verhaltener Em¬
Geistigkeit verlockt keine willige Gefolgschaft. Der Wiener
Scheideweg, Wieds 2X2 = 5 schwangen sich in
pörung seines Schmerzes ruft dieser Mann dem Dichter
Bühnengeschmack ist nicht fingerbreit von jener Stelle
is zu dreistelligen Aufführungsziffern empor
zu: „Was ist denn deine ganze Schreiberei, und wenn
gerückt, an der er lag, als das „Tagebuch eines alten
ochte in Wien kaum ein dutzendmal den Kassen¬
du das größte Genie bist, was ist sie denn gegen sp
Wieners“ von sonst unbekannter Hand geschrieben wurde.
zu befriedigen. Das Publikum der reichs¬
eine Stunde, so eine lebendige Stunde, in der deine ##
Julius Leisching hat es vor einigen Jahren heraus¬
Hauptstadt ermöglicht Otto Brahm sein wunder¬
Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist und zu unß
gegeben. Hier s.ammt Schillers Kunst dieselbe Freude
utsches Festhalten an der Kunst Gerhart Haupt¬
geredet hat, oder auch geschwiegen — aber da ist sie
zu, waltet die gleiche zwangvoll abgerungene Hingabe
Sein Werk gehört zum embarras des richesses
gewesen — da! und sie hat gelebt, gelebt!“ Und wie in
an Goethes Dichtung, wie sie das Wiener Durchschnitts¬
nschen Spielplanes, keine Woche vergeht, ohne
kine Hauptmannsche Dichtung aufführte, und publikum von heute immer noch empfindet. Den ersten erwachendem Zusichselberkommen aus bösen Zweifeln er¬
19. Der Ruf des Lebens
Blick befremdet freilich das offenkundige Unbehagen vor
1904 erreichte Rose Bernd im Lessingtheater die höchste
Shakespeares Dramatik; denn er gilt uns doch als
Darstellungsziffer. — Die Erneuerung der deutschen
größter Bühnenmensch der germanischen Rasse.
Feuilleton.)
Literatur in den achtziger Jahren brach die alte Pro¬
Aber dem tieferen Eindringen in die Psychologie
tagonistenstellung Wiens in der deutschen Bühnenwelt.
Petur
des Publikumgeschmacks entwirrt sich auch dieses Räisel.
Ludwig Speidel schrieb damals: „Wenn wir den Geist der
Der Wiener verlangt eine deutlich ausgesprochene Moral.
tergeschmack Wien=Berlin.
Zeit richtig verstehen, so mehren sich die Zeichen, daß der
Er will ganz genau wissen, was der Dichter meint.
dramatische Genius von Wien Abschied nehmen und
Von
Der Raisonneur ist sein erklärter Liebling. Und sein
7 00
einer großen Stadt im Norden zustreben will.“
Dr. Hans Wankoch.
Beifall übergellt sich seiber, wenn die Szene zum Tribunal
Die Bühnenkunst des Naturalismus, die Dramen¬
7
wird, und der Dichter — wie einst Karl der Große in
kunst des Impressionismus fand im Berliner Publikum
haben in der kurzen Zeitsranne von fünf
der Klosterschule — die guten von den bösen Jungen
ihr natürliches Mäzenatentum. Für die dramatische
ei jauchzende Theatererfolge erlebt, die, wenn
sondert. Die Weltweisheit und Lebensanschauung, die
Offenbarung letzter seelischer Feinheiten fehlte den
großen Dichtungen, so doch Stücken von künst¬
nicht künstlerisch gestaltet, sondern grob deutlich aus¬
Wienern das erfassende Verstehen. Das pessimistische
Wert zufielen. Beide wurden schon in früheren
gesprochen wird: die Tendenz findet hier den sichersten
Grau=in=Grau=Verrecken stieß ihren sarbfrohen Sinn ab.
den in Berlin aufgeführt, denn Berlin ist —
Applaus. Die breite Behaglichkeit dieses Volkes will
Man gibt sich hier den Erschütterungen des Sterbens
sinnt — das Mekka der deutschen Bühnendirek¬
sich nicht erst aus Gestalten und Handlung das Weltbild
auf der Szene willig hin. Aber der Tod muß prunkhaft
ihnen ihre Weisheit offenbart. Vielleicht nicht
Dichters mühevoll aufbauen; es liebt's, wenn ihm
drapiert sein, um die Leiche muß eine purpurrote Makart¬
e. Diese beiden Dramen wurden an der Spree
Meinung in handlichen Formeln vorgetragen wird.
sche Blutlache leuchten. In keiner anderen Stadt hätte
f und Publikum abgelehnt. Und stammten doch
Aber im naturalistischen Drama fehlte jede starke Be¬
dieser Theatraliker der Palette zum Zeitereignis werden
ern, die dort zulande Liebkind sind, während
tonung subjektiver Sittlichkeit. Es galt diesen Künstlern
können, in keiner zweiten Stadt der Wolter=Schrei eine
s nur nebenher, gleichsam zur Beruhigung des
als höchster Triumph, ohne Parteinahme die Menschen
so starke Resonanz gefunden, Das malerische Breite, das
n Gewissens, zu Worte kommen. Diesmal
darzustellen. Schulbeispielmäßigen Ausdruck hat diese
sinnliche Bunte ist die künstlerische Lust der Wiener. Im
en Beifall und Zischen aus entgegengesetzten
Kunstlehre in einem kleinen Stücke Artur Schnitzlers
Grunde ist diese Stadt die Theaterstadt geblieben, als
ngen als sonst. Die Wiener jubelten Schnitzlers
Lebendige Stunden gefunden. Eine Mutter ist gestorben
die man sie einstmals pries. Aber die Dichtungen der
Lebens und Wedekinds Musik zu. und
— freiwillig, weil ihr jahrelanges Leiden die künstlerische
letztvergangenen Epoche waren keine Theaterstücke. Die
Bewegungen der Theaterereignisse in Noxd#no
Schaffenskraft ihres Sohnes unterband. Nun stehen ihr
belangloseste Schiller=Aufführung findet bei uns noch
wenig verfolgt, wird schon nach kurzer, Frist
Freund, der ein Leben lang in Treue bei ihr aushielt,
ein volles Haus, dem die Wangen vor Begeisterung
llung eines diametral anders gearteten Theater¬
und der Sohn, an den sie ihr ganzes Dasein verschwendete,
glühen. Goethes subtilere Werke, seine tiefgründigere
in beiden Städten gelangen. Shaws Der
einander gegenüber. In wunderbar verhaltener Em¬
Geistigkeit verlockt keine willige Gefolgschaft. Der Wiener
Scheideweg, Wieds 2X2 = 5 schwangen sich in
pörung seines Schmerzes ruft dieser Mann dem Dichter
Bühnengeschmack ist nicht fingerbreit von jener Stelle
is zu dreistelligen Aufführungsziffern empor
zu: „Was ist denn deine ganze Schreiberei, und wenn
gerückt, an der er lag, als das „Tagebuch eines alten
ochte in Wien kaum ein dutzendmal den Kassen¬
du das größte Genie bist, was ist sie denn gegen sp
Wieners“ von sonst unbekannter Hand geschrieben wurde.
zu befriedigen. Das Publikum der reichs¬
eine Stunde, so eine lebendige Stunde, in der deine ##
Julius Leisching hat es vor einigen Jahren heraus¬
Hauptstadt ermöglicht Otto Brahm sein wunder¬
Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist und zu unß
gegeben. Hier s.ammt Schillers Kunst dieselbe Freude
utsches Festhalten an der Kunst Gerhart Haupt¬
geredet hat, oder auch geschwiegen — aber da ist sie
zu, waltet die gleiche zwangvoll abgerungene Hingabe
Sein Werk gehört zum embarras des richesses
gewesen — da! und sie hat gelebt, gelebt!“ Und wie in
an Goethes Dichtung, wie sie das Wiener Durchschnitts¬
nschen Spielplanes, keine Woche vergeht, ohne
kine Hauptmannsche Dichtung aufführte, und publikum von heute immer noch empfindet. Den ersten erwachendem Zusichselberkommen aus bösen Zweifeln er¬