II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 322

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19. Der-Rufdes-Lebens
#ir richten sich die konzentrischen Angriffe. Aber] Funktionäre von Körperschaften und einzelne andere Per= matur und Rüstung spiegelten sich im heil
echte Dramenkunst war, verlor Wien seine

Denn in Wien hat immer nur die Kritik Gefolgschaft
in der deutschen Bühnenwelt, Unsere The
widert der Künstler: „Lebendige Stunden? Sie leben
gefunden, die im großen Ganzen dasselbe Kunstempfin¬
effektvolle Machwerke und nur zur Betäubun
doch nicht länger als der letzte, der sich ihrer erinnert.
den wie das Publikum hatte. Ludwig Speidel war —
Gewissensbisse, zur Verhöhnung der Kritz
Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer
— wie Sarcey in Paris — nur der Erlauchteste und
zuweilen eine jener Dichtungen, die das Ba
zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.“ Ich erinnere mich
Größte der Menge, der ihr in schönster Form ihr dunkles
kum durch hundert Aufführungen approbier
noch ganz genan der verdutzten Gesichter, als darauf der
Fühlen deutete. Aber es war ihr Gefühl, war das
sie immer mit gleichem Mißerfolg; gaben
Vorhang fiel, höre noch ganz deutlich das surrende
Empfinden des Publikums. Der Wiener hat einen gesun¬
Hin und Wider der Meinungen, wer eigentlich Recht
um zu zeigen, daß es nicht ihre Schuld
den, robusten Instinkt für das Theater. Seine Tradition
Blumenthal und Kadelburg, das Boulevar#
hättte, der wertschaffende Künstler oder der leben¬
reicht bis in die Barock=Kaisezeit. Berlin ist unsicher
Posse spielten. Und .. .. sie hatten nicht
erhaltende Freund. Denn die Wiener wollten nicht ein¬
und tastet wie der arrivée. Hier herrscht nicht Tradition,
aber scheint sich wieder eine Wandlung in
sehen, daß beide Recht hätten, daß die bittersten Tragödien
sondern Autorität. Hier ist die Kritik eine Macht. Und
schen Produktion vorzubereiten. Man hat
des Daseins jene seien, die sich nicht durch ein salo¬
mit der Charakterlosigkeit des unsicheren Emporkömm¬
kein Drama ohne Sittlichkeit bestehen kön
monisches Urteil über die Schuld des einen und die
lings schließt sich dieses Publikum leicht an alles an,
Macht, die unantastbar über den Mensch
Unschuld des anderen aus der Welt weisen lassen; sie
greift es, selber ein Neuling, begierig nach dem Neuesten.
Wille zum Stil, zur bewußten Verein.
wollten nicht einsehen, daß die tiefsten Zwiespältigkeiten
Shaw und Wilde hießen seine Evangelisten. Mit ihnen
eines Ganzen ist zu einer harmonischen
des Lebens ewig fortwirken und in der Wirklichkeit die
lockte sie Max Reinhart ins Schauspielhaus. Hätte er
erwacht. Neue Dichter sind gekommen,
Gegenkräfte einander ewig unversöhnt bekämpfen.
mit der Erneuerung der klassischen Kunst seine Bühnen¬
wieder in die Mitte ihrer Dichtung stell
Und dennoch lag in der Banalität dieses Empfindens
wirksamkeit lbegonnen, so wäre ihm wohl keiner gefolgt.
Handlungen um dieses Zentrum scharen.
eine tiefere Ahnung vom Wesen der dramatischen Kunst.
Als er aber mit der Erweckung Shakespeares begann,
Gefühle leben in ihren Menschen. Diese
Denn unsere Lust an der Schaubühne wurzelt in dieser
war er schon eine Autorität.
finden aber in Berlin keinen Beifall. Ma
augenblicklichen Versöhnung aller widerstreitenden Gegen¬
Für die seine Geistigkeit der neuen Kunst, die von
das andere Werk aufgeführt, weil Ber#
sätze, beruht in der momentanen Harmonie des Alls.
den britischen Inseln kam, für die großartige satirische
Neue aufgereift. Bei uns in Wien kenntn
Jede echte Tragödie bringt durch ihren Ausgang das
Kraft des Dänen Gustav Wied, für die psychologischen
Männer nicht, denn unsere Bühnenleiter
Gefühl der Erlösung. Und wie am Schlusse von Ibsens
Verstecktheiten, die uns das russische Drama enthüllte,
deckerfreude verloren. Und dennoch steh
LLebenswerk, wie am Ende seines Epilogs Wenn wir
für alle diese Kunst, die mehr durch ihren geistigen Ge¬
noch zuchtlose — Uppigkeit unserem Em
Toten erwachen, klingt am Ausgang jeder Tragödie
halt als durch die Wucht ihres Gefühls wirkte, war
als die Skepfis Oskar Wildes, die Ironi
großen Stils ein Pax vobiscum. Aber um diesen Aus¬
Berlin der empfängliche Boden. Der Wiener aber liebt
uns die breite Sinnlichkeit des Rheinlän
gleich der Widersprüche heraufzuführen, muß der Dichter
das erschütternde Gefühl, das schmetternde Pathos, er
näher als die asketische Geilheit unseres
eine unverletzbare, über allen Menschen wirksame Macht
liebt die bunte Farbe und die sinnfällige Handlung.
Dieser neuen Kunst ist's bestimmt,
anerkennen: eine Sittlichkeit. Der souveräne Naturalis¬
Er will ein bildhaftes, balladeskes Theatergeschehnis,
Mäzenatentum zu finden. Sie ist jung,
mus verweigerte jedoch dieser höheren Gewalt das Ak¬
Der Berliner zieht das Epigrammatische vor. Doch wer
aufwärts. Mit ihrem Aufstieg wird Wi
kreditiv. Darum blieben seine besten Werke schöne Dich¬
ein bißchen in die Technik der Künste geblickt hat, weiß,
als Theaterstadt wieder emporsteigen.
lungen, ohne gute Dramen zu sein. Die Wiener aber
daß aus der Ballade das Drama, aus dem Balladen¬
kommt, der es wagt, diese Neuen aufzufi
entzogen sich der Einwirkung dieser im Technischen doch
dichter der Dramatiker entstehen kann; aus dem blinkend
kommt, der nicht nach Norden blickt, sonder
halb mißlungenen Kunstwerke, die im Grunde Novellen
geschliffenen Epigramm kann nur der geistvolle Dialog,
in Dialogform waren; sie „gingen nicht mit“.
ein Eigner zu sein.
der Epigrammatiker, nie ein Theatraliker werden.
Das Bemühen der Kritik, ihnen den dichterischen
Und weil die hohe Kunst der jüngsten Epoche keine
Wert dieser Stücke fühlbar zu machen, blieb vergeblich.