II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 323

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19. Der Ruf des Lebens
#ren sich die konzentrischen Angriffe. Aber] Funktionäre von Körperschaften und einzelne andere Per= matur und Rüstung spiegelten sich im hellsten Sonnen¬
en

echte Dramenkunst war, verlor Wien seine Vorherrschaft
Denn in Wien hat immer nur die Kritik Gefolgschaft
nen enee
in der deutschen Bühnenwelt. Unsere Theater spielten
gefunden, die im großen Ganzen dasselbe Kunstempfin¬
ht länger als der letzte, der sich ihrer erinnert.
effektvolle Machwerke und nur zur Betäubung literarischer
den wie das Publikum hatte. Ludwig Speidel war —
icht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer
Gewissensbisse, zur Verhöhnung der Kritik gaben sie
wie Sarcey in Paris — nur der Erlauchteste und
kihen, über ihre Zeit hinaus.“ Ich erinnere mich
zuweilen eine jener Dichtungen, die das Berliner Publi¬
Größte der Menge, der ihr in schönster Form ihr dunkles
iz genau der verdutzten Gesichter, als darauf der
kum durch hundert Aufführungen approbiert hatte; gaben
Fühlen deutete. Aber es war ihr Gefühl, war das
fiel, höre noch ganz deutlich das surrende
sie immer mit gleichem Mißerfolg; gaben sie, gleichsam,
Empfinden des Publikums. Der Wiener hat einen gesun¬
d Wider der Meinungen, wer eigentlich Recht
um zu zeigen, daß es nicht ihre Schuld sei, wenn sie
den, robusten Instinkt für das Theater. Seine Tradition
der wertschaffende Künstler oder der leben¬
Blumenthal und Kadelburg, das Boulevardstück und die
reicht bis in die Barock=Kaiserzeit. Berlin ist unsicher
de Freund. Denn die Wiener wollten nicht ein¬
Posse spielten. Und .. .. sie hatten nicht Unrecht. Nun
und tastet wie der arrivée. Hier herrscht nicht Tradition,
ß beide Recht hätten, daß die bittersten Tragödien
aber scheint sich wieder eine Wandlung in der dramati¬
sondern Autorität. Hier ist die Kritik eine Macht. Und
seins jene seien, die sich nicht durch ein salo¬
schen Produktion vorzubereiten. Man hat erkannt, daß
mit der Charakterlosigkeit des unsicheren Emporkömm¬
s Urteil über die Schuld des einen und die
kein Drama ohne Sittlichkeit bestehen könne, ohne eine
lings schließt sich dieses Publikum leicht an alles an,
des anderen aus der Welt weisen lassen; sie
Macht, die unantastbar über den Menschen steht. Der
greift es, selber ein Neuling, egierig nach dem Neuesten.
nicht einsehen, daß die tiefsten Zwiespältigkeiten
Wille zum Stil, zur bewußten Vereinigung aller Teile
Shaw und Wilde hießen seine Evangelisten. Mit ihnen
ens ewig fortwirken und in der Wirklichkeit die
eines Ganzen ist zu einer harmonischen Einheit, ist neu
lockte sie Max Reinhart ins Schauspielhaus. Hätte er
äfte einander ewig unversöhnt bekämpfen.
erwacht. Neue Dichter sind gekommen, die ein Ethos
mit der Erneuerung der klassischen Kunst seine Bühnen¬
d dennoch lag in der Banalität dieses Empfindens
wieder in die Mitte ihrer Dichtung stellen und starke
wirksamkeit lbegonnen, so wäre ihm wohl keiner gefolgt.
ere Ahnung vom Wesen der dramatischen Kunst.
Handlungen um dieses Zentrum scharen. Wilde, große
Als er aber mit der Erweckung Shakespeares begann,
nsere Lust an der Schaubühne wurzelt in dieser
Gefühle leben in ihren Menschen. Diese neuen Dichter
war er schon eine Autorität.
icklichen Versöhnung aller widerstreitenden Gegen¬
finden aber in Berlin keinen Beifall. Man hat ein oder
Für die feine Geistigkeit der neuen Kunst, die von
Kruht in der momentanen Harmonie des Alls.
das andere Werk aufgeführt, weil Berlin eben alles
den britischen Inseln kam, für die großartige satirische
hte Tragödie bringt durch ihren Ausgang das
Neue aufgereift. Bei uns in Wien kennt man diese neuen
Kraft des Dänen Gustav Wied, für die psychologischen
der Erlösung. Und wie am Schlusse von Jösens
Männer nicht, denn unsere Bühnenleiter haben alle Ent¬
Verstecktheiten, die uns das russische Drama enthüllte,
werk, wie am Ende seines Epilogs Wenn wir
deckerfreude verloren. Und dennoch steht ihre — oft
für alle diese Kunst, die mehr durch ihren geistigen Ge¬
erwachen, klingt an Ausgang jeder Tragödic
nock, zuchtlose — Uppigkeit unserem Empfinden näher
halt als durch die Wucht ihres Gefühls wirkte, war
Stils ein Pax vobiscum. Aber um diesen Aus¬
als die Skepfis Oskar Wildes, die Ironie Shaws, steht
Berlin der empfängliche Boden. Der Wiener aber liebt
er Widersprüche heraufzuführen, muß der Dichter
uns die breite Sinnlichkeit des Rheinländers Eulenberg
das erschütternde Gefühl, das schmetternde Pathos, er
verletzbare, über allen Menschen wirksame Macht
näher als die asketische Geilheit unseres Hofmannsthal.
liebt die bunte Farbe und die sinnfällige Handlung.
en: eine Sittlichkeit. Der souveräne Naturalis¬
Dieser neuen Kunst ist's bestimmt, in Wien ihr
Er will ein bildhaftes, balladeskes Theatergeschehnis.
rweigerte jedoch dieser höheren Gewalt das Ak¬
Mäzenatentum zu finden. Sie ist jung, ihr Weg führt
Der Berliner zieht das Epigrammatische vor. Doch wer
Darum blieben seine besten Werke schöne Dich¬
aufwärts. Mit ihrem Aufstieg wird Wiens Bedeutung
ein bißchen in die Technik der Künste geblickt hat, weiß,
ohne gute Dramen zu sein. Die Wiener aber
als Theaterstadt wieder emporsteigen ... bis einer
daß aus der Ballade das Drama, aus dem Balladen¬
i sich der Einwirkung dieser im Technischen doch
kommt, der es wagt, diese Neuen aufzuführen, bis einer
dichter der Dramatiker entstehen kann; aus dem blinkend
ßlungenen Kunftwerke, die im Grunde Novellen
kommt, der nicht nach Norden blickt, sondern den Mut hat,
geschliffenen Epigramm kann nur der geistvolle Dialog,
ogform waren; sie „gingen nicht mit“.
ein Eigner zu sein.
der Epigrammatiker, nie ein Theatraliker werden.
s Bemühen der Kritik, ihnen den dichterischen
Und weil die hohe Kunst der jüngsten Epoche keine
eser Stücke fühlbar zu machen, blieb vergeblich.