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19. Der Ruf des Lebens
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wenn es die Mutter am Abend zur Ruhe bringen will; weinend, schmollend und
grollend hält es sein Spielzeug fest; endlich entsinkt es doch der müden Hand und
die Augen sind lange geschlossen, wenn sich die Mlutter noch einmal über den
Liebling hinbeugt und ihre Lippen zum letzten Aale seine Wange berühren. Nicht
alles, was Schnitzler anstrebt, wird auf der Bühne lebendig und tritt dort
plastisch genug in die. Erscheinung. Mancher feiner Zug, der bei der
Lektüre rfreut, geht auf dem Weg vom Schreibtisch zum Dodium verloren,
wie umgekehrt dort wieder manches greller wirkt als hier. So hätte man
den Giftmord von der offenen lieber hinter die Szene gerückt gesehen, so
aber konnte man sich des Gefühles nicht erwehren, daß die Freiheit der poeti¬
schen Gerechtigkeit ein wenig zu weit geht, wenn sie gerade die Datermörderin
am Leben läßt. Man könnte manchen Einfluß nachweisen, der von außen kommt.
So hat die Art, wie Bernard Shaw in seiner Komödie „Helden“ die Soldaten¬
tugenden in ihren negativen Strahlenbrechungen zeigt, sicherlich Schnitzler dazu
angeregt, ein ähnliches Verfahren anzuwenden, wie der technische Bau des Dramas
die Schule Ibsens unschwer erkennen läßt. Aber das sind keine Fehler und es ist
nicht jedermanns Sache, sich eine eigene Technik zu schaffen. Genug an dem, daß
der „Ruf des Lebens“ auch von der Bühne herab tief und stark wirkt und das
Deutsche Dolkstheater darf sich berühmen, diese Wirkung nach besten Kräften er¬
höht zu haben. Das Dollendetste an der ganzen Dorstellung ist wohl die arme Marie
des Fräulein Hannemann. Es ist vielleicht überhaupt das Beste, was man bisher
von dieser Künstlerin empfangen hat. Freilich bringt sie für die innige Verhalten¬
heit, die ihre Rolle erheischt, von Haus aus die richtige Herbheit mit. Nicht in
gleichem Maße befriedigte Fräulein Müller und ihr Opheliaton im letzten Akt klingt
ein wenig gar zu konventionell und zu geziert. Herr Homma ist für den Greis,
der nicht sterben will, wohl zu robust, aber von eindringlichster Charakteristik.
Drächtig differenzierte Offizierstppen stellen Herr Kramer und Herr Klitsch in das
Stück, Herr Weisse trifft ganz ausgezeichnet die für den Obersten erforderlie
Mischung von Härte und Milde und Herr Kutschera als Arzt ist von einer schön
abgeklärten, warmherzigen Männlichkeit, während Herr Edthofer mit dem Forst¬
adjunkten nichts rechtes anzufangen weiß.
19. Der Ruf des Lebens
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wenn es die Mutter am Abend zur Ruhe bringen will; weinend, schmollend und
grollend hält es sein Spielzeug fest; endlich entsinkt es doch der müden Hand und
die Augen sind lange geschlossen, wenn sich die Mlutter noch einmal über den
Liebling hinbeugt und ihre Lippen zum letzten Aale seine Wange berühren. Nicht
alles, was Schnitzler anstrebt, wird auf der Bühne lebendig und tritt dort
plastisch genug in die. Erscheinung. Mancher feiner Zug, der bei der
Lektüre rfreut, geht auf dem Weg vom Schreibtisch zum Dodium verloren,
wie umgekehrt dort wieder manches greller wirkt als hier. So hätte man
den Giftmord von der offenen lieber hinter die Szene gerückt gesehen, so
aber konnte man sich des Gefühles nicht erwehren, daß die Freiheit der poeti¬
schen Gerechtigkeit ein wenig zu weit geht, wenn sie gerade die Datermörderin
am Leben läßt. Man könnte manchen Einfluß nachweisen, der von außen kommt.
So hat die Art, wie Bernard Shaw in seiner Komödie „Helden“ die Soldaten¬
tugenden in ihren negativen Strahlenbrechungen zeigt, sicherlich Schnitzler dazu
angeregt, ein ähnliches Verfahren anzuwenden, wie der technische Bau des Dramas
die Schule Ibsens unschwer erkennen läßt. Aber das sind keine Fehler und es ist
nicht jedermanns Sache, sich eine eigene Technik zu schaffen. Genug an dem, daß
der „Ruf des Lebens“ auch von der Bühne herab tief und stark wirkt und das
Deutsche Dolkstheater darf sich berühmen, diese Wirkung nach besten Kräften er¬
höht zu haben. Das Dollendetste an der ganzen Dorstellung ist wohl die arme Marie
des Fräulein Hannemann. Es ist vielleicht überhaupt das Beste, was man bisher
von dieser Künstlerin empfangen hat. Freilich bringt sie für die innige Verhalten¬
heit, die ihre Rolle erheischt, von Haus aus die richtige Herbheit mit. Nicht in
gleichem Maße befriedigte Fräulein Müller und ihr Opheliaton im letzten Akt klingt
ein wenig gar zu konventionell und zu geziert. Herr Homma ist für den Greis,
der nicht sterben will, wohl zu robust, aber von eindringlichster Charakteristik.
Drächtig differenzierte Offizierstppen stellen Herr Kramer und Herr Klitsch in das
Stück, Herr Weisse trifft ganz ausgezeichnet die für den Obersten erforderlie
Mischung von Härte und Milde und Herr Kutschera als Arzt ist von einer schön
abgeklärten, warmherzigen Männlichkeit, während Herr Edthofer mit dem Forst¬
adjunkten nichts rechtes anzufangen weiß.