II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 351

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19. Der Ruf des Lebens
S . A.—
wegstirbt. Dreimal hat sie bei ihren sind
peinlicher Gesangenschaft gehalten wird; ihm lauscht mit
vernommen; das hat ihre Seele gen#
fiebernden Wangen das lungenkranke Mädchen, dem nur noch
Feuilleton.
bürgerlichen Verstand groß gemacht. I
eine kurze Lebensfrist gegönnt ist; ihn hören in verzehrender
hört der Mensch auf, Gesetze zu geben.
Leidenschaft „die blauen Kürassiere“ vom todgeweihten Regiment.
Arthur Schnitzler: Der Auf des
bald von der Erde fort sein wird, g
Der Ruf des Lebens reißt alle Schranken nieder, er treibt jeden
Lebens.
Einzige: Leben, Erleben. So gütig predi
hinaus aus ssinem engen Bezirk. Da flieht das Mädchen aus
schwache Mutter. Mit ein wenig lauter
der stickigen Krankenstube, da läuft die todeskranke Schöne im
Zur ersten Aufführung im Deutschen Volks¬
bewußter, aber noch immer wohltuen
1 Ballkleid von einem Liebhaber zum nächsten, da lockt es den blauen
theater.
Er befreit das Bürgermädchen aus den
Kürassier, sein Soldatengewand auszuziehen und gegen den Tod in
Schon der Titel dieses Werkes nimmt gefangen. Unsere
stube, er nimmt es ohne Erregung auf
Ehren das Leben in Lust einzutauschen. Der Ruf des Lebens
Dichter leben abseits vom großen Leben, was man ihnen nicht
dem todessiechen Vater ein abkürzendes
ist das höchste Gesetz! Was bedeuten kranke Väter, was be¬
verübeln müßte, denn im Marktlärm und Marktgestank hält's
Ihn, der ein ganzes Leben lang den
deuten Sitte und Sittlichkeit, was bedeutet das bißchen Ehre,
kein Musikant, aus und alles künstlerische Schaffen braucht
und Leben mitangesehen hat, dünkt al
wenn das Leben selbst versäumt werden könnte? Wann schallt
Stille, Sammlung, Lauschen ins Innere. Aber wenn sie schon
Tragik Nebensache: „Das Leben ist de
der Ruf des Lebens am lautesten? Gleich nachdem der Ruf
abseits ihre einsamen Wege gehen müssen, so sollten sie
blaue Kürassier ist in der Schlacht gefalle
des Todes erklungen ist! Weil das Bürgermädchen fürchtet,
wenigstens Sehnsucht nach der anderen Welt fühlen! Es sollte
Bürgermädchen glaubt, es habe nur e
daß der Geliebte von den blauen Kürassieren heute Nacht in
wenigstens von fern das Weltgebrause leise zu ihnen herüber¬
kein Tag kann mehr für sie leuchten.
die todbringende Schlacht ziehen muß, darum reißt sie sich alle
klingen, sie sollten nicht isoliert, sondern durch zarte Fäden mit
wie verloren in der Welt, geht sie dur
Hüllen der Sitte vom Leibe und gibt sich nackt dem heißesten
der Welt verbunden sein! Darum hat schon der Titel dieses
Nacht lang hat sie dem Leben gehört,
Leben preis. Weil die Lungenkranke weiß, daß ihr nur eine
Werkes lockende Kraft: Der Ruf des Lebens ..
innerlichen Rufe des Todes. Sie komm
kurze Spannzeit gegeben ist, darum vertanzt und verschwelgt
gang. Von ihren schwarzen Kleidern
sie ihr bißchen Sein. Der Ruf des Todes erzeugt lebendigstes
Sitzt man ein paar Minuten im Theater, so freut man
blühende Feldblumen leuchtfarbig ab: 2
Leben, aber das glühendste Leben erzeugt den Tod! Dieses
sich vor allem, daß ein Bühnenschriftsteller hier wieder wagt,
vor ihr und sie sagt ihm, wie sie sich
Ineinanderverwebtsein der beiden großen Leitmotive, das macht
dichterisch reden zu lassen. Jede Gestalt in diesem Drama spricht
anderen Ufer, nach dem Schattenreich.
Schnitzlers Dichtung so verführerisch.
ein knappes, gehämmertes Deutsch, dessen Kargheit voll unter¬
die leuchtenden Blüten in der lä
irdischer Lyrik ist. Auf unseren Theatern wird für gewöhnlich
und sagt scheinbar bedeutungslos:
Zu jungen Menschen dringt plötzlich der Ruf des Lebens
immer nur das gemeinste Wirklichkeitsdeutsch oder ein romantisches
haben Sie gepflückt? ...“ Wie das
und sie streifen Gesetze und Gebote ab, um nackt durch die
Kunstdeutsch geredet. In dieser Dichtung hat Schnitzler die
verführt, das deutet Schnitzler sch#
strömende Wirklichkeit zu schwimmen. Das ist der Inhalt des
Mitte zwischen einer balladesken Kunstsprache und einem ganz
dichterisch gefühlten Szene an. Es ist
Theaterstückes „Der Ruf des Lebens“. Aber Schnitzler war von
leicht wienerisch angehauchten Wirklichkeitsdeutsch gefunden. Es
tag. Die Felder stehen in strahlendem
jeher nicht nur ein Dichter, sondern ein mildherziger, erfahrener,
tut so wohl, auch im Theater einmal wieder Freude am Worte
Wort sprechen dürfen!) pflücken leuchten
sanfter Prediger. In allen seinen Werken wird ein Schicksal
haben zu dürfen! Aber bald vergißt man die Lust am Ausdruck,
der Arzt: „Daß Sie hier über Felder
nicht nur gemalt, sondern da ist immer auch ein gütiger alter
weil der seelische Eindruck, wie es sich für eine Dichtung geziemt,
gehen, daß Sie Blumen in der Hand ha
Herr, der mit halblauter Stimme zu jedem tragischen Leben
die Wortoberfläche übersehen läßt.
Fenster eine Freundin Ihnen für ewig
eine edle Predigt sagt. Niemals hat dieser lust= und leiderfahrene
hier mit mir reden unter dem leuchtend
Zwei Melodien durchziehen dieses Stück: der Ruf des Prediger so sanfte, so betörende Worte gefunden wie im „Ruf
ist Leben! Wer weiß, ob Ihnen nicht sp
Lebens und der Ruf des Todes. Den Ruf des Lebens hört das des Lebens“. Hier ist eine Mutter, der das Herz im Leibe zuckt,
schöne Mädchen, das von einem bos= und krankhaften Vater in weil ihr ein Kind nach dem anderen in seiner Blüte Jugend aus einem Tage wie der heutige der Ru