II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 362


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19 Der Ruf des Lebens
nicht der Wille derjenigen, die die Opfer zu bringen! dükt einer wirtschäftlichen Nolwendigkeit, das Gliedf maroktänische Katserkeise, die man Herbechufahren
einer geradeaus führenden Entwicklungsreihe er- verstanden hat, indem man die deutschen Handels¬
haben.
Was wir jetzt in Konstantinopel erlebt blickt. Es ist freilich sehr bequem, alle Erscheinun= interessen in Nordafrika aufbauschte und nationaler
haben, den unüberlegten Putsch einer Hofklique,gen des Wirtschaftslebens auf ökonomische Grund= Opfer wert erklärte. Man denke an die Palästina¬
die kopflose Emeute einer Kammerdiener=Partei, gesetze zurückzuführen: In dem Mammuthismus reise und ihre unmittelbare Folge, die Bagdadbahn,
auf einem Ball, zu dem Katharina, ihre Kusine sie der Kamerad ihres Geliebten, der Held vom Balle,
mitführt, einen Offizier kennen der ihr Schicksal der Offizier Max, ihr aufgetragen hat: „Grüßen Sie
Feuilleion.
wird. Sie denkt an niemand mehr, als an den Hel- Ihre Base Marie. Sie hätte mich nicht sollen
den vom Balle. Sie entläßt Eduard und glaubt, mit warten lassen.“ Dieser Gruß des Todgeweihten ist
Der Ruf des Lebens.
dem Bilde des Geliebten weitrleben zu können. für Marie der unüberwindliche Ruf des Lebens.
Denn sie ist eine Gefangene. Ihr kranker Vaier Er ist so mächtig daß Marie dem Vater, der sie
Zur heutigen Aufführung.
hält sie mit dem Haß, den der Kranke gegen die Ge= zurückhält, den Schlaftrunk der ihr vom Doktor
Der Ruf des Lebens ertönt aus allen Werken
anvertraut wurde, in tödlicher Menge ins Wasser
sunde hegt, mit dem Eigensinn, der den Totkranken
Schnitzlers. Er ist der große Dichter und Verkünder
mischt. Von dem Toten stürzt sie davon, dem Ge¬
sich am Leben festklammern läßt, bei sich und will
des Gebotes, das aller Kreatur von Anbeginn ward:
liebten entgegen, dem eine Nacht vor dem Abmarsch
ihr kaum zum freien Atem Zeit lassen. Der er¬
ihrer Natur nach mit allen Fibern sich zu bewegen
in den Krieg gegönnt ist. Aber noch über eine
fahrene Arzt Dr. Schindler, der einst selbst um
und zu weiten und nicht zu ruhen, als bis alles
andere Leiche muß sie, bevor er sie in seine Arme
Marie zu werben gedacht, kämpft mit dem alten
Streben erfüllt ist. Diese Bewegung kennt kein Halt.
nehmen kann. „Sie hätte mich nicht sollen warten
Mann um eine Stunde Freiheit für seine Tochter,
Selbst die Wurzel in ihrer lichtlosen Grube tastet
unaufhaltsam weiter durch hartes Gestein, wenns kämpft mit der Tochter selbst, daß sie die Resigna= lassen“ hat Max geklagt. Denn, da Marie nicht
nicht anders geht. Wie erst der Mensch, der allse-tion aufgebe und wenigstens auf ihre Gesund= kam, ist er der Geliebte seiner Frau Oberstin gewor¬
hende! Oder doch auch blinde? Aber der Dichter heit bedacht sei. Das würde dem Arzt nichts den, die noch in der letzten Nacht zu ihm kommt,
ihn zur Fahnenflucht zu bereden. Ihr Mann schießt
kennt nicht nur das Gesetz des Werdens und Seins, helfen, wenn nicht plötzlich der Ruf des Lebens in
sie nieder. Und stärker als Blut und Grauen ist
sondern auch des Vergehens und er pflichtet nicht die stille Stube dränge, der Ruf des Lebens, der
Maries Seelen= und Sinnenbrand.
hier freilich auch ein Ruf des Todes ist.
dem Spruch des alten Predigers bei: „Besser ein
Nach dieser Nacht freilich muß sie den Ge¬
Die blauen Kürassiere reiten in den Krieg und
lebendiger Hund als ein toter Löwe“ Auch seine
zugleich in den Tod. Ein Verhängnis ruht auf dem liebten dem Tod überlassen. Sie folgt ihm nicht.
Personen haben ihr tragisches Maß in sich und ver¬
Regiment, das vor dreißig Jahren durch feige Die Erinnerung an diese schwer erkämpfte Selig¬
stehen zu sterben, wenn sie dem Ruf des Lebens nicht
keit, an diese eine Nacht, die alles Lebenswer# für
Flucht eine Schlacht und einen Krieg verlieren ge¬
mehr folgen können.
sie in sich bara ist so stark, daß sie Marie am Leben
Um die Gewalt des Lebensrufs darzutun, hat macht. Nun wollen sie alle mit dem Tode zahlen.
Artur Schnitzler ein ungeheures Wagnis unternom= Ein blauer Kürassier aber ist der Held vom Balle, erhält. Sie hat ihren Vater gemordet, aus dessen
men: er führt ein Mädchen durch Untreue, Mord den Marie nicht vergessen kann. Katharina hat sich eigenem Munde sie es erfahren muß, daß er, der
und Buhlerei, um ihm zum Schluß noch den Weg seinem Freunde längst in Liebe hingegeben; sie ist selber einst Rittmeister bei den blauen Kürassieren
ins Leben zu weisen Marie Moser hat den Forst= schwindsüchtig, weiß, daß sie nicht lange zu leben gewesen, die Flht des Regiments verschuldete,
adjunkten Eduard Rainer kennen gelernt der sich hat und rast dem Rufe des Lebens folgend. Sie weil ihn plötzlich der Ruf des Lebens aufgerüttelt
von seiner Braut Katharina wandte, um Marie zu kommt nun und erzählt, wie sie sich von ihrem Ge¬ hat. Aber nicht deswegen hat ihn Marié getötet,
folgen. Marie glaubt Eduard zu lieben, da lernt siel liebten verabschiedet hat, erzählt aber auch, daß auch entschuldigt sie sich nicht damit, daß er ja ohne¬