II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 364

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19. Der Ruf des Lebens

verändertem Blick wohl hat Schnitzler die Bilder eine Nachtwandlerin antwortet sie dem tückischen

hier betrachtet, denen er doch nimmer fremd gewyr=(Kranken, dem treuen, einfachen Adjunkten, der als
Oberförster nach der Steiermark soll und sie mit¬
„Der Auf des Lebens“.
den sein kann, weil sie ein unveräußerlicher Teil
nehmen möchte zum dunkelgrünen See und zum
seines Wesens sind. Ein österreichisches Volksstück
Schauspiel in 3 Akten von Arthur Schnitzler,
scheinen sie dem Milieu nach, eine Tragödie von schweigenden Hochwald, dem sorgenden Arzte, der
(Zuntserstonmal im Neuen deutschen
armen Mädchen, von Ehebruch, Schuld und Unter=Tante Toni, die ihr verirrtes Kind, Mariens
Base Katharina sucht. Wild schreit es in Marie
gang wie die „Liebelei". Trotzig reitet ein ganzes
Vor drei Jahren hat Brahm den „Ruf des
nach versäumter Seligkeit. Aber dann erfährt sie,
Kavallerieregiment aus einer Wiener Kaserne in den
Lebens“ gegeben, der bis heute Schnitzlers letztes,
was sie mit einem Male zur glückfordernden Tat
sicheren Tod und die Hufe der Pferde gehen über
großes Stück ist. Kaum war es aufgeführt, da
reißt, in Verbrechen jagt und Schande. Katharina
zertretenes Menschenglück. Man hört das Röcheln,
schien dey Dichter dem Theater ganz entsagen zu
kommt, heiß von durchkosteter Wonne, Blumen im
die Klagen der Opfer. Aber das alles hat, so laut
wollen. Banges Zögern kam über ihn, Schleier
Haar, die Rosen der Schwindsüchtigen auf den Wan¬
der Melancholie umzogen seine Welt, die einst in es ist, keine Beziehung zur Gegenwart. In die ferne,
gen. Sie war bei Albrecht, Maxens Freund. Eine
hellem Sonnenlicht dalag, leise zerflossen ihre Ge= jugendliche Zeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts
Schwadron der blauen Kürassiere ist noch da, eine
stalten, die Nebel der Unwirklichkeit verwischten sie. sind die Ereignisse verlegt. Sie klingen wie eine
wird erst morgen reiten. Noch ist Mox in Wien,
Ballade, wie ein Bericht aus vergilbten Papieren,
Es folgten die „Marionetten“, Einakter, die wohl
noch atmet er, noch darf Marie ihn umklammern.
nie für die Bühne gedacht waren. Der schmerz=wie alte, schwermütige Musik, zwischen Schlummer
Und in wahnwitziger Begier greift sie nach dem
zerrissene Monolog des „Puppenspielers“, die grelle und Wachen vernommen. Ein Traum, der ängstigt
Fläschchen mit dem Schlaftrunk, das ihr der Arzt
und zugleich von der Angst erlöst.
romantische Ironie, mit der Schnitzler im „Großen
Das Kavallerieregiment, das sich dem Tode ge=gereicht hat, vergiftet den Vater, der vor seinem
Wurstel“ über die eigenen Dramen Gericht hält, die
Ende sich als Urheber der Flucht bei Lindach, als
weiht hat, sind die blauen Kürassiere. Sie traben
mystische Szene des „Unbekannten“, der mit blitzen¬
Mörder der Kürassiere bekennt und eilt von dannen,
durch stille Straßen. Still huld### ihnen das Volk
dem Schwert die Drähte der Puppen durchschneidets.
von Wien. Bleich raunt es sich daß keiner von durch die laue Sommernacht, von dannen in Maxens
sie bewiesen, daß der Schöpfer der „Lebendigen
den herrlichen Soldaten zurückmen wird. Vor Arme.
Stunden" für eine Weile des Spieles müde war.
Die Begegnung wird anders, als Mariens Sehn¬
Er verstummte. Er kehrte ins Reich der Erzählung dreißig Jahren ward durch ihre Flucht die Schlach
bei Lindach verloren. Nun haben sie den Schwur sucht sie träumt. Ein unentrinnbares Verhängnis
zurück, auf das Gebiet seiner schicksalstiefen Novelle
getan, mitsammen zu sterben und so um die geschän= rafft den hinweg, den sie aus freiem Willen zum
vom „Sterben“. Er schrieb die „Dämmerseelen“
Sterben entschlossen glaubte. Ein Rächer erscheint
und das große Buch des Leidens, doch auch der Be= dete Fahne einen neuen, blutigen Ehrenkranz zu
ruhigung, der Rechenschaft, seinen Roman „Der Weg schlingen. In den Lüften zittert dumpfe Raserei, die in seinem geöffneten, vom Mondschein übergossenen
Fenster: der Oberst, mit dessen schöner Frau er in
ins Freie“. Wieder begann die Sonne zu leuchten. da weiß, daß nichts mehr zu retten ist. Sie hallt
jäher Leidenschaft des Blutes sündigte. Nun weiß
bis in das Zimmer, in dem Marie Moser beim
Und als er die „Komtesse Mizzi“ dem Theater
er, daß er alles verwirkt hat. Den Freund, der
greisen, siechen Vater wacht, der ihr junges Leben
überantwortete, dieses Iutermezzo eines starken und
im lockenden Zauber der nächtlichen Stunde sich
aussangt wie ein böses Tier. Ihr Herz stürmt den
feinen, lächelnden Geistes, da wußte man, daß der
nicht fügen mag, wehrt er verzweifelnd ab. Hart
Todge eihten nach. Einem von ihnen ist es ver¬
Dramatiker Schnitzler nochmals reden würde.
So ist der „Ruf des Lebens“ nach Prag ge= fallen, dim braunen Max, dem strahlenden Leut= wirft er Irene, des Obersten Gattin, zu Boden,
langt, in überarbeitetem Wortlaut, zur Wiederauf=nant, mit dem sie eine Winternacht durchtanzt hat. die zu dem Geliebten schleicht, damit er mein¬
sohme des vorschnell abgebrochenen Verfahrens. Mitl Abwesend lauscht sie hinaus auf die Straße. Wie eidig werde und mit ihr entfliehe. Doch zu