II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 456

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19. Der Ruf des Lebens
Bossische Zeitung
Zeitung.
Berlin
Ort:
Datum:
„Der Ruf des Lebens.“ München, 7. September. (Eigener
[rahtbericht.) Mit der Eröffnungsvorstellung der Wintersaison
berschafften uns die Münchener Kammerspiele die Bekanntschaft mit
dem wenig Aufgeführten Schauspiel Arthur Schnitzlers Der
Ruf des „Lebens“. Unter Ersch Ziegers vernanomavoner Regie
kamen vieleEinzelheiten des verspektivenreichen Werkes zu schöner
Wirkung (in seiner Gesamtheit vermochte indessen das Drama
höchste Ekwartungen, wie sie die Kunst Schnitzlers immer aufs
neue hervorruft, nicht ganz zu befriedigen. Mit den Darstellern,
von denen sich Erich Ziegel, Pbilipp Manning, Paul Marx und
Miriam Horwitz besonders gut bewährten, wurde der anwesende
Tichter zum Schluß wiederholt vor die Rampe gerufen.
7 äger t.
#umte Stellungnahme
——
Ermordung der Japaner in Ranking
Der da glaubt, daß der von Freundschaft über¬ außer der Bestrafung der Schuldigen und einem
Nach einer so unangenehmen und schwierigen
fließende Hamburger Trinkspruch den Schaden Schadenersatz noch besondere Kompensatio¬
Verteidigung gab es noch etwas „für's G'mügt“:
wieder gut gemacht hätte, der kennt Oesterreich i nen zu fordern.
eine Jeremiade über die angebliche Unterdrückung
des katholischen Volksteiles, über den „Unsinn": schlecht.
Der Premierminister hat sich eilends
der Geistliche in recht väterlichem Tone: der Buch= hockte. Der schaute ihn groß an, als verstehe er
Als sie müde und durchgefroren in ihre kalte
wieser scheine krank zu sein und er habe ja seine
nicht recht, stand aber, von seiner Frau unterstützt,
Stube traten, wo sich nur noch der nötigste Haus¬
Strafe heute schon bekommen, eine harte Strafe
auf, setzte sich noch einmal, um seinen Hut vom
rat befand, da war's mit des Mannes Kraft zu
obendrein, womit er sich aber nicht etwa eine un¬
Boden aufzuklauben, und wankte dann wie ein
Ende. Erschöpft sank er auf einen Stuhl, legte
Trunkener zum Ausgang.
ziemliche Kritik erlaubt haben wolle. Wenn sich
i den Arm auf den Tisch, den Kopf darauf und ein
der Buchwieser also zu einer freiwilligen Buße
Er ging als Besiegter und der Pfarrer warf
krampfhaftes Schluchzen erschütterte den hagern
i bereit finden lasse und seine Worte von damals
ihm an der Türe einen verächtlichen Blick zu. Den
Körper. Erschrocken standen die Kinder, die aus
zurücknähme, die er wohl auch nur im Zorn ge¬
brauchte er nicht mehr zu fürchten! Und er über¬
der Küche herbeigesprungen kamen, neben ihm.
sprochen habe, so wolle er sich daran genügen
legte, ob er ihm nicht den Todesstoß geben und ihn
Endlich faßte sich das Mariandl ein Herz und
lassen.“
am Sonntag als Kirchenverächter von der Kanzel
fragte:
verkünden solle.
Der Amtsrichter ergriff schleunigst die Gelegen¬
„Warum weinscht, Vatta?“
heit, den Streit zu einem urteilsparenden Ver¬
Der Amtsrichter sah nach der Uhr. „War das
Da legte der seine Linke, die schlaff herbahing,
gleich zu bringen.
ein wüschter spinnter Kerle!“ sagte er zum Asses¬
um das Kind und zog es an sein Herz, aber reden
sor, der in der nächsten Sache wieder als Amtsan¬
„Sind Sie mit dem Vorschlag einverstanden,
konnte er nicht. Als die Kleine keine Antwort er¬
walt zu tun hatte. Der antwortete nicht
Buchwieser?“ fragte er, „Sie sollten von dem gro¬
hielt, streichelte sie des Trostlosen Haupt und bat:
fühlte sich nicht mehr so sicher, seit er den Pfarrer
ßen Entgegenkommen des Herrn Pfarrers schon
„Ihr mueßt net flenne, Vatta; mir hamm nixn
in der letzten Sache unbefangen hatte beobachten
Gebrauch machen, den nach den Akten kann ich
og'stellt un furt san mir aa net g’wen.“
können. Plötzlich trat er zu dem Geistlichen, als
Ihnen sagen, daß Ihnen eine empfindliche Strafe
„Na, g’wiß net!“ bestätigte der Seppl.
er sich anschickte, den Saal zu verlassen, sprach
so gut wie gewiß ist, war es doch ohnehin dicht
(Fortsetzung folgt)
einige rasche Worte zu ihm und ging an seinen
daran, daß Sie auch noch wegen Hausfriedens¬
Platz zurück, bevor der sichtlich Betroffene er¬
bruchs belangt werden!“
Der Ruf des Lebens
widern konnte.
Der Buchwieser machte nur eine müde Be¬
Buchwiesers machten sich auf den Heimweg. Aus
Schauspiel von Artur Schnitzler
wegung mit seiner mageren Hand und ein schmerz¬
einem Bäckerladen in einem der letzten Häuser
licher Blick kam aus den halbgeschlossenen Augen.
Erste Aufführung in den Kammerspielen
holte die Frau einige Maurerlaibl, die sie außer¬
am 6. September
„Mir is all's gleich,“ sagte er leise, „mir glaabt
halb des Ortes, auf einem Straßenstein hockend,
Im Jahre 1906 erschienen, rangiert dieses
's ja do nixn!“
zu verzehren begannen; aber die Kälte trieb sie
Schauspiel vor den späteren Dramen „Der junge
Der Amtsrichter fuhr unwillig auf, sagte aber
auf und so aßen sie im Gehen weiter. Die Straße
Medardus“ und „Das weite Land“. Die drei Akte
nichts. Der Vergleich wurde formuliert. Der
war noch schwieriger als der Früh.
spielen etwa in der Mitte des vorigen Jahrhun¬
Buchwieser nahm mit dem Ausdruck des Be¬
„Soll'n mir it fahr'n von Kirchdorf aus?“ fragte
derts, in Oesterreich. Man lebt in Kriegszeiten
dauerns die beleidigenden Ausdrücke und Vor¬
die Frau, die in der kalten Luft wieder zu husten
und von diesem geräushvollen Hintergrund heben
würfe zurück, die er gegen Herrn Pfarrer Nißler
sich die romanhaften Schicksale des alten Moser
begann. Wie sie noch standen und überlegten,
erhoben haben sollte, verpflichtete sich zur Zahlung
und seiner Tochter Marie ab. Moser, ehedem Ritt¬
kam ein Schlitten von der Stadt her.
von zehn Mark an den vom Pfarrer eben gegrün¬
meister und nunmehr den Achtzigern nahe, von un¬
„Grüeß Gott mitanand!“ rief der Insasse. Es
heilbaren Leiden aus Dachzimmer gefesselt, hält,
deten Jünglingsverein und die Kosten fielen ihm
war der Rauder Sepp, der Junge.
ein tyrannischer Vater seit dem Tode der Mutter
ohnehin zu. Auch die Publikationsbesugnis
„Wollt's mitfahr'n? Sitz du bei mir; die Frau
seine einzige, ihn mit Aufopferung pflegende Toch¬
wurde dem Geistlichen zugesprochen.
soll hint aufhock'n!“
ter gleich einer Gefangenen. Marie ist darob sehr
Sie nahmen dankend an, saßen aber grad umge¬
Die nächste Sache kam zur Verhandlung. Ein
bleich geworden, und eine einzige, mit einem
Landstreicher wurde aus der Haft vorgeführt. Der
kehrt, was dem Sepp nicht recht kommod zu sein
jungen Reiter=Offizier durchtanzte Ballnacht kann
zerlumpte Bursche fühlte sich in dem hellen war¬
schien, er gab ihnen aber Decken und erzählte:
sie nicht völlig für den Verzicht auf alles lebendige
Leben entschädigen.
grad habe er dem Postwirt was 'nüberg'führt —
men Raum offenbar sehr behaglich und setzte sich
Nun aber begibt sich's, daß das Regiment, dem
ohne Umstände auf den vom Meichelbacher Pfar¬
noblig hätt'r's zahlt! Dazu lachte er verschmitzt,
der schöne Leutnant angehört, ins Feld zieht. Juft
sprach dann, ablenkend, von gleichgültigen Din¬
rer eben verlassenen Stuhl, wurde aber vom Gen¬
mit jenem Regiment, das, zur Sühne einer um
gen, darauf aber folgte eine lustige Wilderer¬
darmen mit handgreiflicher Nachhilfe zum Erheben
dreißig Jahre zurückliegenden Schmach, jetzt ein
geschichte nach der anderen, in denen die Ferschtner
genötigt. Er lachte nur und begann dreist die
Gelöbnis abgelegt, bis auf den letzten Mann sich
Anwesenden zu mustern.
nicht gut wegkamen. Beim Rauderhof stiegen
dem Feinde zu opfern. Die Stunde drängt. Am
die Buchwieserschen ab, dankten noch einmal und
„Ihr könnt gehen!“ sagte der Gerichtsdiener
Morgen reiten die Schwadronen; und will Marie
aingen durch den Wald zu Fuß heim.
zum Buchwieser, der noch immer auf seinem Stuhle
den Ruf des Lebens nicht wieder ungehört ver¬
A A.Z