II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 470

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19. Der Ruf s Lebens
Morgenfeier im Hoftheater.
schrieben und im Anschluß an die Vorlesung eines Abschnit¬
8 Stuttgart 1. Dez. Die gestrige Morgenfeier im Kleinen
tes aus der Schilderung des Bürgers Hussel über den Ver¬
Haus des Hoftheaters galt den Befreiungskriegen,
lauf dieser Schlacht trug Hoffmeister Arndts bekanntes Ge¬
d. h. den Sängern und den Vertretern des deutschen Schrift¬
dicht vor: „Wo kommst Du her im roten Kleid?“ Mit sei¬
tums, die einst das deutsche Volk aufrüttelten und anspornten
nem lodernden Pathos entfesselte der Künstler begeisterten
zu den Großtaten jener Zeit. Das reichhaltige Programm
Beifall. Zuletzt kam noch Raoul Aslan, dem der „Frühlings¬
umfaßte Liedervorträge des Hoftheatersingchors und Rezita¬
gruß ans Vaterland“ von Schenkendorf am besten gelang.
tionen von Gedichten, die aus der Zeit der Befreiungskriege
Zwischen den Darbietungen der Rezitatoren ließen sich die
stammen. Den einleitenden Vortrag hatte Dr. Ernst Leopold
Mitglieder des Hoftheatersingchors hören, die dann mit dem
Stahl-Freiburg i. B. übernommen, der in gedankenreichen
prachtyoll vorgetragenen Lied Schenkendorfs „Freiheit, die ich
Darlegungen die Bedeutung der zahtreichen Dichter der Be¬
meine die stimmungsvoll verlaufene Morgenfeier ausklingen
ließef.
freiungskriege würdigte und ihren Einfluß auf den Gang der
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geschichtlichen Ereignisse in seinsinnigen Wendungen klar her¬
Stuttgarter Schauspielhaus. 777.
orhob. Er gedachte Friedrich Schillers, der die Tage tiefster
eutscher Schmach nicht zu erleben brauchte, dessen Reiterlied
1 Arthur Schnitzler, der leicht plaudernde, elegante
ber von Kriegern, die auszogen zum Kampse fürs Vater¬
Gesellschafter,
em „Ruf des Lebens“
and, gesungen wurde; er erinnerte an Theodor Körner, den
tiefer zu gehen; er läßt Probleme nicht nur anklingen, son¬
Sänger der Jünglinge, an Arndt, den Dichter der Männer,
dern er sucht sie auch zu lösen. Aber es bleibt eben doch nur
m Schenkendorf, in dessen Lieder frauenhafte Zartheit uns
ein Versuch, und so erschütternd auch die beiden ersten Akte
mtgegentritt. Auch auf Fichte verwies der Vortragende, auf
sind, so große Fragen auch in ihnen gestellt werden — ihre
Heinrich von Kleist, auf Brentano uf Julius Mosen und
Beantwortung erfolgt nicht im matten letzten Akt. Und so
viele andere, von denen „jeder in seiner Sprache“ zum Er¬
wirkt das Schauspiel mit seiner Kleinmalerei namentlich im
wecket und Träger der vaterländischen Begeisterung geworden
ersten Akt lähmend, schwer und dumpf, ohne daß ein be¬
ist. Diese innige Wechselwirkung zwischen Poesie und Schrift¬
freiendes Aufatmen am Schluß vergönnt wird. Aber mit
tum einerseits und den welterschütternden Geschehnissen ande¬
allem Geschick, über das Schnitzler verfügt, ist die Handlung
rerseits war das Zeitmotiv des Vortrags, der ebenso durch
ausgesponnen. Mag auch hin und wieder der Eindruck des
lichtvoll durchdachten Inhalt, wie durch eine anmutige Form Gewaltsamen, des Konstruierten erweckt werden, so wird
sich auszeichnete. Den einleitenden Worten Dr. Stahls folgte man dessen doch fast gar nicht bewußt, weil immer und
eine lange Reihe von Gedichten, die von Mitgliedern des Hof¬
immer der Gang des Spiels fesselt. Wenigstens in den ersten
theaters vorgetragen wurden. Mit ergreifender Innigkeit beiden Akten. Man versieht, wenn das junge Mädchen, ans
las Emmy Remolt das Sonett an die Königin Luise von
Krankenlager des unheilbaren, verbitterten Vaters gefesselt,
Heinrich von Kleist, wuchtig trug August Ellmenreich
vom draußen lockenden Leben gerufen wird, bis es dem Va¬
Lieder von Arndt, von Brentano und Jul. Mosen vor, dessen
ter, dem Zerstörer ihrer Jugend, den Gifttrank misch und
„Trompeter an der Katzbach“ von außerordentlich packender sich so die Freiheit erkauft: sich den Weg zum Leben öffnet.
Wirkung war. Oskar Hoffmeister erschien ebenfalls Man kann auch verstehen, wenn der fast achtzigjährige Vater
am Vortragstisch. Nach den Briesen, die Blücher, Gneisenaus an dem Leben hängt, das er sich vor 30 Jahren erhielt, als
und Stein über die Schlacht bei Leipzig an ihre Frauen ge=ser seine Kürassier=Eskadron auf der Flucht nicht zum Stehen