II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 494

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kundankbar, schwierig, oft unmöglich. Selbst das
Reden ist in diesem Buche Schnitzlers hohles
Pathos, nicht Gespräch. Unsere Schauspieler
Theater.
haben sich zum großen Teile ehrlich bemüht,
(Fräulein Maugsch als die trauernde Frau
„Der Ruf des Lebens“. Mittwoch den
Richter), zum anderen Teile aber haben auch sie
25. November 1914, zum erstenmale: „Der
das Aussichtslose erkannt und die Rolle einfach
Ruf des Lebens“ Schauspiel in drei Akten von
ie. Geschichte soll um
Dr. G. J.
über sich ergehen lassen.
Arthurh
1850 in Wien spielen. Marie war jetzt 26 Jahre
„Der müde Theodor.“ Posse in drei
Akten. Sonntag, 29 November 1914. — Inso¬
akt. Sie war ein liebenswürdiges Mädchen, eine
weit es Zweck des Theaters ist, die Zuschauer um
edle Seele, eine treue Braut — gewesen. Aber
sie mußte den ganzen Winter den kranken Vater
jeden Preis zum Lachen und freudigen Brüllen=
zu bringen, erfüllt dieses Stück seine Aufgabe
pflegen, der so eigenfinnig und eifersüchtig war;
durchaus. Es gibt selbst neben den wenigen delikaten
einmal hat sie eine ganze Nacht mit einem
Leutnant getanzt. Jetzt freilich war es aus mit
Anspielungen noch lustige Situationen und Gesten.
Liebenswürdigkeit und Treue. Den gutmütigen
Größerer Wert kommt dem Werke natürlich nicht
zu. Die Hereinziehung von Bibel und G bet ist
Forstadjunkten schickt sie weg, den Vater bringt
sie um — nur um diese eine Nacht noch bei
witzlos. — Gespielt wurde zwerchfellerschütternd,
ihrem Leutnant zu sein: Das ist der Ruf des
schauspielerische Aufgaben waren nicht zu lösen.
Dr. G. J.
Lebens — sonst ist es zu spät, denn morgen um
4 Uhr reitet er in den Tod. Wie sich nach¬
träglich herausstellt, hat eben dieser hochherzige
Aus der Theaterkanzlei. Morgen
Leutnant auch seinem Regimentsinhaber die Frau Mittwoch den
1. Dezember (Abonnement
abspenstig gemacht und ihn betrogen und deshalb
Nr. 12, gerader Tag) gelangt als Festvorstellung
hat sich das ganze Regiment vom Oberst bis
anläßlich des 66. Jahrestages des Regierungs¬
herunter zum letzten Pfeifendeckel geschworen, daß
antrittes Sr. Majestät Kaiser Franz
Josef I. die aktuelle Operettenneuheit „Gold
sie in die Schlacht reiten — es ist gerade Krieg
und daß keiner mehr zurückkommt. Offiziell
gab ich für Eisen“ von Viklor Leon,
wird angegeben, das Regiment habe sich dem
Musik von Emmerich Kalman zur ersten Auf¬
führung. Dieses prächtige gemüts= und humor¬
Tode geweiht, weil es vor dreißig Jahren durch
eine voreilige Flucht die Niederlage der Oester¬
volle Werk beherrscht bekanntlich gegenwärtig den
reicher bei Lindach verschuldet habe: aber etwas
Spielplan ds Theaters an der Wien.
Gewisses weiß man darüber nicht, aber das
Samstag den 5. Dezember (Abonnement
macht nichts. Die liebe Marie kommt gerade
noch zurecht, um hinter dem Vorhang beobachten
Wunsch eine nochmalige Aufführung der mit
zu können, wie die Frau Oberst den jungen
durchschlagendem Heiterkeitserfolge auch hier
Leutnant zum Durchbrennen überreden will und
aufgenommenen Posse „Der möde Theodor“
dafür vom Herrn Oberst erschossen wird und
statt. Eine weitere Wiederholung dieses Schlagers
ist mit Rücksicht auf den noch zu absolvicrenden
dann zieht sie sich mit dem Herrn Leumant selig

Die Nachricht,
Spielplan nicht in Aussicht genommen.
zurück, weil das Leben ruft.
daß Maria ihren Leutnant noch einmal sehen
Für Sonntag den
6. Dezember, abends
kann, hat ihre Coufine Katharina überbracht, die
7 Uhr, (aufgehobenes Abonnement Nr. 7, un¬
eben von dem Ihrigen Abschiedzgenommen hatte.
gerader Tag), wird die weltberühmte Puccinische
Die arme Katharina! Ihre erste Liebe, der edle
Meisteroper „Die Bohême“ vorbereitet. In
den Hauptpartien sind dte Damen Erdmann
Forstadjunkt, hatte sie sitzen lassen, worauf sie
sich mit ihrem Leutnant tröstete, und weiterhin
und Veih mit den Herren Fischer,
beschloß, sich mit anderen zu trösten. Sie war
Füllenbaum, Germann, Hagen¬
nämlich ganz irrsinnig geworden und zudem, um
auer, Kursa und Swoboba beschäftigt.
die Geschichte tragisch zu machen, war sie tuber¬
kulos, erblich belastet. Sie lief also ihrer lieben
Mutter davon, um die kurze Zeit ihres Lebens
noch zu genteßen und kam schließlich im weißen
Ballkleid heim in die Grünau, wo sie richtig alle
zufällig beisammen traf. Dann starb sie. Um sie
herum stand der Forstadjunkt, der reuig an seine
Brust klopfte; aber der Arzt, der auch seinerzeit
Marie geliebt hatte und ihr deshalb das Giftfläschchen
für den Vater anvertraute, erklärte ihm, daß man
ja gar nicht verantwortlich sei für lus, was man
dem Nächsten antue, man sei ja nur ein Werk¬
zeug in der Hand des Schicksals. Da in der
Grünau war auch Marie auf Sommerfrische,
die sich seit dem Tode ihres Vaters schwarz trug
und wartete, bis sie das Leben wieder rufen
würde. Denn das totgeweihte Regiment hat
wirklich seinen Schwur erfüllt. Ja, ihr Leutnant
hat sich sogar selber erschossen, weil ihn die
Foinde nicht erschossen haben. Er verstand
nämlich die Zusammenhänge.
Dis ist die Fabal dieses Schauspieles —
ist kein Trauerspiel, wenn auch am Schlusse jedes
Aktes wie auf Bestellung eine Leiche quer über
die Bühne liegt. Die Handlung ist aufgebaut auf
dem so geistreichen, geschichtlichen (sogar Wiener¬
Neustadt kommt vor) und gerade jetzt so zeit¬
gemäßen Grundgedanken vom totgeweihten Re¬
giment — er ist übrigens sehr dickflüssig ent¬
wickllt — und auf der ebenso menschlich hoch¬
stehenden wie sittlich einwandfreien Ausdeutung
des Titels: Der Ruf des Lebens. Und damit
alle diese Edeltaten, wie Vatermord, Ehebruch,
Verführung. auch vom Publikum richtig als
solche eingeschätzt werden und daß es vor diesen
Idealgestalten die nötige Hochachtung kriegt, hat