box 24/5
19. Der Ruf des Lebens
Unmöglichkeiten, die man sonst bei Schnitzler nicht gewohnt
ist. Mitunter hat man übrigens das Gesühl, als spreche
hier ein ganz anderer aus Arthur Schnitzler, als habe sich
der sanfte Anatol, während das Stück in ihm reifte, etwas
viel mit Strindberg beschäftigt. In unserer starken Zeit,
die für diese Sorte von Pessimismus und für die Seelen¬
Laig. —
müdigkeit des Wiener Poeten wohl nur wenig Verständnis
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
aufbringt, zeigen uns Tod und Leben doch ein ganz anderes
Schwäbischer Merku#
Gesicht, und der Ruf des Lebens tritt doch noch in ganz
lsschnitt aus:
Stuttgeurt
anderen Gestalten an uns heran, als in dieser einseitig ero¬
tischen Auffassung. Schnitzler ist in diesem Stück, so sehr
27.4
im:
Ler sich auch psychologisch und philosophisch gebärden mag, in
erster Linie Theatraliker, wobei man zu allem hin noch das
Gefühl hat, daß der Dichter sich erst während der Nieder¬
Kgl. Hoftheater; Kleines Haus.
schrift derüber klar (oder auch nicht klar) geworden ist, was
Zum ersten Male: „Der Ruf des Lebens“
er mit den einzelnen handelnden Personen anfangen soll.
Die Aufführung war unter Egmont Richters sicherer
von Arthur Schlihie
Leitung sehr sorafältig vorbereitet. In dem kranken alten
E. M. Stuttgart 27. April. Arlhur=Schne##ers Schau¬
Moser, der den Fluch mit sich herumschleppt, vor dreißig Jah¬
spiel „Der Rushes Lebens“ das gestern abend zum
ren als Rittmeister die schmähliche Flucht des Kürassierregi¬
ersten Mal im Hosthéater aufgeführt wurde, ist hier nicht
ments verschuldet zu haben, und der in seiner bösartigen
mehr unbekannt. Vonanderthalb Jahren hat das Stuttgarter
Galligkeit seiner Tochter Marie das Leben verbittert, schuf
Schauspielhaus das Stück in einer guten Aufführung heraus¬
Reinhard Tenhaeff eine fein durchgearbeitete Charakter¬
gebracht. Schon damals war es nicht mehr sehr neu. Schnitzler
studie, die uns von den Düsterkeiten dieses unerquicklichen
hat es schon im Jahi 1905 der Oeffentlichkeit übergeben,
Seelenbildes laum etwas schuldig blieb. Emmy Remolt gab
aber nicht den gewohnten Erfolg damit gehabt. Im Grunde
die junge unglückliche Marie Moser mit aller erforderlichen
ist es gar kein echter Schnitzler. Aus der Reihe seiner übrigen
Herbheit und Bitterkeit. Ein kleines Meisterstück, so eine Art
Werke fällt es jedenfalls stark heraus. Zumal zum Anatol¬
Ophelia im Wiener Stil, bot Elsa Pfeiffer in der Rolle
zyklus mit seiner anmutig plauschenden Leichtfertigkeit oder
der jungen kranken Katharina, die schon vom Tode gezeichnet,
zu der scharfen Folgerichtigkeit seines „Professor Bern¬
auch noch einmal dem Ruf des Lebens folgt, um hinterher see¬
hardi“ steht es im stärksten Gegensatz, vor allem auch zu
lisch und körperlich vollends zusammenzubrechen. Raou!
jenem Arthur Schnitzler, der die leisen Töne, die sauften
Aslan liegt der junge seelenmüde östreichische Kürassier¬
Schattierungen, die weichen Farben liebt. Im „Ruf des
leutnant sehr gut; auch Egmont Richter fand in der
Lebens“ hat er mit den grellsien Farben gemalt. Diese
männlichen Straffheit seines Kürassierobersten sehr glücklich
junge Marie Moser, die aus Lebenshunger ihren bösartigen
den östreichischen Unterton. Ottilie Gerhäuser in der
kyrannischen alten Vater vergiftet, um von der noch warmen
Rolle seiner Gattin gab ihre kleine Szene sehr wirksam und
Leiche weg in die Arme eines jungen Offiziers zu stürzen;
voll echter Leidenschaft. Roderich Arndt in der unglück¬
dieser junge Kürassieroffizier, der dem so beschaffenen Ruf
seligen Brackenburggestalt des Forstadjunkten, Oskar Haf¬
des Lebens sofort Folge leistet, obwohl zu seinen Füßen,
meister als Arzt, Amelie Schurich als besorgte Mutter,
gleichfalls noch warm, die Leiche einer anderen Frau, näm¬
Dietrich und Peschel in den kleineren Rollen des
lich der Gattin seines Obersten liegt, die von dem Gemahl
zweiten Offiziers und des Unteroffiziers leisteten im Kleinen
soeben bei ihm ertappt und niedergeknallt wurde: dieser
gleichfalls gute Charakterisierungsarbeit. — Die ausgezeich¬
Oberst, der sich und sein ganzes Resiment dem Tode ver¬
nete Darstellung fand den verdienten lebhaften Beifall des
schreibt, angeblich weil das Regiment eine alte Schmach zu
sühnen hat (die es vor dreißig Jahren durch feige Flucht auf polsbesetzten Hauses.
sich lud), in Wirklichkeit aber wohl aus ganz persörlichem
Lebensüberdruß — das alles sind Gewaltsamkeiten, ja
19. Der Ruf des Lebens
Unmöglichkeiten, die man sonst bei Schnitzler nicht gewohnt
ist. Mitunter hat man übrigens das Gesühl, als spreche
hier ein ganz anderer aus Arthur Schnitzler, als habe sich
der sanfte Anatol, während das Stück in ihm reifte, etwas
viel mit Strindberg beschäftigt. In unserer starken Zeit,
die für diese Sorte von Pessimismus und für die Seelen¬
Laig. —
müdigkeit des Wiener Poeten wohl nur wenig Verständnis
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
aufbringt, zeigen uns Tod und Leben doch ein ganz anderes
Schwäbischer Merku#
Gesicht, und der Ruf des Lebens tritt doch noch in ganz
lsschnitt aus:
Stuttgeurt
anderen Gestalten an uns heran, als in dieser einseitig ero¬
tischen Auffassung. Schnitzler ist in diesem Stück, so sehr
27.4
im:
Ler sich auch psychologisch und philosophisch gebärden mag, in
erster Linie Theatraliker, wobei man zu allem hin noch das
Gefühl hat, daß der Dichter sich erst während der Nieder¬
Kgl. Hoftheater; Kleines Haus.
schrift derüber klar (oder auch nicht klar) geworden ist, was
Zum ersten Male: „Der Ruf des Lebens“
er mit den einzelnen handelnden Personen anfangen soll.
Die Aufführung war unter Egmont Richters sicherer
von Arthur Schlihie
Leitung sehr sorafältig vorbereitet. In dem kranken alten
E. M. Stuttgart 27. April. Arlhur=Schne##ers Schau¬
Moser, der den Fluch mit sich herumschleppt, vor dreißig Jah¬
spiel „Der Rushes Lebens“ das gestern abend zum
ren als Rittmeister die schmähliche Flucht des Kürassierregi¬
ersten Mal im Hosthéater aufgeführt wurde, ist hier nicht
ments verschuldet zu haben, und der in seiner bösartigen
mehr unbekannt. Vonanderthalb Jahren hat das Stuttgarter
Galligkeit seiner Tochter Marie das Leben verbittert, schuf
Schauspielhaus das Stück in einer guten Aufführung heraus¬
Reinhard Tenhaeff eine fein durchgearbeitete Charakter¬
gebracht. Schon damals war es nicht mehr sehr neu. Schnitzler
studie, die uns von den Düsterkeiten dieses unerquicklichen
hat es schon im Jahi 1905 der Oeffentlichkeit übergeben,
Seelenbildes laum etwas schuldig blieb. Emmy Remolt gab
aber nicht den gewohnten Erfolg damit gehabt. Im Grunde
die junge unglückliche Marie Moser mit aller erforderlichen
ist es gar kein echter Schnitzler. Aus der Reihe seiner übrigen
Herbheit und Bitterkeit. Ein kleines Meisterstück, so eine Art
Werke fällt es jedenfalls stark heraus. Zumal zum Anatol¬
Ophelia im Wiener Stil, bot Elsa Pfeiffer in der Rolle
zyklus mit seiner anmutig plauschenden Leichtfertigkeit oder
der jungen kranken Katharina, die schon vom Tode gezeichnet,
zu der scharfen Folgerichtigkeit seines „Professor Bern¬
auch noch einmal dem Ruf des Lebens folgt, um hinterher see¬
hardi“ steht es im stärksten Gegensatz, vor allem auch zu
lisch und körperlich vollends zusammenzubrechen. Raou!
jenem Arthur Schnitzler, der die leisen Töne, die sauften
Aslan liegt der junge seelenmüde östreichische Kürassier¬
Schattierungen, die weichen Farben liebt. Im „Ruf des
leutnant sehr gut; auch Egmont Richter fand in der
Lebens“ hat er mit den grellsien Farben gemalt. Diese
männlichen Straffheit seines Kürassierobersten sehr glücklich
junge Marie Moser, die aus Lebenshunger ihren bösartigen
den östreichischen Unterton. Ottilie Gerhäuser in der
kyrannischen alten Vater vergiftet, um von der noch warmen
Rolle seiner Gattin gab ihre kleine Szene sehr wirksam und
Leiche weg in die Arme eines jungen Offiziers zu stürzen;
voll echter Leidenschaft. Roderich Arndt in der unglück¬
dieser junge Kürassieroffizier, der dem so beschaffenen Ruf
seligen Brackenburggestalt des Forstadjunkten, Oskar Haf¬
des Lebens sofort Folge leistet, obwohl zu seinen Füßen,
meister als Arzt, Amelie Schurich als besorgte Mutter,
gleichfalls noch warm, die Leiche einer anderen Frau, näm¬
Dietrich und Peschel in den kleineren Rollen des
lich der Gattin seines Obersten liegt, die von dem Gemahl
zweiten Offiziers und des Unteroffiziers leisteten im Kleinen
soeben bei ihm ertappt und niedergeknallt wurde: dieser
gleichfalls gute Charakterisierungsarbeit. — Die ausgezeich¬
Oberst, der sich und sein ganzes Resiment dem Tode ver¬
nete Darstellung fand den verdienten lebhaften Beifall des
schreibt, angeblich weil das Regiment eine alte Schmach zu
sühnen hat (die es vor dreißig Jahren durch feige Flucht auf polsbesetzten Hauses.
sich lud), in Wirklichkeit aber wohl aus ganz persörlichem
Lebensüberdruß — das alles sind Gewaltsamkeiten, ja