II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 502

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19. Der Ruf des Lebens
Ran
Figuren, die nur vom Willen des Dichters ge¬
schoben werden, Bilder, die keine Klarheit be¬
sitzen, die sich in krausem Reigen verzerren.
Immerhin, — Schnitzler müßte, worüber ja
wohl nicht mehr zu reden ist, kein Dichter sein,
und es müßte nicht gerade Schnitzler, das heißt
ein geistig schaffender Künstler sein, wäre ihm
nicht die ftgürliche Materialisation seiner Ibeen
und seines Wollens in einem gewissen Grade ge¬
lungen; aber der Gedanke des schaffenden Lubens,
das in jeglicher Schicksalsgestaltung den Höhen
eines befreienden und beruhigenden Wirkens
entgegen schreiten muß, und daß leben nicht
bloß kämpfen und für Gedanken, Ideale und täg¬
liches Brot sterben, sondern auch Ueberwindung
des Schicksals durch Arbeit und Gewinnung eines
Lebensziels heißt, — diese Tendenz vermochte
#sei1g Pra. Sfurter Sesenter
weder der Dichter, noch der Meister der dra####
und Imiigenz Blatt
tischen Charakteristik überzeugend zu gestalte—
Der Dichter redet nur der dramatische Gestalter
Krankfurt a. M.
vergreift sich in den Behelfen und kurbelt eine
Menge Geschehnisse ab, die stillos in das philo¬
sophische Gerüst des Schauspiels hineingerückt
werden. Wenn die Tochter, um zur Freiheit und zu
„Der Ruf des Lebens.“
ihrem Lebens= und Liebesglück zu gelangen, das
Ende des todkranken Vaters beschleunigt, wenn
Eine Schnitzler=Erstaufführung im Neuen Theater.
sie im Alkoven hinter dem Vorhang stumme Zeu¬
Man kann sich nur damit einverstanden er¬
gin sein muß, wie der Oberst seine Frau im
klären, daß die Theater nicht hinter sensationellen
Zimmer ihres Geliebten erschießt, wenn der Tod
Tageserfolgen herjagen und das weite Feld zwi¬
sinnlos wütet, einen nach dem andern verschlingt.
schen Novität und Repertoirestück, auf dem so
dann klafft der unüberbrückbare Abstand zwischen
schöne künstlerische Erfolge zu holen sind, brach durchgeistigter Lebensphilosophie und schlechter
liegen lassen. Wenn aber ältere Werke zugkräf¬
Dramatik immer breiter und tiefer. Einzig die
tiger Autoren dem Schicksal der Vergessenheit
Gestalt des klugen Dr. Schindler. der den
entrissen werder len, dann muß es entweder
zerfließenden Dingen feste Umrisse und Richtung
dichterisch oder so spielerisch lohnen.
zu geben bemüht ist, re##et von diesem dunklen
ler. „Der
Bei dem jetzt aufgeführten Schni
Schicksalsdrama, das den glänzenden und
[Ruf des Lebens“ der vor 12 Jähken zum
liebenswerten Anatoldichter so wenig wieder er¬
ersten Male ertönte, aber kein Echo fand, lohnt
kennen läßt, wie den hellsebenden, kampfesfren¬
es weder nach der einen, noch nach der anderen
digen Polemiker des Professor Bernhardi, was
Richtung. Schnitzler hat hier allerhand Grübe¬
an praktisch=brauchbaren und positiven Werten zu
leien über die Tragik des Lebens und über Schick¬
retten ist; viel ist es ohnehin nicht: ein wenig
salsbestimmung in dramatische Form gebracht; es
Lebensweisheit, einige gescheite Worte. Was
sind Variationen über ein bestimmtes Thema, aber ist der Sinn des Ganzen? Det Tod regiert
und das ist der größte Irrium des Stückes. Nicht das Leben und das Leben den Tod!
das Leben spiegelt sich wieder, es ist phantastische
Das Neue Theater hat sich zur gepflegten
Schreibtischarbeit, der die starken dramatischen! Schnitzlerbühne entwickelt. Seine Verdienste
Impulse feblen. Worte, die nicht überzeugenI nach dieser Richtung sind bekannt und virlleiche¬
m
# ist diese künstlerische Aspiration auch der Grund
der Aufnahme gerade des Rufs des Lebens. An
sorgfältiger Vorbereitung ließ die Aufführung
nichts zu wünschen, die Spielleitung He
mers blieb weder in der liebevollen szenischen
Kontur noch in der Betonung der Stimmung,
des Gefühlsmäßigen und Dramatisch=Sinnlichen
dem Dichter etwas schuldig, leider scheiterte diese
gewissenhafte Bemühung öfters an dem Stück
und seinen organischen Fehlern. Der Heldin
Marie hätte Klara Wassermann ausge¬
sprochenere Farben und Töne geben müssen;
etwas mehr Robustheit und weniger Feinheit
und Feinfühlig eit hätte stärkere Eindrücke
hinterlassen. Tie erfreulichstn Leistung des
Abends in ihrer schlichten Wärme und herzlich¬
klugen Natürlichkeit war die des Franz Kauer,
der in der Gestalt des Dr. Schindler als eine
Art Schicksalsdeuter durch das Stück geht. Eino
eindringliche Krankenphysiognomie schuf Otto
Henning, häßlich und realistisch, aber nicht
ohne schauspielerische Wirksamkeit. Gute Töne
zu einer somnambulen Mädchengestalt fand Sita
Stauh, in militärischen Typen boten F. W.
Schroeder in einer tragisch unterstrichenen
Szene, ferner Otto Wallburg und Willn
[Umminger tüchtige Leistungen, die nach er
schöpfendem Ausdruck strebten, aber hinter den
Worten ihrer Rollen das Persönliche nicht auf
leben lassen konnten. Carl Eggers=Dechen
Leontine Sagan und Gustl Sieger bemühten
sich ebenfalls nach Kräften um das Schauspiel
dessen drei Akte Robert Neppach in gut er¬
H. W.
faßte Bühnenbilder kleidete.