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19. Der Rif(6
Wien, I., Concoralapte.-
103
tleutsche Rundschar
Wien
Künst und Bühne.
2
Denlsches Volkstheater. Neu in Szene gesetzt, erschien
Arkur Schnißlens—Schauspiel „Do# Ruf des
Lebens“ Weder auf der Bühne des Deutschen Volks¬
theaters. Aber in anderer Stimmung, als vor zehn Jahren
bei der Erstaufführung, saß man gestern dem Widerspiel
von Tod und Leben gegenüber, und in den „Ruf des
Lebens“ der hier über „Untreue, Buhlerei und Mord“
zur Entsagung führt, mischten sich die Nöten der Gegen¬
wart zu schier unerträglich schmerzlichen Disharmonien
von Lebenslust und Todesgrauen. Man möchte endlich ein¬
mal befreit aufatmen und fühlt sich immer wieder hinein¬
gezerrt in die grausamen Erinnerungen an den Krieg, die
durch das Stück Schnitzlers geradezu unbarmherzig aufge¬
peitscht werden. Die Schatten des Todes huschen gespenster¬
haft über jede Szene und den düsteren Hintergrund bildet
ein Regiment, das dem unabwendbaren Untergang geweiht
ist. Der erste Akt gipfelt in einem Vatermord, der zweite
in einem Gattenmord und im letzten schreitet die Schwind¬
sucht, der Würgengel auch unserer Tage, über die Bühne.
Schnitzler ist es freilich um die tieferen Zusammenhänge
zu tun, die hinter den Bühnengeschehnissen liegen und ge¬
heimnisvolle Fäden zwischen Sein und Nichtsein, Wonne
und Weh spinnen. Allein gerade diese gehen auf dem Wege
vom Buch zur Bühne verloren, und für unser unmittel¬
bares Empfinden bleiben nur die Zusammenhänge zwi¬
schen dem großen Sterben in dem Stücke und dem noch
größeren in unserer nächsten Umwelt übrig. Die mit leb¬
hoftem Beifall ausgenommene Wiederaufführung brachte
einige beachtenswerte Neubesetzungen. Das Beste an der
ganzen Vorstellung war wohl die arme Maxie des Fräu¬
leins Denera. Es war vielleicht überhaupt das Beste,
was man von dieser jungen Künstlerin bisher empfangen
hat, und zur innigen Verhaltenheit, die ihre Rolle er¬
heischt, brachte sie auch die rechte Herbheit auf. Nicht in
gleichem Maße befriedigte Fräulein Rosenquist als
hektische Katharing, deren Opheliatöne im letzten Akt ein
Bißchen gar zu konventionell klangen. Wie berufen für
den filzigen Greis, der nicht sterben will, war Herr Goet
und neben ihm wurde auch Herr Onno (Max) stürmisch
gefeiert,während die Herren Danegger und Wer¬
ner=Kahle in ihren minder dankbaren Rollen sich nicht
recht wohl zu fühlen schienen.
—
Aleue Wienss mnt
box 24/5
.Contorur.
Oest-Preisabeh
Wied.
Deutsches Volkstheatev. V Zum deltiekmar
erscheint Schnitzlers Schauspiel „Der Ruf
[des Lebens“ auf der Szene dieses Theaters. Es
ist gewiß ein Beweis für die Lebenskraft des Stückes,
daß die Direktionen immer wieder versuchen, es
durch Neubesetzung dem Spielplan zu
gewinnen;
doch zeugt gegen diese Lebenskraft die Tatsache, daß
das Schauspiel an dieser Stätte und überhaupt an
den Bühnen Deutschlands sich nicht hat behaupten
können. Nun ist die Dichtung eineinhalb Jahr¬
zehnte alt, aber man könnte nicht sagen, es mute
irgendwie veraltet an. Dazu ist das Problem, das
Schnitzler sich gestellt, doch zu menschlich, zu tief in
uns versenkt: Die Lockungen des Lebens sind so ge¬
waltig, daß sie den Offizier der Fahne untreu
werden lassen, das todkranke Mädchen zum Genusse
70
der letzten Lust aufpeitschen, die Tochter zur Mör¬
derin des Vaters machen usw. Schnitzler beweist
seine These an fast jeder Person seines Stückes.
Und weil er zu viel beweist, verstimmt er. Man geht
mit dem Eindrucke nach Hause, ein Spiel gesehen
zu haben, das einem rechnenden Dichtergehirn ent¬
stammt und nicht dem Leben. Dabei ist es glänzendes
Theater, die Aktschlüsse von unwiderstehlicher Wir¬
kung. Ihnen und der im ganzen prächtigen Dar¬
stellung (Spielleiter Dr. Reich) hatte das Stück
gestern einen starken Erfolg zu danken. Allerdings;
Von den Damen stand nur Erika v. Wagner als
Oberstensgattin auf der Höhe. Die Damen
[Denera und Rosenquist (Marie und Katha¬
rina) waren doch zu blaß. Vornehm und innig
Ferdinand Onno als Max, ein Kabinettsstück in
der kleinen Rolle des Albrecht Herr Rehberger,
durchaus realistisch, wie es sich gebührt, Herr Goetz
als Rittmeister Moser und einfach, wenn auch zu
wenig stramm in der Haltung Herr. Werner¬
Kahle als Oberst. Noch zu erwähnen der
des Herrn Teubler. Ein Schatzspi##
versagt.
#
Neues & Chr Mue,
28 P. 519
Wien.
Deutsches Volkstheater. „Der Ruf des
Lebens“ von Artur Schuitler. Nörgeln wir
nicht. Hängen wir uns nicht an kleine Schwächen
im dramatischen Aufbau diess Schauspieles und an
wenig bedeutungsvolle Unzulänglichkeiten der Auf¬
führung. Versuchen wir##uns ganz dem unendlichen
Genusse dieses Theaterabends hinzugeben, trotzdem
er an einer Wiener Bühne stattfindet und trotz¬
dem der Dichter ein Wiener ist. Beides haben be¬
kanntlich die gewissen Wiener Intellektuellen, die
das große Wort führen, nicht gern. Wer nur hin¬
zuhören versteht auf Worte, die Artur Schnitzler
hier gelungen sind, dem mußte dieser Abend einfach
unvergeßlich bleiben. Das Gespräch zwischen den
beiden jungen Mädchen im ersten Alt, von Fräulein
Rosenquist ganz erfüllt mit morbider Schönheit,
Worte, die wie die Stimme einer einzelnen Geige in
der Nacht sind. Dann das erhitzte dem Tod entgegen¬
rasende Gespräch zwischen Max und Irene, Herrn
Onno, weitaus dem besten Schauspieler Wiens,
und Frau Wagner, die ihr Temperament erst jetzt
gesunden zu haben scheint. Ganz wunderbar auch
Herr Täubler in der Schlußszene, in der an die
tiefsten Quellen gütigen menschlichen Verstehens
gerührt wird. Fräulein Denera stimmt ihre Rolle
ganz auf einen Ton. Es ließe sich sogar darüber
streizen, ob es der richtige ist, aber die junge Schau=s#
—
—
spielerin hatte im letzten Akt wirkliche, echte Tränen
in den Augen. Das soll ihr nicht vergessen werden.
Dieses Theaterstück ist es wahrlich wert, daß man
es so heiß mitempfinde. Dem Deutschen Volks¬
theater ist eine vorzügliche Vorstellung gelungen.
Herr Götz, Herr Werner=Kahle, Herr
[Danegger und alle andern hatten ihren starken
Teil daran.
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tleutsche Rundschar
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Künst und Bühne.
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Denlsches Volkstheater. Neu in Szene gesetzt, erschien
Arkur Schnißlens—Schauspiel „Do# Ruf des
Lebens“ Weder auf der Bühne des Deutschen Volks¬
theaters. Aber in anderer Stimmung, als vor zehn Jahren
bei der Erstaufführung, saß man gestern dem Widerspiel
von Tod und Leben gegenüber, und in den „Ruf des
Lebens“ der hier über „Untreue, Buhlerei und Mord“
zur Entsagung führt, mischten sich die Nöten der Gegen¬
wart zu schier unerträglich schmerzlichen Disharmonien
von Lebenslust und Todesgrauen. Man möchte endlich ein¬
mal befreit aufatmen und fühlt sich immer wieder hinein¬
gezerrt in die grausamen Erinnerungen an den Krieg, die
durch das Stück Schnitzlers geradezu unbarmherzig aufge¬
peitscht werden. Die Schatten des Todes huschen gespenster¬
haft über jede Szene und den düsteren Hintergrund bildet
ein Regiment, das dem unabwendbaren Untergang geweiht
ist. Der erste Akt gipfelt in einem Vatermord, der zweite
in einem Gattenmord und im letzten schreitet die Schwind¬
sucht, der Würgengel auch unserer Tage, über die Bühne.
Schnitzler ist es freilich um die tieferen Zusammenhänge
zu tun, die hinter den Bühnengeschehnissen liegen und ge¬
heimnisvolle Fäden zwischen Sein und Nichtsein, Wonne
und Weh spinnen. Allein gerade diese gehen auf dem Wege
vom Buch zur Bühne verloren, und für unser unmittel¬
bares Empfinden bleiben nur die Zusammenhänge zwi¬
schen dem großen Sterben in dem Stücke und dem noch
größeren in unserer nächsten Umwelt übrig. Die mit leb¬
hoftem Beifall ausgenommene Wiederaufführung brachte
einige beachtenswerte Neubesetzungen. Das Beste an der
ganzen Vorstellung war wohl die arme Maxie des Fräu¬
leins Denera. Es war vielleicht überhaupt das Beste,
was man von dieser jungen Künstlerin bisher empfangen
hat, und zur innigen Verhaltenheit, die ihre Rolle er¬
heischt, brachte sie auch die rechte Herbheit auf. Nicht in
gleichem Maße befriedigte Fräulein Rosenquist als
hektische Katharing, deren Opheliatöne im letzten Akt ein
Bißchen gar zu konventionell klangen. Wie berufen für
den filzigen Greis, der nicht sterben will, war Herr Goet
und neben ihm wurde auch Herr Onno (Max) stürmisch
gefeiert,während die Herren Danegger und Wer¬
ner=Kahle in ihren minder dankbaren Rollen sich nicht
recht wohl zu fühlen schienen.
—
Aleue Wienss mnt
box 24/5
.Contorur.
Oest-Preisabeh
Wied.
Deutsches Volkstheatev. V Zum deltiekmar
erscheint Schnitzlers Schauspiel „Der Ruf
[des Lebens“ auf der Szene dieses Theaters. Es
ist gewiß ein Beweis für die Lebenskraft des Stückes,
daß die Direktionen immer wieder versuchen, es
durch Neubesetzung dem Spielplan zu
gewinnen;
doch zeugt gegen diese Lebenskraft die Tatsache, daß
das Schauspiel an dieser Stätte und überhaupt an
den Bühnen Deutschlands sich nicht hat behaupten
können. Nun ist die Dichtung eineinhalb Jahr¬
zehnte alt, aber man könnte nicht sagen, es mute
irgendwie veraltet an. Dazu ist das Problem, das
Schnitzler sich gestellt, doch zu menschlich, zu tief in
uns versenkt: Die Lockungen des Lebens sind so ge¬
waltig, daß sie den Offizier der Fahne untreu
werden lassen, das todkranke Mädchen zum Genusse
70
der letzten Lust aufpeitschen, die Tochter zur Mör¬
derin des Vaters machen usw. Schnitzler beweist
seine These an fast jeder Person seines Stückes.
Und weil er zu viel beweist, verstimmt er. Man geht
mit dem Eindrucke nach Hause, ein Spiel gesehen
zu haben, das einem rechnenden Dichtergehirn ent¬
stammt und nicht dem Leben. Dabei ist es glänzendes
Theater, die Aktschlüsse von unwiderstehlicher Wir¬
kung. Ihnen und der im ganzen prächtigen Dar¬
stellung (Spielleiter Dr. Reich) hatte das Stück
gestern einen starken Erfolg zu danken. Allerdings;
Von den Damen stand nur Erika v. Wagner als
Oberstensgattin auf der Höhe. Die Damen
[Denera und Rosenquist (Marie und Katha¬
rina) waren doch zu blaß. Vornehm und innig
Ferdinand Onno als Max, ein Kabinettsstück in
der kleinen Rolle des Albrecht Herr Rehberger,
durchaus realistisch, wie es sich gebührt, Herr Goetz
als Rittmeister Moser und einfach, wenn auch zu
wenig stramm in der Haltung Herr. Werner¬
Kahle als Oberst. Noch zu erwähnen der
des Herrn Teubler. Ein Schatzspi##
versagt.
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Neues & Chr Mue,
28 P. 519
Wien.
Deutsches Volkstheater. „Der Ruf des
Lebens“ von Artur Schuitler. Nörgeln wir
nicht. Hängen wir uns nicht an kleine Schwächen
im dramatischen Aufbau diess Schauspieles und an
wenig bedeutungsvolle Unzulänglichkeiten der Auf¬
führung. Versuchen wir##uns ganz dem unendlichen
Genusse dieses Theaterabends hinzugeben, trotzdem
er an einer Wiener Bühne stattfindet und trotz¬
dem der Dichter ein Wiener ist. Beides haben be¬
kanntlich die gewissen Wiener Intellektuellen, die
das große Wort führen, nicht gern. Wer nur hin¬
zuhören versteht auf Worte, die Artur Schnitzler
hier gelungen sind, dem mußte dieser Abend einfach
unvergeßlich bleiben. Das Gespräch zwischen den
beiden jungen Mädchen im ersten Alt, von Fräulein
Rosenquist ganz erfüllt mit morbider Schönheit,
Worte, die wie die Stimme einer einzelnen Geige in
der Nacht sind. Dann das erhitzte dem Tod entgegen¬
rasende Gespräch zwischen Max und Irene, Herrn
Onno, weitaus dem besten Schauspieler Wiens,
und Frau Wagner, die ihr Temperament erst jetzt
gesunden zu haben scheint. Ganz wunderbar auch
Herr Täubler in der Schlußszene, in der an die
tiefsten Quellen gütigen menschlichen Verstehens
gerührt wird. Fräulein Denera stimmt ihre Rolle
ganz auf einen Ton. Es ließe sich sogar darüber
streizen, ob es der richtige ist, aber die junge Schau=s#
—
—
spielerin hatte im letzten Akt wirkliche, echte Tränen
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Dieses Theaterstück ist es wahrlich wert, daß man
es so heiß mitempfinde. Dem Deutschen Volks¬
theater ist eine vorzügliche Vorstellung gelungen.
Herr Götz, Herr Werner=Kahle, Herr
[Danegger und alle andern hatten ihren starken
Teil daran.
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