II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 507

19. Der Ruf des Lebens

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WIENER ABENDPOS7
(Deutsches Volkstheater.) Samstag
„wurde gegeben: „Der Ruf des Lelens“
Schauspiel in drei Atten von Artur Schniglel.
Das Stück erscheint nun schon zum dritten Mal im
Spielplan, in dem es bisher nicht Wurzel zu fassen ver¬
mochte. Wilde Kolportagedramatik knallt hier los, heiß
zufahrende Romantik befremdet und dicht dabei die
sorgsamste Begründung und genaueste Erkundung
dunkel triebhafter, seelischer Vorgänge. Das ergibt nur
klaffende Zwiespältigkeit und durchaus keine gefestigte
organische Verbindung. Die Tragödie birgt volkstüm¬
liche, balladeske, man möchte fast sagen bänkelsängerlich
„muritätliche" Elemente genug, um hundert alten
Köchinnen die heißesten Tränen der Rührung zu entreißen
aber diese naiven Hörerinnen müßten doch zugleich
auch so überfeinerte Nerven haben, daß sie im Stande
wären, die kaum hörbar mitschwingenden Obertöne
einer handgreiflich derben Melodie halb erratend zu
erfassen. Auf erkünstelte Voraussetzungen ist hier alles
schwankend gestellt. Das Herz dieser Szenen sitzt im
Kopf ihres Dichters, der diesmal viel geistreicher und
scharfsinniger ist als dem beschleunigten Pulsschlage
seiner Schöpsung zuträglich. Dazu tritt noch, daß
wir heute den Problemen vom bedingungslosen
militärischen Heldentum, soldatischen Mut und
kriegerischer Feigheit im Feld und vor dem Feinde,
dem Thema Gehorsam und Disziplin, mit erheblich
veränderten Empfindungen gegenüberstehen, als noch
etwa vor zwei Jahren. Wir sind eben etwas weniger
rigoros und radikal
geworden, die Härten und
Grausamkeiten des Krieges haben uns alle
seltsam genug milder und menschlicher gestimmt.
Daher vermögen wir uns auch mit den überstraff an¬
gespannten militärischen Ehrbegriffen, mit dem unbe¬
dingt erforderten Opfertode ganzer Regimenter behufs
Sühnung längst verjährter Schuld nicht mehr zu be¬
freunden. Fremd stehen wir heute dem ganzen
Problemkomplexe gegenüber. Darüber vermochte auch
die gewissenhafteste Darstellung nicht hinüberzuhelfen,
nicht einmal des Herrn Götz meisterliche Heraus¬
arbeitung eines gierig am Leben sich anklammernder.
schändlichen Greises, auch nicht Herrn Onnos jäh
aufflammend beredte Heldenhaftigkeit. Herrn Werner¬
Kahles strohtrockenes Theater reichte nicht einmal
entfernt an seinen Vorgänger Adolf Weisse heran,
der doch wahrlich auch einiges Theater bot, altes,
ältestes zugestandn, immerhin wirksames. Frl. Denera
und Frl. Rosenquist bekunden liebliche Anfänger¬
schaft mit holden Zukur dausblicken. Frau Erika
Wagner war ho ltsvoll wie stets. Er¬
freulich wirkten in ihrer mannhaften Geradaus¬
Natürlichkeit die Herren Teubler (Arzt) und
Danegger (Fo stadjunkt). Das Stück fand vor
allem das Verständnis und die Zustimmung der
Galerien. Unten war man etwas zurückhaltender. Die
Psychologen des Parketts hatten jedenfalls ihre
Hemmungen und Bedenken.
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Neues Wiense Jar#n Wie:
Theater und Kunst.
Deutsches Volkstheater. Artur Schni#lers.
Schausviel „Der Ruf des Lebens“, das lange
im Archiv dieser Bühne geschlummert, ist wieder auf¬
getaucht. Das zwiespältige Werk hat auch diesmal bei
der Zuhörerschaft, so willig sie dem Dichter entgegen¬
kam, zwiespältige Empfindungen geweckt. Es flackert,
aber es erwärmt nicht. Sein Ruf des Lebens ist ein
brünstiger, animalischer Schrei. Es ist halb modern,
halb romantisch. Es besticht ab und zu durch seine
feine Geistigkeit und befremdet dann wieder durch
Gewaltsamkeiten und Knalleffekte eies Boulevard¬
dramas. Vor allem vermißt man bei der weiblichen
Hauptfigur jene seelische Vertiefung, die ihrer grä߬
lichen Tat zwingende Glaubwürdigkeit verliehen und
sie einigermaßen gerechtfertigt hätte. Dieses Mädchen,
das ihren greisen Vater, der sie an sein Krankenbett
fesselt, vergiftet, um eine Liebesstunde in den Armen
ihres in die Schlacht reitenden Dragonerleutnants
zu verbringen, erscheint als wilde, läufige Dirne.
Und dieser Oberst, der mit einem Satz durch das
Fenster in das Zimmer des Dragonerleutnants
hineinturnt, sein ehebrecherisches Weib ruhig nieder¬
knallt, ihren Genossen jedoch mit starrer Grandezza
verschont, ist das nicht eine heroisch=romantische Ge¬
stalt, wie aus einem Drama von Viktor Hugo heraus¬
gesprungen? — Die Darstellung hat die Brüchigkeit
des Werkes ein wenig verschleiert. Fräulein De¬
nera als die Tochter des alten Rittmeisters war
von vornherein zu zermürbt. Man spürte nicht die
Flamme, die später aus ihrer Dumpfheik hervorzuckt.
Herr Götz gab den greisen Kranken mit einer ihm
sonst fremden Kraft und Verbitterung. Herr Kohle
wahrte dem Obersten durch einen Zug gebieterischer
Größe eine würdige Haltung. Herr Danegger,
sonst überschäumend, kraftstrotzend und dröhnend,
überraschte diesmal in einer kleinen Rolle durch eine
erquickliche Schlichtheit. Und wie rein geprägt ist seine
Diktion! So klar und deutlich sprechen, daß jedes¬
Wort beschwingt und mit seiner vollen Klangfarbe ins
Ohr gleitet- es ist die elementarste Kunst des Bar¬
stellers und doch wie wenig gepflegt, wie selten in
ihrer Vollendung selbst an unsern vornehmsten
Bühnen!
m. b.
Sger
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österr. Finanz-Rerue
Wien

Theater und Kunst.
(Deutsches Volkstheater). Schnitzlers „Ruf nach dem
Leben“, hat trotz seines interessanten Motives: „Ein Mädchen
drängt es nach der väterlichen Strenge und den engen Verhält¬
nassen, nach Liebe“, vor dem Kriege wenig gefallen Im Kriege
haben die militärischen Motive dem Stück zu höherer Wirkung
verholfen. Nun hat sich wieder der Effekt verschoben, wenn auch
die Schnitzlergemeinde viel applaudierte. In der Neubesetzung
fand Herr Götz, statt des jetzt an der Wiener Bühne befindlichen
Schreiber, die schärfste Charakteristik, Kahle konnte die Liebens¬
würdigkeit Kramers nicht erreichen, Danegger war ein Kraft¬
und Prachtmensch. Onno Nervenmensch, wie immer. Auch #ie
Damen Denera, Rosenquist und Wagner leisteten Vorzügliches. „