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bens
d
19. Der Ruf
es sich doch um eine tief ins Volkslebei einschneidende Insti¬
tution handelt, etwa ein bißchen tiefer zu graben. Und darin,
in diesem billigsten und lotterigsten Griff nach etwas sehr
Ernshaftem, liegt das freventlich Unwahre des theatralischen
Einfalls, das der bellende Titel verdecken soll. Aber auch
die ganze Haltung, die das Stück innerlich dem Wienerischen
gegenüber einnimmt, ist nicht so, daß es nur ein wenig
Volksstück=Behagen mitteilen könnte. Hier kommt es jemandem
lediglich darauf an, das Wienerische zu durchschauen;
sich brünstig in Wiener Sprach' und Art zu ergehen, Deutsch¬
14 V 1379
meister=, Volkssänger= und Kavalieratmosphäre zu atmen und
dann mit dem Trotz des Ewigdraußenstehenden fanatisch zu
belehren: Glaubt's doch nicht, daß ihr's allein habt's; es ist
Wieser Mittag. Wien
erlernbar, schaut's nur... Dieser Drang nach Einfühlen
und Angleichung in Ehren — aber als Boden, aus dem was
Deutsches Volkstheater. Nach Schuitzlers „Ruf des
Nahrhaftes wachsen soll, kommt bloß ästhetische Teilnahme am
Lebens“ Felix Saltens Schauspiel „Der Gemeine“...
Wienerischen nicht in Betracht. Sie ist nichts als verkleidete
mit ungefähr gleichwertiger Betrachtung des Soldatenstandes
Theorie — unduldsame Theorie und eben nicht fruchtbarer als
und daraus resultierender Moritat — das heißt ein nicht
solche. An solchen Volksstücken also haben wir wenig Freude.
übermäßig abwechslungsreiches Repertoire bilden. Man muß
Auch dann, wenn Echtheiten einer Aufführung das Schein¬
der Zensur doch nicht auf alles hineinfallen. Sie ist aller¬
hafte mildern. Als solche Echtheit erschien uns Hedwig
dings schwer kompromittiert. Was sie an diesem leider so
Keller in der Rolle eines Wiener Mädels... In ihr ist
betrübenb harmlosen Stück auszusetzen hatte, ist schwer zu
wirklich wieder einmal Wien. Aber in diesem dünnen Näh¬
erraten. Der Gemeine..., der unterste, letzte, geschundene,
mädeltypus, die Großstadt. Die ist bei uns noch nicht oft
gequälte, der arme, gliederschwere Bursch vom Land, der
so Gestalt geworden wie in Fräulein Keller. Etwas vom
auf einmal hoffnungslos entwurzelt, mit seinem Kosser in
müden Leichtsinn nach langem Ein perrtsein, von Laden¬
der Kaserne hockt... an den denkt man, erwartet einen
schluß=Stimmung, vom Beisammensein mit vielen anderen
Aufschrei nach Menschenrechten, heißflammende Tendenz, all¬
Mädeln hängt ihr an. Das Natürliche noch nicht eutfernt;
gemein Gültiges im ergreifenden Einzelfall. Was man aber
aber das Bäuerliche. Ihre Rollen stehen nicht im Anzen¬
nicht erwartet, ist: Den Gegensatz zwischen Infanteristen und
gruber. Die klassische Plastik in der Mundart, das weit¬
Offizier in eine zufällige Liebesgeschichte verlegt zu finden;
tragende bäuerliche Organ gehen ihr ab. Stimme und Seele
gerade dorthin, wo sich Reibungspunkte zwischen Offizier
ermatten zu früh. Sie ist eben Wien. (Die Dietrich etwa
unb Mannschaft (Salten schwelgt in der seit undenklichen
Niederösterreich.) Bei uns muß man sie wunderbar ver¬
Zeiten abgeschafften kränkenden Bezeichnung des „Gemeinen“)
stehen und gern haben. Sie ist die wichtigste Gestalt der
zu allerletzt ergeben werden. Also nicht ein bißchen ehrliche
Aufführung. Die anderen durchwegs recht brav. Zu irgend
soziale Bemühung um den „Gemeinen“ ist aufgeboten; nicht
gewichtigeren Leistungen war aber keine Gelegenheit geboten.
so viel, um mit den Kenntnissen vom Soldatenleben gerade
Hübsch wirkte ein Aktschluß, zu dem eine einmarschierende
nur operettenhafte Beiläufigkeit und über den Mandelbogen¬
Bande „O du mein Oesterreich“ spielte. Das wurde mit so
Horizont hinauszukommen; nicht so viel, um, anstatt eine
hellem Jubel begrüßt, als ob sich das Publikum wohin sehnte,
alberne Eifersuchtsgeschichte frisch aus dem Schnitzler zu¬
M. M
sammenzupicken, nach etwas Lebendigem zu spüren, und, da wo es zu Hause wäre.
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nen
Oesternashs illustrirte Zeftung
Wien
Theater und Musik.
Deutsches Volkstheater. Artur Schnitzlers,
dreiaktiges Schauspiel „Der Auj des Lebens“ hat seipe
Aufersteyung gefeiert und ist trotz der geänderten Zeitläufte
ebenso wie bei der Uraufführung vor Jahren mit zwie¬
spältigen Gefühlen ausgenommen' worden, Es ist ein
sonderbares Gemisch von feiner Geistigkeit und brutalen
Knalleffekten, wie sie französischen Boulevarddramen eigen
sind. Daß jeder Akt mit einem Todesfall schließt, wäre
och nicht das Krafseste, da dies in der zwangsläusigen
Etwicklung der Handlung begründet ist. Verstimmend
wirkt erst der Schluß des letzten Aktes, in dem die
Mörderin ihres Vaters über Leben, Tod und Moral
triumphiert. Das Stück packt, aber es erwärmt nicht;
ebenso war die Darstellung mit den Herren Göß, Onno,
Werner=Kahle und Danegger und den
Damen Denera, Rosenquist und Wagner. Am
besten war Herr Werner=Kahle, der dem betrogenen
Obersten Größe und Tragik zu verleihen wußte. Herr
Götz tut des Lallens und Glucksens etwas zu viel.
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d
19. Der Ruf
es sich doch um eine tief ins Volkslebei einschneidende Insti¬
tution handelt, etwa ein bißchen tiefer zu graben. Und darin,
in diesem billigsten und lotterigsten Griff nach etwas sehr
Ernshaftem, liegt das freventlich Unwahre des theatralischen
Einfalls, das der bellende Titel verdecken soll. Aber auch
die ganze Haltung, die das Stück innerlich dem Wienerischen
gegenüber einnimmt, ist nicht so, daß es nur ein wenig
Volksstück=Behagen mitteilen könnte. Hier kommt es jemandem
lediglich darauf an, das Wienerische zu durchschauen;
sich brünstig in Wiener Sprach' und Art zu ergehen, Deutsch¬
14 V 1379
meister=, Volkssänger= und Kavalieratmosphäre zu atmen und
dann mit dem Trotz des Ewigdraußenstehenden fanatisch zu
belehren: Glaubt's doch nicht, daß ihr's allein habt's; es ist
Wieser Mittag. Wien
erlernbar, schaut's nur... Dieser Drang nach Einfühlen
und Angleichung in Ehren — aber als Boden, aus dem was
Deutsches Volkstheater. Nach Schuitzlers „Ruf des
Nahrhaftes wachsen soll, kommt bloß ästhetische Teilnahme am
Lebens“ Felix Saltens Schauspiel „Der Gemeine“...
Wienerischen nicht in Betracht. Sie ist nichts als verkleidete
mit ungefähr gleichwertiger Betrachtung des Soldatenstandes
Theorie — unduldsame Theorie und eben nicht fruchtbarer als
und daraus resultierender Moritat — das heißt ein nicht
solche. An solchen Volksstücken also haben wir wenig Freude.
übermäßig abwechslungsreiches Repertoire bilden. Man muß
Auch dann, wenn Echtheiten einer Aufführung das Schein¬
der Zensur doch nicht auf alles hineinfallen. Sie ist aller¬
hafte mildern. Als solche Echtheit erschien uns Hedwig
dings schwer kompromittiert. Was sie an diesem leider so
Keller in der Rolle eines Wiener Mädels... In ihr ist
betrübenb harmlosen Stück auszusetzen hatte, ist schwer zu
wirklich wieder einmal Wien. Aber in diesem dünnen Näh¬
erraten. Der Gemeine..., der unterste, letzte, geschundene,
mädeltypus, die Großstadt. Die ist bei uns noch nicht oft
gequälte, der arme, gliederschwere Bursch vom Land, der
so Gestalt geworden wie in Fräulein Keller. Etwas vom
auf einmal hoffnungslos entwurzelt, mit seinem Kosser in
müden Leichtsinn nach langem Ein perrtsein, von Laden¬
der Kaserne hockt... an den denkt man, erwartet einen
schluß=Stimmung, vom Beisammensein mit vielen anderen
Aufschrei nach Menschenrechten, heißflammende Tendenz, all¬
Mädeln hängt ihr an. Das Natürliche noch nicht eutfernt;
gemein Gültiges im ergreifenden Einzelfall. Was man aber
aber das Bäuerliche. Ihre Rollen stehen nicht im Anzen¬
nicht erwartet, ist: Den Gegensatz zwischen Infanteristen und
gruber. Die klassische Plastik in der Mundart, das weit¬
Offizier in eine zufällige Liebesgeschichte verlegt zu finden;
tragende bäuerliche Organ gehen ihr ab. Stimme und Seele
gerade dorthin, wo sich Reibungspunkte zwischen Offizier
ermatten zu früh. Sie ist eben Wien. (Die Dietrich etwa
unb Mannschaft (Salten schwelgt in der seit undenklichen
Niederösterreich.) Bei uns muß man sie wunderbar ver¬
Zeiten abgeschafften kränkenden Bezeichnung des „Gemeinen“)
stehen und gern haben. Sie ist die wichtigste Gestalt der
zu allerletzt ergeben werden. Also nicht ein bißchen ehrliche
Aufführung. Die anderen durchwegs recht brav. Zu irgend
soziale Bemühung um den „Gemeinen“ ist aufgeboten; nicht
gewichtigeren Leistungen war aber keine Gelegenheit geboten.
so viel, um mit den Kenntnissen vom Soldatenleben gerade
Hübsch wirkte ein Aktschluß, zu dem eine einmarschierende
nur operettenhafte Beiläufigkeit und über den Mandelbogen¬
Bande „O du mein Oesterreich“ spielte. Das wurde mit so
Horizont hinauszukommen; nicht so viel, um, anstatt eine
hellem Jubel begrüßt, als ob sich das Publikum wohin sehnte,
alberne Eifersuchtsgeschichte frisch aus dem Schnitzler zu¬
M. M
sammenzupicken, nach etwas Lebendigem zu spüren, und, da wo es zu Hause wäre.
STN2
nen
Oesternashs illustrirte Zeftung
Wien
Theater und Musik.
Deutsches Volkstheater. Artur Schnitzlers,
dreiaktiges Schauspiel „Der Auj des Lebens“ hat seipe
Aufersteyung gefeiert und ist trotz der geänderten Zeitläufte
ebenso wie bei der Uraufführung vor Jahren mit zwie¬
spältigen Gefühlen ausgenommen' worden, Es ist ein
sonderbares Gemisch von feiner Geistigkeit und brutalen
Knalleffekten, wie sie französischen Boulevarddramen eigen
sind. Daß jeder Akt mit einem Todesfall schließt, wäre
och nicht das Krafseste, da dies in der zwangsläusigen
Etwicklung der Handlung begründet ist. Verstimmend
wirkt erst der Schluß des letzten Aktes, in dem die
Mörderin ihres Vaters über Leben, Tod und Moral
triumphiert. Das Stück packt, aber es erwärmt nicht;
ebenso war die Darstellung mit den Herren Göß, Onno,
Werner=Kahle und Danegger und den
Damen Denera, Rosenquist und Wagner. Am
besten war Herr Werner=Kahle, der dem betrogenen
Obersten Größe und Tragik zu verleihen wußte. Herr
Götz tut des Lallens und Glucksens etwas zu viel.