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Leb
19. Der Ruf des ens
Wiener Saionblatt
1414
7
2½ 7
SCHONE KUNSTE.
Die Theaterwoche.
SchnitzlersRusdes Lebense wurde nach län¬
gerer Pause im Deutschen Volkstheater neu in
Szene gesetzt. Wenn, wie der Urvater der Dramatiker sagt,
das Theater ein Spiegel seiner Zeit sein müsse, so erfüllt
dieses Schauspiel in gewissem Sinne sicherlich seine Auf¬
gabe, denn es steht, trotz seiner Bedeutung an sich, den
Unerquicklichkeiten der uns umringenden Gegenwart kei¬
neswegs nach. Die Vorgänge auf der Bühne sind durch¬
wegs unerfreulich, der Dialog meistens quälend. Die Dar¬
stellung der teilweise undankbaren Rollen war auch nicht
ganz auf der Höhe. Frl. Denera bemühte sich sichtlich um
ihre Marie, versagte aber oft, da man sie, wenn sie nicht
gerade im Affekt sprach, kaum hörte. Herr Götz als Vater
Moser ungemein echt, Frau Thaller als unglückliche Mutter
das verkörperte Leid. Die rührendste Gestalt, die der
Dichter besonders liebevoll bedacht, ist die schwindsüch¬
tige Katharina, dlie, den Todeskeim in sich, unaufhaltsam
noch mit dem letzten Aufgebot ihrer Kraft dem Ruf des
Lebens folgt. Frl. Rosenquist konnte ihr hübsches Talent,
zur vollen Geltung bringen. Erika Wagner, sowie die Herren
Werner-Kahle, Danegger und Onno boten gute Leistungef;
tratzdem schien man eigentlich nicht ergriffen.
ndn
RIL
AiaWinn Kunei We
S
Theater und Kunst.
(Denisches Volkstheater.) Artur Schnitzlers „Ru##
des Lebens“ ist eines von den bretternen Schauspiklelt, die schein¬
bar mehr auf Theater als auf Dichtung hin gearbeitet sind.
Aber der Plan lag, wie bei Schnitzler immer vorauszusetzen,
umgekehrt. Das Dichterische tritt jedoch vor dem äußeren Esselt
zurück, und so ergibt sich ein Zwiespalt, über den man nie hin¬
wegkommt, so oft auch dieses Stück nach Jahren wiederkehrt. Es
sind ein paar unendlich liebenswerte Szeuen darin, von einem
prachtvollen Gefühl durchströmt, ein paar Schnitzlerische Geistig¬
keiten, denen man sich nicht eutziehen kann, und daneben wiederumt
Stellen und Auswirkungen, die plötzlich nur eine ehohle
französische Salondramatik eröffnen. Am geschlossensten erscheint
noch immer der erste Akt, in dem sich die starke Handlung vor¬
bereitet: der ungestillte Lebens- und Liebeshunger des jun
Mädchens, dus sich nach einem verruchten Glück sehnt und
Hindernis ür die Freiheit des Willeus, den Vater, aus dem
Wege räumt, um sich dem Geliebten an den Hals zu werfen;
dann: der Auslitt der blauen Kürassiere, des Regiments, das
geschworen hat, in den Tod zu gehen, um die Schmach einst¬
maliger Feigheit zu fühnen. Auch die Verknüpfung der Gescheh¬
nisse ist schicksafmäßig. Hier der eigensüchtige Vater, der an
jenem seinerzeitigen Ausreißen der Kürassiere die Schuld trägt, dort
der Oberst des Regiments, der die späte Sühne nur deshalb pro¬
klamiert, um den jungen Offizier zu vernichten, der ihm seine
Frau genommen hat; weiter: das junge Mädchen, das gerade
diesem Offizier sich hingeben will, der nie an sie gedacht hat.
Und hier erst bricht das Schauspiel entzwei, gerät ins Bretteine,
wo es dichierisch, und wird dort wiederum dichterisch, wo es viel¬
leicht nur im Theatermäßigen Wurzel schlagen könnie Die Halbheit
ist nicht zu unterdrücken, eine Komödie der Worte wird offen¬
kundig, aber zuweilen springt bei dieser Wiederaufführung irgend¬
eine Beziehung zur Jetztzeit heraus. Das ist das Neue daran.
Man soll Darstellungen nicht miteinander vergleichen. Aber das
hieße, sie nicht sehen wollen, wo stärkere Einheiten am Werke
waren. In der gestrigen Wiedergabe des Schauspiels ragte Onno
hervor, der als Leutuant Max zum erstenmal nach langer Zeit
eine restlose schauspielerische Leistung vollbrachte, und Frau
Wagner als Irene in der kurzen Leidenschaftsszeue, die
sonst immer gleich in Operntragik auszuarten droht, von
gesammeiter Kraft. Weniger gut bestellt war es um die Marie
n
8
W
des Fräuleins Denera. Sie hat für das von ihrer Erotik
und Sehnsucht getriebene Mädchen zu viel Sprödigkeit und Wort
wie Gefühl geraten zu kunz. Auch der Obeist des Herrn
[Werner=Kallay entbehrt aller eindringlichen Größe und
bleibt eine maschinelle Theaterpuppe. Dem Publikum gefiel alles,
Werk sowohl wie Darsteller, und Beifallsstürme durchbrausten
98—
##
das Haus.
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19. Der Ruf des ens
Wiener Saionblatt
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SCHONE KUNSTE.
Die Theaterwoche.
SchnitzlersRusdes Lebense wurde nach län¬
gerer Pause im Deutschen Volkstheater neu in
Szene gesetzt. Wenn, wie der Urvater der Dramatiker sagt,
das Theater ein Spiegel seiner Zeit sein müsse, so erfüllt
dieses Schauspiel in gewissem Sinne sicherlich seine Auf¬
gabe, denn es steht, trotz seiner Bedeutung an sich, den
Unerquicklichkeiten der uns umringenden Gegenwart kei¬
neswegs nach. Die Vorgänge auf der Bühne sind durch¬
wegs unerfreulich, der Dialog meistens quälend. Die Dar¬
stellung der teilweise undankbaren Rollen war auch nicht
ganz auf der Höhe. Frl. Denera bemühte sich sichtlich um
ihre Marie, versagte aber oft, da man sie, wenn sie nicht
gerade im Affekt sprach, kaum hörte. Herr Götz als Vater
Moser ungemein echt, Frau Thaller als unglückliche Mutter
das verkörperte Leid. Die rührendste Gestalt, die der
Dichter besonders liebevoll bedacht, ist die schwindsüch¬
tige Katharina, dlie, den Todeskeim in sich, unaufhaltsam
noch mit dem letzten Aufgebot ihrer Kraft dem Ruf des
Lebens folgt. Frl. Rosenquist konnte ihr hübsches Talent,
zur vollen Geltung bringen. Erika Wagner, sowie die Herren
Werner-Kahle, Danegger und Onno boten gute Leistungef;
tratzdem schien man eigentlich nicht ergriffen.
ndn
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AiaWinn Kunei We
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Theater und Kunst.
(Denisches Volkstheater.) Artur Schnitzlers „Ru##
des Lebens“ ist eines von den bretternen Schauspiklelt, die schein¬
bar mehr auf Theater als auf Dichtung hin gearbeitet sind.
Aber der Plan lag, wie bei Schnitzler immer vorauszusetzen,
umgekehrt. Das Dichterische tritt jedoch vor dem äußeren Esselt
zurück, und so ergibt sich ein Zwiespalt, über den man nie hin¬
wegkommt, so oft auch dieses Stück nach Jahren wiederkehrt. Es
sind ein paar unendlich liebenswerte Szeuen darin, von einem
prachtvollen Gefühl durchströmt, ein paar Schnitzlerische Geistig¬
keiten, denen man sich nicht eutziehen kann, und daneben wiederumt
Stellen und Auswirkungen, die plötzlich nur eine ehohle
französische Salondramatik eröffnen. Am geschlossensten erscheint
noch immer der erste Akt, in dem sich die starke Handlung vor¬
bereitet: der ungestillte Lebens- und Liebeshunger des jun
Mädchens, dus sich nach einem verruchten Glück sehnt und
Hindernis ür die Freiheit des Willeus, den Vater, aus dem
Wege räumt, um sich dem Geliebten an den Hals zu werfen;
dann: der Auslitt der blauen Kürassiere, des Regiments, das
geschworen hat, in den Tod zu gehen, um die Schmach einst¬
maliger Feigheit zu fühnen. Auch die Verknüpfung der Gescheh¬
nisse ist schicksafmäßig. Hier der eigensüchtige Vater, der an
jenem seinerzeitigen Ausreißen der Kürassiere die Schuld trägt, dort
der Oberst des Regiments, der die späte Sühne nur deshalb pro¬
klamiert, um den jungen Offizier zu vernichten, der ihm seine
Frau genommen hat; weiter: das junge Mädchen, das gerade
diesem Offizier sich hingeben will, der nie an sie gedacht hat.
Und hier erst bricht das Schauspiel entzwei, gerät ins Bretteine,
wo es dichierisch, und wird dort wiederum dichterisch, wo es viel¬
leicht nur im Theatermäßigen Wurzel schlagen könnie Die Halbheit
ist nicht zu unterdrücken, eine Komödie der Worte wird offen¬
kundig, aber zuweilen springt bei dieser Wiederaufführung irgend¬
eine Beziehung zur Jetztzeit heraus. Das ist das Neue daran.
Man soll Darstellungen nicht miteinander vergleichen. Aber das
hieße, sie nicht sehen wollen, wo stärkere Einheiten am Werke
waren. In der gestrigen Wiedergabe des Schauspiels ragte Onno
hervor, der als Leutuant Max zum erstenmal nach langer Zeit
eine restlose schauspielerische Leistung vollbrachte, und Frau
Wagner als Irene in der kurzen Leidenschaftsszeue, die
sonst immer gleich in Operntragik auszuarten droht, von
gesammeiter Kraft. Weniger gut bestellt war es um die Marie
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des Fräuleins Denera. Sie hat für das von ihrer Erotik
und Sehnsucht getriebene Mädchen zu viel Sprödigkeit und Wort
wie Gefühl geraten zu kunz. Auch der Obeist des Herrn
[Werner=Kallay entbehrt aller eindringlichen Größe und
bleibt eine maschinelle Theaterpuppe. Dem Publikum gefiel alles,
Werk sowohl wie Darsteller, und Beifallsstürme durchbrausten
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das Haus.