II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 517

box 24/5
de
19. Der Ruf .s Lebens
7 Uhr abends im Marieninstikute wiederyolt.
reiten, streut ihm Morphium das genügt hätte, für hunder
Nächte Schlaf zu bringen, auf einmal ins Wasserglas; als der
Alte tot hinstürzt nimmt sie den zu Boden fallenden Schlüssel,
hüllt ihr Halstuch um und eilt zum Leutnant Max.
Und was taten die Offiziere in der letzten Nacht vor dem sicheren
Tod? Der Oberst muß noch schnell seine untreue Frau erschießen,
Leutnant Max verbrennt kompromittierende Briefe von der Frau
Der Ruf des Lebens.
des Oberst hat er schon Abschied genommen, da eilt diese in sein
Schauspiel von Artur Schuitlen
Zimmer, will mit ihm ins Ausland fliehen; der Oberst, der sie
Eine dumpfe Krankenstube. Der Vater, ein 79jähriger ver¬
belauerte, schießt, wie erwähnt, die Ungetreue nieder. Marie wird
bitterter Mann, fesselt mit tyrannischem Zwange die junge,
unterdessen hinter der Gardine verborgen, fällt Max nun um den
schöne Marie an seinen Krankenstuhl. Selbst wenn das Mädel
Hals, der mit ihr von der blutenden Leiche der geliebten Frau
in die Küche geht, muß die Tür offen bleiben, daß er
wegeilt, die letzten Stunden noch gedanken= und gewissenlos mit
sieht der Vater, dem die Angst einredet, Marie würde ihm
einer Liebeli zu verbringen; denn Liebe ist es nicht, da er sich
durchgehen. Dabei hört sie kein liebes Wort. Immer nur
am nächsten Morgen für die Frau des Oberst erschießt. Und die
bissige Vorwürse, höhnische Ausfälle. Ein einzigesmal war sie
Folgerungen, die Schnitzler zieht? Verurteilt er den Oberst, der
auf einem Offiziersball, und an dieser Erinnerung zehrt sie.
die Heldenpose seines Regiments herbeigeführt, um sich persönliche
Der Leutnant Max, an dessen Arm sie durch den lichten Saal
Genugtnung für die Untreue seiner Frau zu verschaffen? Verurteilt
er Leutnant Max? Verurteilt er die durchs Schauspiel geisternde
geschvebt, erfüllt ihr Herz und Seelé Sie sah ihn nie mehr,
Katharine, eine Base Mariens, deren zwei Schwestern schon an
da der Vater sie ja nie von sich läßt. Und jetzt (ziehen die
Tuberkulose gestorben, die, ebenfalls TBC, den Rest des Lebens
Soldaten hinaus in den Krieg. Maxens Reqiment trabt unten
genießen will, zur mannstollen Dirne wird und im Schluß#lt an
durch die Straße. Lautlos, ohne Zuruf der Menge. Denn
Delirien und Schwindsucht stirbt? Verurteilt er die Vatermörderin
es ist ein totgeweihtes Regiment. Vor 30 Jahren hat es die
Marie? Der Hausarzt sagt uns seine Auffassung. Er stellt sich
Fahnenehre befleckt, durch feige Flucht den verlorenen Krieg
jenseits von Gut und Böse. Was ist Sünde? „Worte! Ihnen scheint
verschuldet. Nun, da wieder Krieg, beschlossen die Offiziere,
die Sonne noch, und mir und den spielenden Kindern auf der
die Schuld zu fühnen, erbaten vom Kaiser die Gnade, an die
Wiese. Der da (— der gestorbenen Katharie) nicht mehr. Ich weiß
gefährlichste Stelle gesandt zu werden, von der keiner mehr
nichts anderes auf Erden, das gewiß wäre.“ Also brutalster Mate¬
lebend zurückkommt. (1866, bei Königgrätz, soll sich ein ähn¬
ralismus und Egoismus. Und der Ruf des Lebens? Er klang nicht
liches Ereignis abgespielt haben.) Schon damals, 1906, werden
so sehr in jener Nacht, „da es Sie aus verstörter Jugend nach
bei Schnitzler Worte gesprochen, die heute, beim Zusammen¬
dunklen Abenteuern lockte, die Ihnen heute noch als Ihres Daseins
bruch des Militarismus, treibende Kräfte geworden. Was ist
letzter Sinn erscheinen. Und wer weiß, ob Ihnen nicht spät, viel
diese eingelöste Standes= und Fahnenehre? Warum sollen tau¬
später einmal, an einem Tage wie der heutige, der Ruf des Le¬
keinen
sende junger Leute für eine Schuld büßen, an der si
bens viel reiner und tiefer in die Seele klingen wird, als aus
Teil haben? Und einer lebt noch Der alte kranke Vater.
jenen anderen, an dem Sie Dinge erlebt haben, die so furchtbare
Der Rittmeister Moser. Und gerade er war es der damals
und glühende Namen tragen, wie Mord und Liebe.“
auf verlorenem Posten mehr den Ruf des Lebens als die
Das Publikum, besonders die Jugend, die noch nicht in bla¬
Stimme der Pflicht beachtete. „In diesem Augenblick wußt'
siertem Materalismus alle Ideale weggeworfen hat, die sich trotz
ich mit einem Mal, daß sie uns all das, was uns auf
des verlorenen Krieges noch an die großen Augenblicke erinnert,
den Fleck gebannt hielt hundert Ewigkeiten lang, nur vor¬
in den uns Ehre und Vaterland, Nation und Heimat mehr war,
zu haben !. 363, um uns sicher
lügen
als ein Diskustionsfall für dramatische Dialoge moderner Literatur¬
Wer lohnt mir's? Wer dankt mir's?“ (— ins
juden, die Jugend, die selber hinausging, dem sicheren Tode ent¬
Hebrätsche übersetzt, und so ist es auch gedacht und wurde im
gegen, in der Größe der Stunden des Abschiedes von Heimat, Eltern,
Kriege von den Hebrcern praktisch ausgeführt: Was doof ich
mir bafür? —). Diabosische Freude erfüllt den alten Ritt= Frau oder Braut, Geschwistern und Freunden, andere, edlere Emp¬
findungen hatte, als Leutnant Max, die Jugend die nicht ver¬
meister, daß er. dessen Feighelt damals die Niederlage ver¬
schuldete, am Leben bleibt, während all die vielen jungen, wechselt werden will mit jenen Dirnen, die den Etappenoffizieren
nachrannten, und wie Marie oder Katharina dem „Ruf des
schufdosen, gesunden Männer in den sicheren Dod reiten. Er
soll seinen Triumph nicht lange genießen. Marie die Tochter, bens“ zu folgen, sie protestierte durch Ablehnung, ja teilweises
die er eben wieder bei sich einsperrt, nicht einmal zum Fenster! Zischen gegen die sonderbare Weltanschauung und Lebens##
auf die Straße hinuntersehon läßt, als die Kürasstere vorbei dieles Schauspieles.
Die Aufführung löste geteilte Gefühle aus. Stürmischen Beifall
erhielten und verdienten die Marie Frau Lantner=Weisers,
der alte Moser v. Pindos, die dramatisch am besten g
zeichneten Figuren des Stückes. Olden als berufener Schnitzler¬
Spieler hätte den Leutnant Max bekommen müssen. Sein an¬
Grnner Volksblatt, GN
SOkTigS
gegrauter Oberst im weißen Reitermantel wirkte als Bild, aber
Abendblatt
nicht als Spiel. Da hätte eine mächtigere Statur wie die
Orels nachhelen müssen. Frau Imle holte schauspielerisch aus
der schwindsüchtigen Opheliarolle Katharinas, was herauszu¬
holen war. Andersen, Otto, Hofbauer, Kainz, Frau
Godek, Frl. Dürr, trugen, was sie konnten zur Ver¬
lebendigung dieses Novellenschauspieles bei.