II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 518

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19. Der des ebens
Käre unser Schauspielhaus der rechte Rahmen.
(Der Ruf des Lebens.) Kino im Schmitzler=Dialog. Bei
zwei so unvereinbaren Dingen muß mindestens eines leiden.
In der Tat kommen beide zu kurz. Das Kino, das die derbe

Technik eines Philippi verlangen würde, und Schnitzlers geist¬
reicher Dialog, der von der Fülle der Kolportagemotive erschlagens 2
wird. Gistmord, Pistolenschuß, Vatermord, Rache an der un¬—
treuen Frau, Selbstmord des Betrügers, freiwilliger Massenmord= ##
eines Kürassierregimentes, um die vor 30 Jahren befleckten
Fahnenehre reinzuwaschen, heiße Liebesnacht vor dem Aus—
marsch, sie direkt von der Leiche des Vaters, er von der Bahre—
der erschossenen Frau weg, die aus Liebeshunger zur Diva S##
geworden. Tuberkulose, in der Schwindsucht und Geistesver¬
wirrung einen seltsamen Reigen tanzen, das alles huscht in ##
abgerissenen Bildern an uns vorüber. Der sicher gestaltenden,
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packenden Kunst Frau Lauter=Weisers gelingt es, das
Publikum zu starkem Beifall mitzureißen, aber die Schwächen
des Schauspieles machen sich doch geltend und fordern das
Publikum im dritten Akte zu entschiedenem Widerspruch. Außer
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dem alten, widerlichen Vater, dem eigentlichen Urheber jener
Regimentsschande, der mit vamphrartiger Tyrannei die Toch¬
ter an sein Krankenlager fesselt (Pindo spielt ihn mit scharf
markiertem Erfassen) wirkten alle anderen wie schemenhafe
Exisodenfiguren, da ihnen der Dichter zu wenig dramatisches
Eigenleben gab. Andersen, Olden, Otto, die Damen
Dürr, Imle, Godeck seien noch besonders hervorge¬
hoben.
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Arbeiterwille
Akt Gelegenheit zu siegreicher Entfaltung gegeben
war. Den ewig geplagten Cosme verkörperte Herr
Sterneck mit viel Geschick. Herr Fuchs als liebens¬
würdiger Don Juan und Herr Rous als lebens¬
lustiger Loujs ergänzten die gute Rollenbesetzung
Schließlich sei noch der trefflichen Spiellejtung Di¬
rektor Grevenbergs, der gut gebrachten Damenchöre
und des launigen Orchesters gebacht, das unter
Seitz' Leitung die Linje nie verlor und den musika¬
lischen Inhalt des Werkes erschöpfend zutage
brachte, ob es nun motjvisch zu charakterisieren, in
großen Gedanken Liebe und Leben zu besingen
(Intermezzo des zweiten Aufzuges), in Walzer¬
rhythmen zu schweben oder über tote Punkte hin¬
wegzuführen galt. Das ausverkaufte Haus war an¬
fangs mit Beifallskandgebungen zurückhaltend, zum
Schlusse aber wurden Darsteller, Spiellejter und
Dirigent zu vielfach wjederholten Malen vor die
Rampe gerusen.
Schauspielhaus. „Der Ruf des Lebens.“ Bange
Stimmung, die an Katastrophen mahnt, herrscht, wenn
Schnitzlers Spiel beginnt, in dem der Menschen
Schllsucht nach dem Leben zieht. Des Lebens Ruf
hören diese passiven Menschen, die sich treiben lassen
und nur dann handeln, wenn urdunkles Aufrauschen! 2
des Blutes und drängende Umstände sie zum Handelns a
zwingen. So tötet Maria, die ihrer Jugend Tagesd
ihrem ans Krankenbett gefesselten Vater opfern muß,
ihren Vampir, um dem winkenden Leben zu folgen
für eine Nacht. Für sie heißt es Max. Der, ein
Leutnant, ist wie die anderen blauen Küraffiere dem
Tode verschuldet; denn diese müssen, um das Phantom
„Regimentsehre“ zu retten, die Blauen flohen vor
Jahren in einer Schlacht, als einer der ersten floh
Marias Vater — in den kommenden Kämpfen zu¬
grunde gehen. Er, voll der Ehre, betrog seinen Oberst
mit dessen Frau, zur Rede gestellt, belügt er diesen; &
doch der Oberst überrascht beide, erschießt sie undje
zwingt den Leutnant, sich zu erschießen; Marja, die
hinter der Türe die ganze Szene miterleben mußte,
fällt dem Leutnant in die Arme. Das Leben rief si
alle: Maria, die hungrige Frau Oberst; Marjas
Vater, als er das Phantom „Ehre, Vaierland“ vo
dem entscheidenden Kampse zerfließen sah; Marjasik
Base, von Todesahnung gehetzt, das Leben als Rausch
erlebend. An niemandem verhallt des Lebens Ruf,
der schließlich ein banges Staunen und Fragen aus¬
löst, während Kinder das Spiel „Leben“ erleben.
Drei lose Akte, deren Zusammenhang die Zentral¬
figur Maria herstellt. Der erste und zweite Akt,
bühnenwirksamste Einakter, wenn die Situationen
auch allzu künstlich, allzu theatralisch erscheinen. Was
auch in diesem Stücke den Dichter Schnitzter ahnen
läßt, ist das Bangen und die wilde Sehnsucht nach
dem Leben da draußen.
In der Aufführung (Spielleitung: Orell)
betonte das nur Österreichische der Dichtung
wenig — überraschte Herr Pindo als Marias Vater:
verfallenes, doch gieriges Antlitz; vampirhaft, immer
in der Furcht, seine Tochter an das Leben zu ver¬
lieren; die Sterbeszene vielleicht zu realistisch. Frau
Weisers Marja war angenehm gedämpft und müde,
so des Lebens müde, daß ihr Aufschrei zum Leben
widernatürlich klang. Herrn Oldens Oberst avan¬
cierte zum „Gardeoffizier“ in Dur. Irene, seine
Frau, sollte jung, schön und gefräßig sein, Fräulein
Dürr aber —. Andersens Max bestach durch sein
hübiches Aussehen. Frau Imles Katharina: das ins
Leben treibende, nach Erleben hungernde Kind. Dig
Herren Hofbauer, Otto und Kainz blieben mehr oder
minder farblos.
Zischen und demonstrativer Bejfall galten dem
uden Schnitzler; darüber wurde der Mensch
K.
vergessen.
richten aus Steiermark.