II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 558

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gießt ihr Herz, in dem nichts drin ist, und freut sich ihres Lebens,
das nicht vorhanden. Auf der Bühne geht es satt und behag¬
lich zu, aber dem Zuhörer legt sich der Moderduft abgestorbener
Vergnüglichkeit schwer auf die Lunge. Und das ganze gequält¬
neckische Hin und Her des verrunzelten Lustspiels wirkt auf ihn
so peinlich wie matronaler Bauchtanz.
*
„Der Ruf des Lebens', ein Schauspiel von Arthur Schnitzler,
ist in dem Jahrzehnt, seit man es zum ersten Mäl gesehen,
poetisch recht sehr abgemagert. Unter der schlaff gewordenen
dichterischen Polsterung zeichnet sich das theatralische Skelett mit
erschreckender Schärfe ab. Der Aufwand an Tod und Mord
hat was nestroyisch Splendides. Schwindsucht, Ehre, Melan¬
cholie, Liebe, Gift und Revolver, Zapfenstreich und Blüten im
Haar: es wird üppig gewirtschaftet in diesem bürgerlichen
Trauerspiel. Larmoyantes versteckt sich hinter Brutalitäten,
Theatereffekt hinter Wortgezärtel, das heutigen Ohren so dünn
und schnörkelig klingt, als käm' es aus einer alten Spieldose.
Und was ist das Produkt solcher Paarung von Kraft und Milde?
Stimmung! Traurige, schöne, genußreich=wehmütige Stim¬
mung. Bei Schnitzler duften die Friedhöfe, und der Ruf des
Lebens hat Viola=Timbre.
*
„Szenen aus einem Schicksal“ nennt Walter Eidlitz sein
Hölderlin=Spiel. Es sind ein paar flüchtig konturierte Bilder
aus dem Leben des schwermütigen Ekstatikers, mit fingerdick
aufgelegter lyrischer Farbe. Sozusagen: ein Erdenwandel¬
diorama. Der Held bleibt stehen, sein Passionsweg rollt unter
ihm ab. (Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit!)
Der hellenischste Deutsche, wie ihn das Stück zeigt, ist zur
Hälfte ganz melancholisch, zur Hälfte ganz schwärmerisch. Zwi¬
schenfarben fehlen seiner Gemüts=Dreß. Daß er ein Dichter,
wird zwingend, wird unkeusch offenbar: sein Atem schlägt an
der atmosphärischen Luft augenblicklich in Versen oder zumindest
in halbsteifer Prosa nieder. Tatsachen seines äußern und Hyper¬
sinnliches seines innern Lebens fließen zu einem sonderbaren
Brackwasser ineinander, über dessen peinlicher dramatischer Un¬
bewegtheit ein Nebel von Visionen dampft. Geistiges Fieber¬
klima herrscht. Aus lyrischen Hitzen wirft es diesen Hölderlin
in frostigste Abstraktionen; und retour. Er spricht Sänge, er
redet Geschriebenes; des öftern, erfreulicherweise, von ihm selbst
Gesungenes und Geschriebenes. Edler Rauch von Worten —
die Linie der Erscheinungen verwischend — füllt die Bühne.
Denkt, das Spiel hieße nicht „Hölderlin', sondern X 2, die ganze
Stimmungs=Hilfe der dem großen Namen assoziierten Begriffe
wäre ausgeschaltet, die ganzen Gefühls=Zuschüsse aus dem Hinter¬
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