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19. Der Rufs Lebens
land des Literatur=Bewußtseins fielen weg: wie unerträglich
dann der Schwall und Schwulst! Dennoch, trotz der Muskel¬
schwäche dieser Szenen, trotz ihrer Unerlöstheit aus der lyrischen
Zweidimension, trotz des Geruchs vieler Küchen, der an ihnen
haftet, trotz der naiven Süße ihrer Bitterkeiten: es steht ein
Schimmer dichterischen Glanzes über der jungen Arbeit; nicht
Hölderlinscher, sondern Eidlitzscher Herkunft. Stärker als die
Anziehungskraft der Theatererde wirkte auf das Werden dieses
Un=Dramas die Anziehungskraft des Geistes. An diesem Mi߬
verhältnis ging es zugrunde. Aber das ist ein hoffnungsvoller
Tod, aus dem es Auferstehungen gibt.
Herr Onno ist Hölderlin. Da kann das Pathos seines Her¬
zens ausströmen, überströmen. Da darf er in Deklamationen
einer schönen Seele zitternd schwelgen. Mit den ersten Worten
erspricht er sich den geistigen Kredit, dessen der Darsteller eines
Genies nicht entbehren kann. Man glaubt ihm die Person
und die Persönlichkeit. Sehr schön die leidenschaftliche Klage:
Gott hat kein Herz. Sehr fein, mehr als das: groß die Ge¬
bärde, mit der er, zum Schluß, seine Augen deckt, wegwischend
die üble Welt. Ich liebe diesen Schauspieler, der, ohne Kothurn,
immer eine Spanne über der Gemeinheit des Theaters schwebt.
Frau von Wagner spricht die Diotima, das Land der Griechen
mit der Seele suchend und es mit dem Antlitz findend.
Eine gut gemeinte „Räuber'=Aufführung der Neuen Wiener
Bühne zeigte Herrn Moissi als Franz Moor, der auf seine Art,
aus einem andern Winkel her, doch auch, gleich dem Bruder, für
die Freiheit, gegen das Sittengesetz und eine zuinnerst verlogene
göttlich=menschliche Ordnung protestiert. Moissi glückt, seinem
ganzen artistischen Wesen naturgemäß, besonders die Glätte des
Schurken. Die entfesselte Satanerei weniger. In den Augen¬
blicken, in denen das Ur=Böse wild vorbricht, in denen der
Schwarz=Albe sich in seiner Schwärze spiegelt, wird er sonder¬
bar schwach. Sehr fein die Meditationen, die Zwiesprache mit
dem Dämon, die Wort werdende kühle Verstandesarbeit. Ein
Zusatz von Koketterie stört nicht weiter. Moissis Figuren sind
nun einmal mit Seide gefüttert. Man hört sie rascheln. Die
Zuhörer waren mißgelannt. Es schien fast, als ob gegen den
Künstler wegen seiner politischen Ansichten Verstimmung
herrsche. Man nimmt es ihm, heißt es, übel, daß er leiden¬
schaftlicher deutscher Krieger gewesen und jetzt leidenschaftlicher
Revolutionär sei. Aber zweitens wäre das nur eine Wandlung
in melius, drittens geht die politische Meinung des Schauspielers
den Zuschauer einen Schmarrn an, und erstens wäre es mehr
als dumm, Mimen, Volk und Literaten die wollüstige Hingabe
an ein Pathos zum Vorwurf zu machen; indem doch eben dies
ein Grundzug ihrer Art, ja gradezu ihres Wesens Wesen ist.
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19. Der Rufs Lebens
land des Literatur=Bewußtseins fielen weg: wie unerträglich
dann der Schwall und Schwulst! Dennoch, trotz der Muskel¬
schwäche dieser Szenen, trotz ihrer Unerlöstheit aus der lyrischen
Zweidimension, trotz des Geruchs vieler Küchen, der an ihnen
haftet, trotz der naiven Süße ihrer Bitterkeiten: es steht ein
Schimmer dichterischen Glanzes über der jungen Arbeit; nicht
Hölderlinscher, sondern Eidlitzscher Herkunft. Stärker als die
Anziehungskraft der Theatererde wirkte auf das Werden dieses
Un=Dramas die Anziehungskraft des Geistes. An diesem Mi߬
verhältnis ging es zugrunde. Aber das ist ein hoffnungsvoller
Tod, aus dem es Auferstehungen gibt.
Herr Onno ist Hölderlin. Da kann das Pathos seines Her¬
zens ausströmen, überströmen. Da darf er in Deklamationen
einer schönen Seele zitternd schwelgen. Mit den ersten Worten
erspricht er sich den geistigen Kredit, dessen der Darsteller eines
Genies nicht entbehren kann. Man glaubt ihm die Person
und die Persönlichkeit. Sehr schön die leidenschaftliche Klage:
Gott hat kein Herz. Sehr fein, mehr als das: groß die Ge¬
bärde, mit der er, zum Schluß, seine Augen deckt, wegwischend
die üble Welt. Ich liebe diesen Schauspieler, der, ohne Kothurn,
immer eine Spanne über der Gemeinheit des Theaters schwebt.
Frau von Wagner spricht die Diotima, das Land der Griechen
mit der Seele suchend und es mit dem Antlitz findend.
Eine gut gemeinte „Räuber'=Aufführung der Neuen Wiener
Bühne zeigte Herrn Moissi als Franz Moor, der auf seine Art,
aus einem andern Winkel her, doch auch, gleich dem Bruder, für
die Freiheit, gegen das Sittengesetz und eine zuinnerst verlogene
göttlich=menschliche Ordnung protestiert. Moissi glückt, seinem
ganzen artistischen Wesen naturgemäß, besonders die Glätte des
Schurken. Die entfesselte Satanerei weniger. In den Augen¬
blicken, in denen das Ur=Böse wild vorbricht, in denen der
Schwarz=Albe sich in seiner Schwärze spiegelt, wird er sonder¬
bar schwach. Sehr fein die Meditationen, die Zwiesprache mit
dem Dämon, die Wort werdende kühle Verstandesarbeit. Ein
Zusatz von Koketterie stört nicht weiter. Moissis Figuren sind
nun einmal mit Seide gefüttert. Man hört sie rascheln. Die
Zuhörer waren mißgelannt. Es schien fast, als ob gegen den
Künstler wegen seiner politischen Ansichten Verstimmung
herrsche. Man nimmt es ihm, heißt es, übel, daß er leiden¬
schaftlicher deutscher Krieger gewesen und jetzt leidenschaftlicher
Revolutionär sei. Aber zweitens wäre das nur eine Wandlung
in melius, drittens geht die politische Meinung des Schauspielers
den Zuschauer einen Schmarrn an, und erstens wäre es mehr
als dumm, Mimen, Volk und Literaten die wollüstige Hingabe
an ein Pathos zum Vorwurf zu machen; indem doch eben dies
ein Grundzug ihrer Art, ja gradezu ihres Wesens Wesen ist.