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19. Der Ruf des Lebens
SSL
Perverse Tragödien.
Es ist wirklich, als ob Spottgeburten von Dreck und
Feuek an Allem wühlten, was einst den Stolz und die
Gräße unseres Volkes, die Grundlagen unseter deutschen
Kultur ausgemacht hat. Der Sozialdemokratie gleich,
bald unser Staatswesen in heftigen Anläufen
über den Haufen zu werfen droht, bald es durch Unter¬
waschung aller sozialen Grundfesten zu zersetzen trachtet, tritt
auch auf allen geistigen Gebieten, zumal in Kunst und
Schrifttum, ein Nihilismus auf, der bald alles männlich
heldenhafte Wollen und alle edle Frauenscham verhöhnt,
bald beide durch schlüpfrige und geile Sittenlosigkeit innerlich
zu zerstören sucht. Und wie ein Teil der verantwortlichsten
Kreise mit den Umsturzbestrebungen der Sozialdemokratie
liebäugelt, jubelt ein Teil der Gesellschaft, von dem man
einen gewählten Standpunkt immerhin sollte erwarten dürfen,
der Entartungsliteratur zu ...... sie wissen nicht, was
sie tun!
Als wir im vorigen Jahre Schillers Todestag feierten,
zog es wie eine läuternde Befreiung durch unser Volk.
Aus dem Tiefendunste des Alltages sehnte es sich hinauf zu
den reinen Höhen seiner über alles Gemeine erhabenen
Persönlichkeit, um einen Hauch seines Heldensinnes zu ver¬
spüren. Selbst die Modernen konnten sich diesem Zwange
nicht entziehen. In der Lauterkeit des Schillerschen Geistes
nicht spiegeln, aber
freilich durften sie selbst sich
zu leben ver¬
da sie ohne Selbstberäucherung nicht
mögen, traten sie als die lautesten Lobredner Schillers
auf; und selbst aus ihrem Munde konnte man denn ver¬
nehmen, wie Schillers Kunst das Ergebnis schwerster innerer
itgewesen sei. Und
Erziehung der eigenen dichterischen Personlich
gnung der eigenen
auch das wurde — unter zeitweiliger V
Schillers
Nachtaffenart — laut von der Moderne
Stärke
dramatischer Tatsachensinn und sittl
seien:
ich er
aus zwei großen Wurzeln hauptsäck
aus der hohen Schicksalsanschauug der Griechen und aus
der strengen Geschichtsauffassung und dem ernsten Pflicht¬
begriffe Kants.
An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen! Werfen
wir einmal einen kurzen Blick auf die beiden
Tragödien, die jetzt den Zulauf der Berliner haben. Beide
sind sie ja im Schillerjahre geschrieben. Die eine behandelt
den größten Stoff der griechischen Welt, die andere ihren
inneren Zügen nach einen geschichtlichen Heldenstoff.
Beide sind recht verschieden; aber beide stellen die
Frage nicht nach der Seelenhöhe, sondern nach dem Ab¬
hube sinnlicher Verkommenheit. Beide versuchen, das Perverse
an Stelle des Göttlichen in der Menschenart zu setzen. Beide
sind langgeschwänzte Zerrbilder Schillerscher Muse.
Die Griechen! Wohl haben wir nach der Bekanntschaft
mit des Aristophanes vornehmem Spöttergeiste, wie nach des
Sokrates moralinsaurer und Platos künstlerisch=mythologischer
Anschauungsweise das niedere Volk der hellenischen
Städte mit anderen Augen zu betrachten gelernt, als denen
des steifleinenen Klassizismus, unter dem unsere lebensfreudige
Jugend gelitten hatte. Und als wir zu Jacques Offen¬
bachs frechen Weisen die ganze Herrlichkeit der lüder¬
malerisch gruppieren sahen,
lichen
Olympier sich
mischte sich in unsere Empörung über solche Ver¬
höhnung zwar die aus innerer Freiheit ensprungene
Freude an der genialischen Mache dieses jüdischen Schlingels;
aber seine Frivolität konnte uns nicht einen ernsten Augen¬
blick daran hindern, auch nach der Satire wieder das große
heilige Land der Griechen. mit der Seele zu suchen. Und
in diesem Lande der reinen Formen und tragischen Riesen¬
geister ragte als ehrfurchtgebietendster von allen uns Sophokles
empor; unerreichbar, wie das hinter der griechischen und —
niemals konnten wir dessen vergessen! — auch der germanischen
Götterwelt aufragende Schicksal blieb uns der ewig ge¬
heiligte Mythos von der Schuld und dem Ver¬
hängnis des Oedipus und seines Ahnengeschlechtes. Groß und
leidvoll ragt dieser Held vor uns auf als Träger seines
mit tragischen Schauern die Jahrtausende überwältigenden Schick¬
sals. Goethe sowohl wie Schiller sind in bewußter Scheu vor diesem
endgiltig als unberührbar erscheinenden Stoffe zurückgewichen.
Anders Herr Hugo Hoffmannsthal aus Wien! In seiner
jüdischen Harmlosigkeit glaubte er „rasch vom Tisch die reiche
Krone stehlen“ zu können. Wie? Nichts leichter, als dies!
Die geheiligte Tragödie des großen Attikers verzerrte er
19. Der Ruf des Lebens
SSL
Perverse Tragödien.
Es ist wirklich, als ob Spottgeburten von Dreck und
Feuek an Allem wühlten, was einst den Stolz und die
Gräße unseres Volkes, die Grundlagen unseter deutschen
Kultur ausgemacht hat. Der Sozialdemokratie gleich,
bald unser Staatswesen in heftigen Anläufen
über den Haufen zu werfen droht, bald es durch Unter¬
waschung aller sozialen Grundfesten zu zersetzen trachtet, tritt
auch auf allen geistigen Gebieten, zumal in Kunst und
Schrifttum, ein Nihilismus auf, der bald alles männlich
heldenhafte Wollen und alle edle Frauenscham verhöhnt,
bald beide durch schlüpfrige und geile Sittenlosigkeit innerlich
zu zerstören sucht. Und wie ein Teil der verantwortlichsten
Kreise mit den Umsturzbestrebungen der Sozialdemokratie
liebäugelt, jubelt ein Teil der Gesellschaft, von dem man
einen gewählten Standpunkt immerhin sollte erwarten dürfen,
der Entartungsliteratur zu ...... sie wissen nicht, was
sie tun!
Als wir im vorigen Jahre Schillers Todestag feierten,
zog es wie eine läuternde Befreiung durch unser Volk.
Aus dem Tiefendunste des Alltages sehnte es sich hinauf zu
den reinen Höhen seiner über alles Gemeine erhabenen
Persönlichkeit, um einen Hauch seines Heldensinnes zu ver¬
spüren. Selbst die Modernen konnten sich diesem Zwange
nicht entziehen. In der Lauterkeit des Schillerschen Geistes
nicht spiegeln, aber
freilich durften sie selbst sich
zu leben ver¬
da sie ohne Selbstberäucherung nicht
mögen, traten sie als die lautesten Lobredner Schillers
auf; und selbst aus ihrem Munde konnte man denn ver¬
nehmen, wie Schillers Kunst das Ergebnis schwerster innerer
itgewesen sei. Und
Erziehung der eigenen dichterischen Personlich
gnung der eigenen
auch das wurde — unter zeitweiliger V
Schillers
Nachtaffenart — laut von der Moderne
Stärke
dramatischer Tatsachensinn und sittl
seien:
ich er
aus zwei großen Wurzeln hauptsäck
aus der hohen Schicksalsanschauug der Griechen und aus
der strengen Geschichtsauffassung und dem ernsten Pflicht¬
begriffe Kants.
An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen! Werfen
wir einmal einen kurzen Blick auf die beiden
Tragödien, die jetzt den Zulauf der Berliner haben. Beide
sind sie ja im Schillerjahre geschrieben. Die eine behandelt
den größten Stoff der griechischen Welt, die andere ihren
inneren Zügen nach einen geschichtlichen Heldenstoff.
Beide sind recht verschieden; aber beide stellen die
Frage nicht nach der Seelenhöhe, sondern nach dem Ab¬
hube sinnlicher Verkommenheit. Beide versuchen, das Perverse
an Stelle des Göttlichen in der Menschenart zu setzen. Beide
sind langgeschwänzte Zerrbilder Schillerscher Muse.
Die Griechen! Wohl haben wir nach der Bekanntschaft
mit des Aristophanes vornehmem Spöttergeiste, wie nach des
Sokrates moralinsaurer und Platos künstlerisch=mythologischer
Anschauungsweise das niedere Volk der hellenischen
Städte mit anderen Augen zu betrachten gelernt, als denen
des steifleinenen Klassizismus, unter dem unsere lebensfreudige
Jugend gelitten hatte. Und als wir zu Jacques Offen¬
bachs frechen Weisen die ganze Herrlichkeit der lüder¬
malerisch gruppieren sahen,
lichen
Olympier sich
mischte sich in unsere Empörung über solche Ver¬
höhnung zwar die aus innerer Freiheit ensprungene
Freude an der genialischen Mache dieses jüdischen Schlingels;
aber seine Frivolität konnte uns nicht einen ernsten Augen¬
blick daran hindern, auch nach der Satire wieder das große
heilige Land der Griechen. mit der Seele zu suchen. Und
in diesem Lande der reinen Formen und tragischen Riesen¬
geister ragte als ehrfurchtgebietendster von allen uns Sophokles
empor; unerreichbar, wie das hinter der griechischen und —
niemals konnten wir dessen vergessen! — auch der germanischen
Götterwelt aufragende Schicksal blieb uns der ewig ge¬
heiligte Mythos von der Schuld und dem Ver¬
hängnis des Oedipus und seines Ahnengeschlechtes. Groß und
leidvoll ragt dieser Held vor uns auf als Träger seines
mit tragischen Schauern die Jahrtausende überwältigenden Schick¬
sals. Goethe sowohl wie Schiller sind in bewußter Scheu vor diesem
endgiltig als unberührbar erscheinenden Stoffe zurückgewichen.
Anders Herr Hugo Hoffmannsthal aus Wien! In seiner
jüdischen Harmlosigkeit glaubte er „rasch vom Tisch die reiche
Krone stehlen“ zu können. Wie? Nichts leichter, als dies!
Die geheiligte Tragödie des großen Attikers verzerrte er