II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 567

Le
19. DerRfn
Berran
Nn 450 Mittwoch 5. September 1906.
Die Berliner Bühnen im
Arteil eines Franzosen.
Charles Bonnefon, der bekannte Berliner
Korrespondent des Figaro, gibt in der französischen
Zeitschrift Le Théätre einen mit prächtigen Bildern
geschmückten Bericht über die vergangene Theater¬
saison der deutschen Reichshauptstadt. Begreif¬
licherweise st mmnt der Geschmack des Franzosen
mit dem unseren nicht immer überein, aber er
zeigt doch, daß er sich von seinem Thema hin¬
gerissen fühlie. Er gelangt schließlich dazu, einige
Stücke sehr zu loben, die in Deutschland selbst
keinen unbestrittenen Beifall fanden. Jedenfalls ist
es interessant, wie sich das Berliner Kunstleben in
den Augen eines Fremden spiegelt, der lange genug
unter uns lebt, um unsere Ideen zu begreisen.
Wir geben in nachstehendem seine Urteile
wieder, die er im einzelnen in ausführlichen In¬
haltsangaben der aufgeführten Stücke motwiert.
Mittelmäßige Saison, urteilten die Kritiker
Berlins über die vergangene Theaterspielzeit. Das
Königliche Schauspiel feierte und bot uns nichts
als ein paar Näschereien. Die Oper scheint nicht
zu wissen, daß es junge Komponisten gibt. In
den andern Theatern herischie das dichtende
Ausland mit Stücken, die indessen durchaus nicht
immer hervorragend waren. Die Autoren, die
man aufgeführt hat, sind natürlich anderer Ansicht.
Ich für meinen Teil gestehe, daß ich in dieser ver¬
schrienen Saison manch großen Geruß erlebt
habe, und daß es nicht zuletzt die deutschen Dichter
waren, die mir diese Freuden verschafften. Mein
Geist bereicherte sich an dem, was ie sähufen. Ich
bewunderte den Mut, mit dem sich die Dichter
der Provinz von Berlin lossagten und freimachten.
Denn das ist der gemeinsame Zug. der alle diese
zeilgenössischen Autoren, die so starke Tempera¬
mentsunterschiede ausweisen, vereinigt: sie haben
aus ihrem Hirn die Haupistadt Preußens aus¬
geschaltet. Unsere, die dramatischen Sitten Frank¬
reichs beherrscht Paris. Berlin nimmt in den Ge¬
danken der deutschen Schriftsteller nur einen
sekundären Rang ein.
Die Theater, deren Eigentümer dir Kaiser und
König ist, haben unter der Leitung des hoch¬
intellegenten Intendanten von Hülsen keine be¬
sonders fruchtbare Tätigkeit entwickelt. Nach einer
langen Zeit des Umbaus und der künstlerischen
Ruhe spielte das Königliche Schauspiel ein reizen¬
des Stück von Oskar Blumenthal: „Der Schwur
der Treue“. Ich weiß, daß man Herrn Blumen¬
thel vorwirft, kein Genie zu sein. Er irrt nicht
Symbolen nach, er verschmäht das Helldunkel und
beleuchtet, da er sein Handwerk von Grund auf
versteht, seine Stücke mit einer Klarheit, die fast
französisch anmutet. Im Opernbaus brachte es
Stenhammers „Fest auf Solhang“ dank dem ge¬
ringen Interesse nur auf vier Wiederholungen.
Dagegen erweckte „Der lange Kerl“ des Herrn
Von Woikowski=Biedau den Zorn der Berliner
Kritik. Man muß allerdings zugeben, daß diese
Oper nur geschrieben worden ist, um einem wahr¬
haften Riesen Gelegenheit zu geben, auf der
Bühne des Königlichen Opernhauses zu erscheinen.
Im übrigen blieb die Oper Wagner ireu. Außer¬
dem studierte sie Aubers „Schwarzen Domino“
neu ein und stattete dieses Werk mit einem großen
Luxus neu aus. Je mehr wir Franzosen uns von
diesem Autor entfernen, desto eifriger suchen die
Deutschen eine gewisse Koketterie darin, unsern
alten Komponisten für sich in Anspruch zu nehmen,
ihn mit aller erdenklichen Liebe zu pflegen.
Das Hauptinteresse wendete sich dem Lessing¬
Theater und dem Deutschen Theater zu. In jenem
wurde ein neues Stück von Hermann Sudermann
Welldas
box 24/5
Frank Wedekind ein talentvoller Spötter, der sich
in einem fort über das Publikum, über die Welt
and über sich selbst lustig macht. Sein „Hidalla“
hat auf das Berliner Publikum eine große An¬
sehungskraft ausgeübt. Dabei sind alle Gestalten
Wedekinds verrückt. Kein Mensch kann je ahnen,
was sie uns im nächsten Augenblick sagen wollen.
Sie bringen uns schließlich völlig aus dem Gleise.
Es sind Kunststücke einer dekadenten Rheiorik,
die da vor uns erscheinen. Aber diesen Mario¬
netten der Idee fehlt es an Leben. Man wünschte
sie sich weniger trocken, weniger kalt und abstralt.
Hus den Gerichtsfälen.
Ein verhängnisvoller Brief an die
Braut. Im Zusan menhang mit der Er¬
mordung des Reichardtschen Ehe¬
paares in Friedenau stand eine Verhandlung.
die gestern das Kriegsgericht der Königl.
Kommandantur beschäftigte. Auf der Anklagebank
saß der 21jährige Matrosen=Artillerist Albrecht
von der 1. Kompagnie der 4. Matrosen=Artillerie¬
Abteilung in Kuxhaven; er hatte sich wegen ver¬
suchter Verleitung zum Meineid zu verantworten.
Am 23. März d. J. war er bei seinen Eltern in
Friedenau zu einem dreitägigen Urlaub eingetroffen.
Am 25. März verließ er nachmittags die elterliche
Wohnung, um nach Kuxhaven zurückzufahren. Auf
dem Lehrier Bahnhof wurde er angeblich von
mehreren jungen Leuten angeredet, er verpaßte
den Zug und ließ sich verleiten, eine Bierreise
mitzumachen, auf der er fast sein ganzes Geld
ausgab. A. wagte es nicht, zu den Eltern zurück¬
zukehren, um sich von ihnen neues Reisegeld geben
zu lassen. Er hoffte es von seiner Braut, dem
Dienstmädchen Anna Feind aus der Metzer Straße
in Friedenau zu erhalten. Als er am 28. März
nachmittags wieder vor der Wohnung der Braut
eintraf. wurde er von einem Kriminalbeamten
verhaftet. Am Vormintag des gleichen Tages war
der Doppelmord an dem Reichardtschen Ehepaar
verübt worden, und man brachte die Verba#tung
des Matrosen mit der Mordaffaire in Verbindung.
Durch die Nachforichungen der Kriminalpolizei
wurde jedoch festgestellt, daß der Matrose als
Täter nicht in Betracht kam. A. wurde nach Kux¬
haven zurücktransportiert und durch das Marine¬
gericht das Verfahren wegen unerlaubter Ent¬
fernung gegen ihn eingeleitet. Der Angellagte
hatte sich aber in dem Glauben befunden, daß er
sich des schweren Verbrechens der Fahnenflucht
schuldig gemacht habe, und um einer
solchen Bestrafung vorzubeugen, griff er zu einem
verhängnisvollen Mittel. Dem untersuchung¬
führenden Gerichtsherrn gegenüber gab er an,
man solle seine Braut vernehmen, denn sie werde
zu seinem Gunsten aussagen. Inzwischen richtete
er an sie einen eingeschriebenen Eilbrief,
in dem er der Empfängerin ihre Aussagen vor
dem Richter vollständig vorschrieb. Da sich das
Mädchen damals wegen eines Diebstahls in dem
Frauengefängnis in der Barnimstraße besand,
wurde der Brief beschlagnahmt. Die Aussagen.
welche der Angeklagte dem Mädchen vorgeschrieben
hatte, waren in vielen Punkten wissentlich falsche.
Daß die Braut bei ihrer Vernehmung vereidigt
werden würde, war dem Matrosen, noch bevor er
den Brief geschrieben, vorgehalten worden. Nach
längerer Beweisaufnahme verurteilte das Kriegs¬
gericht den Angeklagten wegen versuchter Ver¬
leitung zum Meineid und unerlaubter Entfernung
zu einer Gesamistrafe von einem Jahr drei
Tagen Zuchthaus und Ausstoßung aus dem
Heere.
§t. Die Angelegenheit des fürstlich Wrede¬
schen Dieners Glase wird am 12. d. M. vor
dem Reichsgericht zur Verhandlung kommen.
Glase, der am 6. Juli wegen des an den Fürsten
Wrede gerichteten Erpressungsbriefes zu neun Mo¬
naten Gesängnis verurteili worden ist, hat Revision
eingelegt. Das Reichsgericht wird u. a. auch die
Frage zu prüfen haben, ob das spanische Recht.
welches doch in Frage komme, da der Brief nach
Madrid gerichtet sei, das Delikt einer versuchten
Erptessung überhaupt kenne.
beit
see“
See
Ge
Bez
1h0
um
stat
nick
3 1
am
fat
vor
He
N2
bet
kei
erf
de
in
Re
Fl
zu
an
Pi
1
w
in
eis
B.
dr


*
tr