II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 568

immer hervorragend waren. Die Autoren, die
man aufgeführt hat, sind natürlich anderer Ansicht.
Ich für meinen Teil gestehe, daß ich in dieser ver¬
schrienen Saison manch großen Genuß erlebt
habe, und daß es nicht zuletzt die deutschen Dichter
waren, die mir diese Freuden verschafften. Mein
Geist bereicherte sich an dem, was sie sähufen. Ich
bewunderte den Mut, mit dem sich die Dichter
der Provinz von Berlin lossagten und freimachten.
Denn das ist der gemeinsame Zug. der alle diese
zeilgenössischen Antoren, die so starke Tempera¬
mentsunterschiede au weisen, vereinigt: sie haben
aus ihrem Hirn die Hauptstadt Preußens aus¬
geschaltet. Unsere, die dramatischen Sitten Frank¬
reichs beherrschi Paris. Berlin nimmt in den Ge¬
danken der deutschen Schriftsteller nur einen
sekundären Rang ein.
Die Theater, deren Eigentümer der Kaiser und
König ist, haben unter der Leitung des hoch¬
intelligenten Intendanten von Hülsen keine be¬
sonders fruchtbare Tätigkeit entwickelt. Nach einer
langen Zeit des Umbaus und der künstlerischen
Ruhe spielte das Königliche Schauspiel ein reizen¬
des Stück von Oskar Blumenthal: „Der Schwur
der Treue“. Ich weiß, daß man Herrn Blumen¬
thal vorwirft, kein Genie zu sein. Er irrt nicht
Symbolen nach, er verschmäht das Helldunkel und
beleuchtet, da er sein Handwerk von Grund auf
versteht, seine Stücke mit einer Klarheit, die fast
französisch anmutet. Im Opernhaus brachte es
Stenhammers „Fest auf Solhang“ dank dem ge¬
ringen Interesse nur auf vier Wiederholungen.
Dagegen erweckte „Der lange Keil“ des Herrn
von Woilowski=Biedau den Zorn der Berliner
Kritik. Man muß allerdings zugeben, daß diese
Oper nur geschrieben worden ist, um einem wahr¬
haften Riesen Gelegenheit zu geben, auf der
Bühne des Königlichen Opernhauses zu erscheinen.
Im übrigen blieb die Oper Wagner ireu. Außer¬
dem studierte sie Aubers „Schwarzen Domino“
neu ein und statteie dieses Werk mit einem großen
Luxus neu aus. Je mehr wir Franzosen uns von
diesem Autor entfernen, desto eiftiger suchen die
Deutschen eine gewisse Koketterie darin, unsern
alten Komponisten für sich in Anspiuch zu nehmen,
ihn mit aller erdenklichen Liebe zu pflegen.
Das Hauptinteresse wendete sich dem Lessing¬
Theater und dem Deutschen Theater zu. In jenem
wurde ein neues Stück von Hermann Sudermann
gespielt: „Stein unter Steinen“. Auf ein etwas
hanales und auch ein wenig verbrauchtes Grund¬
gewebe hat Sudermann einige ergreifende Cpi¬
soden gesetzt. In ein kräftig realistisches Milien
verwob er eine flitterhafte Romantik. Das Stück
ist im wesentlichen ein Melodram, das mit allerlei
richtigen Beobachtungen verarbeitet ist. Sein litee
rarischer Wert beruht eher in der lebens¬
vollen Milieuschilderung als in dem Sujet. Der
Dialog Sudermanns hat nichts von seiner
charatteristischen Schärfe verloren. Wir erwarten
mit Spannung sein neues Werk. „Der Ruf des
Lebens“ hat uns einen schrecklichen Schnitzler ent¬
hüllt. Immerhin hat dieses Stück im Verein mit
der anbetungswürdigen und mysteriösen „Pippa“
Gerhart Hauptmanns den Spielplan des Lessing¬
Theaters gefüllt. Regie und Inszenierung sind an
dieser Stelle einst und streng und würdig einer
ruhmreichen Vergangenheit. Niemals stört an
dieser Bühne eine Geschmacklosigkeit, nie eine
Improvisation. Alles ist feinste Kunst, die hier
gepflegt wird, und eine Reihe der prächtigsten
Schauspieler hat sich hier vereinigt, um Meister¬
werke zu schaffen.
Im Gegensatz zu dieser bei aller Feinheit
immer etwas tleinlichen Kunst Brahms steht Max
Reinhardt, der Neues schafft. In seiner Inszenie¬
rung des „Sommernachtstraums“ velebte dieser
kühne Regisseur, der die Ballettröckchen der Eifen
haßt, den Zauberwald mit ganz bizarren, fast un¬
förmlichen Fabelgestalten. Ein für meinen Ge¬
schmack allzu behaarter Puck, ein Gassenjunge der
einsamen Wälder erfüllte die warme Sommernacht
mit seinem unbändigen Gelächter. Ich kann den
Heroismus von Gertrud Eysoldt nicht genug be¬
wundern, die sich zu dieser fast lächerlichen Ver¬
kleidung hergegeben hat. Fräulein Eysoldt ###mt
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in Berlin den Rang der Réjane oder der 9#
ein, aber keine ließe sich in ein solches Gewund
stecken: Fräulein Eysoldt hat sich darein gefügt.
Max Reinhardt ist ein Poet, der seine Visionen
auf der Bühne zu verwirklichen sucht. Ein orien¬
talischer Poet..... Er kennt nicht den Reiz der
reinen Linie, der schlanken Form. Er überhäuft
die Meisterwerke der Dichtkunst mit Ornamenten,
er erregt und erschöpft den Zuschauer, um ihn zu
blenden. Und doch muß mun seinen seinen Instinkt,
seinen guten Willen anerkennen ... solange er sich
nicht damit abgibt, Shakespenie verschönern zu
wollen..
Am Kleinen Theater wurde Frank Wedekind
gespielt. Gerhart Hauptmann ist ein naives Genie.
meeertah rrc m enhre
eintraf wurde er von einem Kriminalbeamten
verhaftet. Am Vormittag des gleichen Tages war
der Doppelmord an dem Reichardtichen Ehepaar
verübt worden, und man brachte die Verbatung
des Matrosen mit der Mordaffatre in Verbindung.
Durch die Nachforichungen der Kriminalpolizei
wurde jedoch festgestellt, daß der Matrose als
Täter nicht in Betracht kam. A. wurde nach Kux¬
haven zurücktransportiert und durch das Marine¬
gericht das Verfahren wegen unerlaubter Ent¬
fernung gegen ihn eingeleitet. Der Angellagte
hatte sich aber in dem Glauben befunden, daß er
sich des schweren Verbrechens der Fahnenflucht
schuldig gemacht habe, und um einer
solchen Bestrafung vorzubeugen, griff er zu einem
verhängnisvollen Mittel. Dem untersuchung¬
führengen Gerichtsherin gegenüber gab er an,
wan solle seine Braut vernehmen, denn sie werde
zu seinem Gunsten aussagen. Inzwischen richtete
er an sie einen eingeschriebenen Eilbrief,
in dem er der Empfängerin ihre Aussagen vor
dem Richter vollständig vorschrieb. Da sich das
Mädchen damals wegen eines Diebstahls in dem
Frauengefängnis in der Barnimstraße besand,
wurde der Brief beschlagnahmt. Die Aussagen.
welche der Angeklagte dem Mädchen vorgeschrieben
hatte, waren in vielen Punkten wissentlich falsche.
Daß die Braut bei ihrer Vernehmung vereidigt
werden würde, war dem Matrosen, noch bevor er
den Brief geschrieben, vorgehalten worden. Nach
längerer Beweisaufnahme verurteilte das Kriegs¬
gericht den Angeklagten wegen versuchter Ver¬
leitung zum Meineid und unerlaubter Entfernung
zu einer Gesamistrafe von einem Jahr drei
Tagen Zuchthaus und Ausstoßung aus dem
Heere.
§t. Die Angelegenheit des fürstlich Wrede¬
schen Dieners Glase wird am 12. d. M. vor
dem Reichsgericht zur Verhandlung kommen.
Glase, der am 6. Juli wegen des an den Fürsten
Wrede gerichteten Erpressungsbriefes zu nenn Mo¬
naten Gesängnis verurteilt worden ist, hat Revision
eingelegt. Das Reichsgericht wird u. a. auch die
Frage zu pillen haben, ob das spanische Recht,
welches doch in Frage komme, da der Brief nach
Madrid gerichtet sei, das Delikt einer versuchten
Erpressung überhaupt kenne.
Sport und Jagd.
*t Voraussichtliche Sieger für die Trab¬
rennen zu Westend, 5. September
Baldrian-Nansen
Inländer=Hand cap:
Tomate— Jetzt
Halenseer Preis:
Fafner—Goldiegen
Jugend=Preis:
Rigoletto—Prince
Preis von Pichelsberge:
Axtell
Harriet 8 — Brahma¬
September=Preis:
Gest. Sigridshof—
Zweispänner=Handicap:
Gesp. Beermann
Nimrod— Gest.
Trost=Handicap:
Klein Helle.
#t Rennen zu Compisgne, 4. September.
I. Graziella (E. Pratr) 1. Paros (Ch. Childs) 2.
Galanterie (Bartbolomew) 3. Tot.: 1297:10. Pl.;
236, 51, 35: 10. Ferner liefen: Clair d'Amour, Le Bout
Bois, Tull Car, Gitano, Aya, Passionée, Rejane, Patte
de Chat, Stiene, Villa Franca, Rose de Neige, Dalmy,
Delai, Winetta, Femina, Reverence, Ingenue, Thema¬
lia, Pinlade, Photia, Grande Ourse. Guinguelte
II. Moustique (H. Balsan) 1. Kedes (Baron Foy) 2.
Hexameron (St. Sanveur) 3. Tot.: 16:10. Pl.: 11,
11, 15:10. Ferner liefen: Auscitain, Fleurus, Tali,
St. Bielade, Defense, La Mu##te, Minelte. — III. Tag¬
Six Mai (M. Henry) 2.
liamento (G. Stern) 1.
Melpomene (Belhouse) 3. Tot.: 23:10, Pl: 12, 16, 14: 10.
Omar, Fufutte, Scarabee. Demi
Ferner liefen:
Mondaine, Fournichot. Vereingelorix, Nicopolis, Fort
IV. Mon (St.
Dauphin, Brutus, Griselidis.
Sauveur) 1. Trani (M. Keller) 2. Friselle 11 (L. de
Sarrel) 3. Tot.: 24: 10. Pl.: 13, 14:10. Ferner liefen:
a Pucelle
Le Capuein, Chantilly II.
(Vloxidge) 1. Pierte Chien (A. Carter) 2. Pavillon II
Tot.: 19:10. Pl.: 11, 11:10.
(St. Sanveur) 3.
Ferner liefen: Solitaire II, La Bretonniere, Stra¬
VI. Valse Bleue (R. Sauval) 1. La
ionicee.
Tot.:
Giraglia (F. Stori) 2. Pompier (Chinn: 3.
17:10. Pl.: 12, 20, 19:10. Ferner liefen: Xylite,
Grauule, Rhubarb, Allia, Hissey, Le Broutay,
Ninive III, Bengor,
st Zu der ersten Wettfahrt um den Roose¬
velt=Pokal, die, wie wir in der gestrigen Abend¬
ausgabe berichteten, mit einem Siege der ameri¬
kanischen Jachten endete, meldet uns noch ein
Privat=Kabeltelegram aus New York,
daß die Fahrt bei Südwestwind mit 20 Meilen
Schnelligkeit gemacht wurde, so daß die Fahrzeuge
gezwungen wurden, die Segel zu kürzen, als ein
Teil des Kurses zurückgelegt war. „Auk“ und
„Vim“ waren von Anfang bis zu Ende voraus
und fochten unter sich einen interessanten Wett¬
kampf aus, der zugunsten der „Auk“ ausfiel. Die

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