II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 33

typisches Muster des undramatischen Nicht¬
Schauspiels. Was es gibt, sind zwei in¬
einandergeschobene, leise, fast zu abgeklärt,
ruhige Novellen, die nur einen einzigen,
schwachdramatischen Moment haben. Und auch
dieser ist nur dramatische parlando=Musik.
Der immer schon lyrisch=milde Schnitzler, der die
bleiche Welt abgekönter Kulturen liebt und mit einer
gewissen wienerischen Salon=Sentimentalität die Dinge
der Welt philosophisch betrachtet, ist in seiner neuen
Seelenplauderei noch matschweicher geworden, als er
schon war. Er war ja immer ein liebenswürdig¬
ironischer Poet der Müdigkeit, dieses Stück ist aber
ausschließlich ein Gesang vom Leben zermürbter und
aufgesogener Naturen, die den „einsamen Weg“ zum
Tode geistesgerüstet und wissentlich wandern.
Daß die Absicht des Stückes ausschließlich solchen
müden Solo=Gängern gilt, merkt man erst gegen
das Ende, nachdem ein breiter erster Akt, der,
unklar exponiert, ein unentschiedenes Thema ange¬
schlagen hat, und jeder nächste Alt sich nach einem
anderen Ziele zu bewegt. Schnell zu erkennen ist
nur das eine, daß es ein retardierendes Stück ist,
daß es Dinge der Vergangenheit sind, die die Menschen
seelisch beschäftigen. Das würde weiter nichts schaden,
wenn diese Zurückentwickelung die gegenwärtigen
Dinge in eine Vorwärtsbewegung brächte, aber
die Konsequenzen der Aufrollung bleiben nebensächlich.
Es ist, als ob es dem Dichter nur um eine Ari
psychologischer Bioisektion an einigen Mannsobjekten,
die ihm für den zu demonstrierenden klinischen Fall
interessant erschienen, zu tun gewesen wäre. Die Vor¬
gänge sind künstelnd zwischen die Charaktere kom¬
poniert; die Fäden, die sich von einem zum andern
ziehen, sind jedoch sehr dünn und reißen bei jeder
Gelegenheit.
Die kränkliche Frau des Akademie=Direktors
Wegerath stirbt und nimmt das Geheimnis mit sich,
daß ihr Sohn, der Ulanenleutnant Felix, ein junges
Blut, das sich in der schmucken Uniform wohl fühlt,
nicht das Kind ihres Gatten ist. Er ist der natürliche
Sohn des wildgenialen Malers Julian Fichtner,
eines ruhelosen Kunstzigeuners, dessen starker Leiden¬
schaft Gabriele erlag, als sie schon Wegeraths Braut
war. Den jungen Mann hatte es schon immer zu Fichtner
hingezogen, nun er aber von diesem selbst seinen Ursprun#
kennen lernt, wandelt sich sein Gefühl in Betroffepheit,
die sich dann in vollkommenen Gleichmut andert.
Julian Fichtner, dem niemals eine Liebe er#st war,
der nur dem Genuß des Augenblicks gesbt hat,
klammert sich jetzt, ha er altert und di einsame
Straße nach dem Grabe vor ihm liegt, an den Sihn, aber
es kommt zu keinem Kampf. Diese seelische Burück¬
eroberung des eigenen Kindes wäre wohl di #ter¬
essanteste Aufgabe gewesen, aber Schnitzler bricht fragmen¬
tarisch ab, um noch schnell das Paralleldrama zu
Ende zu führen. Ein Schicksalsgenosse Fichtners auf
dem einsamen Weg ist Herr von Sala, ein Mann, der
das Leben mit Genuß und Ruhe trank, dem der Tod
der Frau und der Tochter nichts anhaben konnte, der
ruhig weitergenießt nach Omar Namehs Wort: Du,
der da weiterlebt, laß ab zu weinen! Ihm, dem
hohen Vierziger, ergibt sich noch ein junges Mädchen,
des Leutnants Felix Schwester, aber sie geht ins
Wasser, sobald sie erfahren hat, daß der Mann ihrer
Liebe durch ein Leiden dem Tod verfallen
ist. Dieser überflüssige Selbstmord soll die Verein¬
samung Salas noch verstärken; Sala hat sich aber
schon vorher seine Philosophie daraufhin zurechtgemacht:
„Es graut Ihnen vor der Einsamkeit?“ sagt er
zu Julian, der seinen Sohn verliert. „Und wenn
Sie eine Frau an Ihrer Seite hätten, wären Sie
heute nicht allein? ... Und wenn Kinder und Enkel
um Sie lebten, wären Sie es nicht? .. . Und wenn
Sie sich Ihren Reichtum, Ihren Ruhm, Ihr Genie
bewahrt hätten, — wären Sie es nicht? ... Und
wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet — den
Weg hinab gehen wir alle allein ... wir, die selbst
niemandem gehört haben. Das Altern ist nun ein¬
mal eine einsame Beschäftigung für unsereinen, und
ein Narr, wer sich nicht beizeiten darauf einrichtet,
auf keinen Menschen angewiesen zu sein.“
Diese Philosophie gibt ihm auch die Kraft, nicht
erst das Stichwort des Todes abzuwarten und sich
aus eigenem Willen zur Grube zu senden. Er ist
eine Dr. Ranke=Natur. Noch eine dritte, ein¬
sam Gebliebene führt Schnitzler vor. Es ist die
ehemalige Schauspielerin Herms, eine Jugendgeliebte
Julians, die nur eine Sehnsucht kennt: ein
Kind zu haben, um nicht allein zu sein. Einmal
hätte sie dieses, für ihr Empfinden namenlose Glück
rarge Pencre
Eröffnungsizene überhaupt (sie ist es, die ich vorhin als
den einzigen dramatischen Moment des Stückes bezeichnete)
ist sehr ungeschickt, geradezu anfängerhaft gemacht.
Es ist eine „Erkennungsszene“ im Stil der Romantik
und erinnert an die vertauschten Kinder und Amulette
Eugen Sues. Uebrigens nicht der einzige romantische
Einschlag. Der ganz überflüssige und unwahre
Selbstmord des jungen Mädchens im geheimnisvollen
Wasser und die Gestalten Salas wie Julians sind
mit unechten Romantismen ausgestattet. Aber sie
haben Geist.
Die Vorzüge Schnitzlers: ein leichter, natürlicher
Dialog, eine anmulige, leicht fließende Linie in der
Bewegung der Vorkommnisse und ein freundlich, leise
selbstironischer Humor. Das kann jedoch die starken Nach¬
teile nicht aufwiegen, die da sind: Kraftlosigkeit im Bau
des dramatischen Gerüstes. Mattigkeit im Führen der
Handlung auf ein mit Notwendigkeit empfundenes
Ziel zu und Konvention in der Zeichnung gleich¬
förmiger Salonmenschen.
Die Darstellung litt meinem Empfinden ach an
Besetzungsfehlern. Nicht Bassermann durfte den
eleganten, müden, feinironischen und cynisch=geistreichen
Sala spielen, sondern Sauer. Bassermann ist für
solche Männer zu derb, zu trocken, zu wenig geschmeidig¬
und spricht zu wenig sein. Aber er hätte den leicht¬
dämonischen und brutalen Allerweltswindbeutel Mlian
der
Fichtner spielen müssen und nicht Rittne
für die angeführten Eigenschaften zu brüchig, zu derb¬
fest, bäuerisch= gesund ist. Kurt Stieles als
Leutnant unterstrich noch die Monoion## der
Figur; ihm fehlte der Schuß Schneidigkeit und Fche,
der für den Ulanenleutnant nötig ist. Das hätließerr
Iwald besser machen müssen. Eise Lehmann r
zwar nicht die rundliche, lustige Wiener Schau¬
spielerin, die Schnitzler meinte, aber sie ließ den
Charakter nicht fallen. Das wäre vielleicht etwas
für Gisela Schneider=Nissen gewesen. Aber
die ist ja gar nicht mehr bei Brahm. Sehr fein war
Sauer als alter Wegeralh. Dieser Künstler stellt
eben immer seinen Mann, auch wenn man ihn auf
falschen Posten kommandiert.
Norbert Falk.