II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 34

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18. Der ellEEE
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Berliner Lokal-Anzeige
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Maler, das Mädchen verfassen, da er sich nicht be¬
zwingen konnte, seine Ungebundenheit, die Freiheit
—Theater und Mulik.
künstlerischen Schaffens ihr zu opfern. Wegrath
aber, unbewußt des Verrats, den die beiden an
Ph. St. Im Deutschen Theater hat am
ihm begangen, hat Gabriele geheiratet — auch
gestrigen Sonnabend Arthur Schnitzlers
ihm hatte geträumt von großer, freier Kunst,
Schauspiel „Der einsame Weg“ einen Er¬
aber seine Künstlerschaft hat sich geduckt vor dem
folg gehabt, der nach dem 4. und dem 5. Akte stark
Begehren nach dem stillen Glück an der Seite
bekampft wurde. Der erste Akt hatte interessiert
Gabrielens. Er hat es ja auch zu etwas ge¬
ohne das Publikum bereis zu gewinnen, allerlei
bracht, er ist Direktor der Kunstakademie und
Fäden der Handlung hatten sich verschlungen, aber
malt jährlich sein Ausstellungsbild — aber man
erst die Schlußszene hatte die Andeutung der Vor¬
nennt ihn nur einen Kunstbeamten. Julian aber,
fabel gebracht. Der 2. und der 3. Akt fanden
der große Künstler, hat gelebt wie in einem Rausch
lebhaften Beifall und übten starke Wirkung
von Zärtlichkeit und Leidenschaft, ja von Macht
aus. Schnitzler konnte vom zweiten Aufzuge ab
über alle. Nun, da er zu altein beginnt, soll ihm
nach jedem Akte wiederholt erscheinen. Als
da von aller Glut, mit der er die Welt umfaßt,
der Vorhang nach dem 4. Akte fiel, schien
nichts übrig bleiben? Und er fragt sich verzweiselt:
das Stück einen Augenblick gefährdet — ein paar
„Muß ich menschlichen Gesetzen so gut unterworfen
Zuschauer hatten in die Schlußszene hineingelacht,
sein wie ein anderer?“ Und die Geschehnisse be¬
es erhob sich lautes Zischen, aber der Beifall war
jahen diese Frage, verurteilen ihn zu gleichem
stärker. Und nach dem Schlußakte kämpften Bei¬
Los mit all den anderen, all den Kleinen. Ver¬
fall und Zischen in vielleicht gleicher Stärke.
gebens offenbart er sich seinem Sohne Felix, der
Dramatisch hat dieses Werk viele Mängel, aber
als Wegraths ältester Sohn gilt — Felix liebt
rein als dichterische Schöpfung betrachtet, ist es nächst
den Mann, in dessen Hause er geboren und er¬
„Rose Berndt“ das Bedeutendste, was diese Spiel¬
1 zogen ist, jetzt, da er weiß, wie man jenen
zeit uns gebracht hat. Es ist das Werk eines echten,
betrogen hat, noch mehr als früher.
seinen Poeten, reich an intimen Schönheiten, an
Das Stück beginnt kurz vor dem Tode
psychologischem Gehalt, an Tiefe der Gedanken.
Gabrielens, da Felix bereits 23 Jahre zählt. Dier
Etwas von der Lebensauffassung der „Lebendigen
beiden Hauptszenen zwischen Julian und Felix sind¬
Stunden“ ist darüber ausgebreitet, und von
von ergreifender Innigkeit, künstleriich und auch
Schnitzlers Novelle „Sterben“ kommen leise
kunsttechnisch vollendet. Der Herzenskampf Julins
Stimmungen herüber. Es bedeutet eine neue
um den Sohn ist nun wohl das Hauptstück im
Schaffensperiode für diesen reifen Poeten,
Stücke, aber daneben laufen doch noch Intersssen,
eine neue Stilart, die dramatisch voll zu
die, an sich sehr bedeutsam, doch allzu oft und Illzu
beherrschen ihm diesmal noch versagt blieb.
stark vom Hauptkern der Dichtung ablenken. WBei
Diese fünf Akte sind wie ein großes Finale in der
einem minder reichen Poeten wären viellhicht
Art, wie es die meisten Dramen Ibsens sind. Und
drei Stücke aus diesem Material zustände
auch darin kommt es Ibsens Schaffen nahe, daß
gekommen. Die wundervoll durchgeführte Ge¬
es eigentlich keine Gestalten darin gibt, die nur
stalt der Schauspielerin Irene Herms die
Hülfsmittel wären, keine, in denen nicht mit
hier wenig mehr als eine Episode bedeutet,
meisterlicher Kunst lebensvolle, warmpulsierende
wäre allein schon genügendes Thema für eine
Menschen geschaffen wären. Und inmitten der
eigene Dichtung: sie verkörpert ein Schicksal, einen
weichen Poesie, in die das Ganze gehüllt
Frauentypus und eine Frauenindividualität zu¬
ist, erscheint eine Fülle von Lebensmaximen,
gleich. Ihre Szene im zweiten Akt ist ein Glanz¬
geistestiefen Einfällen und Beobachtungen, oft
punkt der Dichtung. voll wundervollen Humors, voll
durchweht von einem feinen Humor und wahrer
strotzender Lebensfülle, und doch steckt auch in
Ironie. Eine schmerzliche Resignation klingt aus
dem Schicksal dieser lebensfrohen Natur eine
der Fülle der Gestalten, ihrer Schicksale und An¬
Traurigkeit wie in einer ganz sonnigen Früh¬
schauungen, und dann zum Schluß doch wieder
„die Traurigkeit steckt in
lingslandschaft
ein Aufdämmern der Hoffnung. „daß jetzt wieder
den Dingen oft viel tiefer verborgen, als
ein besseres Geschlecht heranwächst — mehr Hal¬
man ahnt". Und dann — welch eine Kraft
tung und weniger Geist“.
der tünstlerischen Prägung zeigt sich in der Ge¬
Die beiden, die in ungestümer, rücksichtsloser
stalt des Todeskandidaten Stephan von Sala,
Lebensgenußsucht den „einsamen Weg“ gegangen
einer Julian verwandten, aber schrofferen, ab¬
sind, Julian und Stephan, die niemals ein Opfer
lehnenderen, mehr in sich gefesteten Natur!
gebracht nur um anderer willen, sie müssen sich
Diese Gestalt, mit minutiöser Kunst ausgeseilt und
schließlich gestehen: „Und wenn uns ein Zug
doch wie ein geschlossenes Ganzes wirkend, ist
von Bacchanten begleitet haben, den Weg hinab,
vielleicht das psychologisch Feinste, das Schnitzler
den Weg des Alters gehen wir alleln, wir, die
geschaffen hat. Und nun — das Liebesleven
selbst niemandem gehört haben." Julian graut vor
Stephans mit Johanna, der Tochter Weg¬
solchem Alleinsein, und er klammert sich an Felix.
eigentlich wiederum ein
raths! Das
der sein Sohn ist, und doch vor der Welt nicht
Stück für sich; bedeutend, wenn es für sich allein
dafür gilt. Julian hat einst Gabriele kennen
aufgetreten wäre, aber das Publikum verwirrend,
bereits die Braut seines
gelernt, als sie
da es nur im Rahmen des Ganzen erschemnt und
Freundes Wegrath war. Julian und Gabriele
kamen zueinander in unbezwinglicher, jugend= diesen Nahmen beinahe zu sprengen scheint. Dann
stürmischer Liebe — dann hat Julian, der geniale die liebevolle Zeichnung des Alademiedirektors,
S
1 das wundervolle Verstehen der Frauenseele
Gabrielens und dann die seine Psychologie des
jungen Felix, in dem so viel seinem Vater Julian
verwandte Züge siecken, die dann doch ge¬
modelt und gesänftigt sind durch den Ein¬
leider
fluß andersartiger Erziehung.
unmöglich, in dem knappen Rahmen dieser
Besprechung die ganze Bedeutung dieser Dich¬
tung zu würdigen und all den mannigsachen
Anregungen zu folgen, die da auf uns einstürmen.
Dramatisch ist manches mißglückt, die Handlung geht
zögernd und mitunter retardiert vorwärts: manches
ist für das grelle Bühnenlicht allzu diskret be¬
handelt, mit einer zurückhaltenden Künstlerleusch¬
heit. Im Schlußakt aber zeigt sich wieder der
starke Dramatiker. Vor allem aber: „Der ein¬
same Weg“ ist eine Dichtung, der wir uns dank¬
bar freuen müssen.
Die Darstellung, im einzelnen und im En¬
eine solche Vorstellung
semble, war glänzend —
bringt keine andere Bühne heraus: jede Leistung
verdiente eingehende Analysierung. Bedeutendes
gaben Else Lehmann und Irene Triesch, Sauer,
Bassermann, Rittner, zumeist auch Stieler, in
kleineren Aufgaben Godeck und Frau Pauly. Die
Inszenierung war von künstlerisch vornehmem
Geschmack. Es war kein eigentlicher Erfolg, aber
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teresianter Theaterabend